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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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a) um die ebenfalls gr<strong>und</strong>rechtlich gesicherte personale Entwicklungsfähigkeit ihrer Mitglieder zu realisieren <strong>und</strong><br />

b) um die gesellschaftlich durch Familienleistungen wirksam werdenden externen Effekte zu ermöglichen; insbesondere diese Sicht<br />

ist neu <strong>und</strong> wurde im Sinne des Kriteriums der Leistungsgerechtigkeit v. a. durch das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht entwickelt.<br />

Ein großer Teil dieses familienpolitischen Zielkatalogs ist in Deutschland mittlerweile durch die Verfassung <strong>und</strong> diese konkretisierend<br />

durch die Urteilssprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vorgegeben. Dem politischen Gestaltungsprozess ist – auch hier durch die<br />

Verfassungsrechtsprechung eingeschränkt – die Wahl der Instrumente sowie eine Gewichtung von Teilzielen vor dem Hintergr<strong>und</strong> der<br />

Erwünschtheit bestimmter externer Effekte vorbehalten.<br />

Wesentliche Aufgaben der Familienpolitik werden einerseits in der Form der Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen wahrgenommen.<br />

Der Verteilungsprozess kann in Bezug auf unterschiedliche Maßstabsysteme (z.B. Gerechtigkeit, Effizienz) geschehen. Andererseits<br />

bedeutet Steuerung hier Koordination individuellen gesellschaftlichen Handelns.<br />

Dabei kann der Staat unter Nutzung seiner Hoheitsrechte einerseits mit dem Mittel von Ge- <strong>und</strong> Verboten arbeiten, andererseits kann<br />

er positive oder negative Anreize <strong>für</strong> bestimmte Verhaltensalternativen setzen, letzteres entweder über finanzielle oder strukturelle<br />

Anreize oder durch Überzeugung.<br />

Konkret lassen sich im Instrumentarium der Familienpolitik dementsprechend unterscheiden: Geld, Recht <strong>und</strong> Beeinflussung von<br />

Leitbildern über Kommunikation.<br />

2. Warum können wir von der Wiederentdeckung von Familienpolitik sprechen?<br />

Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst Rückblick notwendig. Familienpolitik verstand sich nach ihrer Institutionalisierung durch<br />

die Gründung des Ministeriums 1954 zunächst als im wahrsten Sinne des Wortes „konservativ“. Es galt die Leistungsfähigkeit der Familie<br />

in der Form der bürgerlichen Kleinfamilie zu unterstützen, d.h. die „Hausfrauenehe“ als Standardfall zu erhalten (auch rechtlich:<br />

BGB), durch staatliche Maßnahmen wie Kindergeld <strong>und</strong> Steuerfreibeträge die Eltern maßvoll zu unterstützen. Kindergeld wurde zunächst<br />

erst <strong>für</strong> Drittkinder <strong>und</strong> Folgende gezahlt, weil davon ausgegangen wurde, dass der durchschnittliche Lohn eines Mannes <strong>für</strong> die<br />

Ernährung einer vierköpfigen Familie ausreichte. 3<br />

Die Verankerung der Standardfamilie in der Form der bürgerlichen Familie geschah auch in allen Zweigen der Sozialversicherung, hier<br />

aber immer als abgeleitetes Recht, es wurde also so etwas wie das Konzept der „Leistungserbringung im Doppelpack“ zugr<strong>und</strong>e gelegt.<br />

Freibetragsregelungen nach Kinderzahl unterblieben jedoch.<br />

Rechtsreformen gingen auf Gesetzgebungsaufträge des GG <strong>und</strong> Urteile des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtes zurück: 1958 Ehegattensplitting,<br />

Erstes Gleichberechtigungsgesetz 1957, Nicht-Ehelichen-Gesetz 1969.<br />

Dem entsprachen Akteurskonstellation <strong>und</strong> Inhalte von Familienpolitik (genauer Gerlach 1996):<br />

Ansatzweise war eine Familienpolitik zuvor im Rahmen sozialpolitischer Maßnahmen betrieben worden, wobei aber Zielgruppe eher<br />

randständige Familien bzw. Teilfamilien in prekären Lebenslagen <strong>und</strong> nicht Familien als solche waren. Dagegen wandten sich insbesondere<br />

die in den 50er-Jahren stark kirchlich orientierten Familienverbände, die eine systematische <strong>und</strong> allgemeine Familienpolitik<br />

forderten. Wie in den Beratungen des Parlamentarischen Rates wehrten sich sowohl SPD als auch FDP gegen die institutionelle<br />

Gestaltung eines Policy-Bereiches <strong>für</strong> ein so „allgemeines Anliegen wie Familie“.<br />

Bis weit in die 60er-Jahre hinein ließen sich lediglich die normativ geleiteten Steuerungsziele der Wiederherstellung <strong>und</strong> Erhaltung der<br />

bürgerlichen Familie auf der einen Seite <strong>und</strong> auf der anderen Seite ein bewusst verkündeter Steuerungsverzicht <strong>für</strong> ein als biologisch/<br />

moralisch eingestuftes Sachgebiet identifizieren, auf der Akteursebene im Wesentlichen durch Kirche, Familienverbände <strong>und</strong> C-<br />

Parteien auf der einen <strong>und</strong> SPD <strong>und</strong> FDP auf der anderen Seite vertreten.<br />

Weitere Akteure – zumindest bezüglich sporadischer Eingriffe in das familienpolitische Agenda-Setting – waren die Arbeitgeberverbände,<br />

die sich gegen die seit 1955 bestehende Pflicht zur Errichtung von Arbeitgeberkassen <strong>für</strong> das vom dritten Kind an zu zahlende<br />

Kindergeld wandten <strong>und</strong> u.a. eine diesbezügliche Klage vor dem B<strong>und</strong>esverfassungsgericht erhoben. Daneben meldeten sie mit dem<br />

Einsetzen des „Wirtschaftsw<strong>und</strong>ers“ in den späten 50er- <strong>und</strong> frühen 60er-Jahren erhöhten Arbeitskräftebedarf an <strong>und</strong> ließen damit z.B.<br />

den zweiten Familienminister Bruno Heck über einen Ausbau des Kinderbetreuungsnetzes nachdenken, um den Müttern zumindest eine<br />

Teilerwerbstätigkeit zu ermöglichen, was <strong>für</strong> Franz-Josef Wuermeling noch revolutionär <strong>und</strong> unsere Gesellschaft in ihren Gr<strong>und</strong>festen<br />

erschütternd gewesen wäre. Und auch die Zahlung des Zweitkindergeldes aus B<strong>und</strong>esmitteln ab 1962 dürfte auf den massiven<br />

Protest der Arbeitgeber zurückzuführen sein.<br />

Als zusätzlicher Akteur muss hier schließlich das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht genannt werden, <strong>und</strong> zwar in der Rolle des „Erzwingers“<br />

der verfassungsrechtlichen Vorgaben von Art. 117 GG, nachdem die dort vorgesehenen Fristen vom Gesetzgeber ignoriert worden<br />

waren. Die Rolle des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtes im Rahmen der Akteurskonstellationen der 50er-Jahre unterscheidet sich jedoch<br />

aufgr<strong>und</strong> seines minimalen politischen Gestaltungswillens deutlich von derjenigen, die es in den 90er-Jahren einnehmen wird.<br />

3) Dennoch war z.B. die Entlastungswirkung der Steuerfreibeträge beträchtlich, wie Jürgen Borchert ausgerechnet hat: Die Kinderfreibeträge sind trotz der auf den ersten<br />

Blick hohen Beträge seit den 60erJahren gemessen am Durchschnittsverdienst nicht gestiegen. 1961 entsprachen sie (1.200 DM <strong>für</strong> das erste, <strong>1.6</strong>80 DM <strong>für</strong> das zweite <strong>und</strong><br />

1.800 DM <strong>für</strong> das dritte <strong>und</strong> weitere Kinder) bei einem durchschnittlichen St<strong>und</strong>enlohn von 3 DM <strong>1.6</strong>00 Arbeitst<strong>und</strong>en (gewichtet 490 St<strong>und</strong>en). Wird dieses Verhältnis<br />

auf aktuelle St<strong>und</strong>enlöhne umgerechnet (27 DM <strong>für</strong> Arbeiter, 35 DM <strong>für</strong> Angestellte) ergibt sich ein Freibetrag von 15.000 DM (Borchert o. J.: 4).<br />

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