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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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Inter- <strong>und</strong> intrakulturelle Wege der Integration in sozial segregierten Stadtteilen –<br />

Erfolge <strong>und</strong> Begrenzungen des Programms „Die Soziale Stadt“<br />

Dr. phil. Dagmar Schlapeit-Beck, Sozial- <strong>und</strong> Kulturdezernentin der Stadt Göttingen<br />

Die Sozialraumspaltung in den deutschen Großstädten hat seit den achtziger Jahren zunehmend Stadtteile herausgebildet, die von<br />

gesamtgesellschaftlichen <strong>und</strong> gesamtstädtischen Entwicklungen abgekoppelt sind. In diesen Gebieten häufen sich Benachteiligungen<br />

<strong>und</strong> Belastungen, die sich auf die Lebensbedingungen <strong>und</strong> Lebenschancen ihrer Bewohner sowie auf das soziale Klima im Quartier<br />

auswirken. Die Entwicklung vom benachteiligten Quartier zum benachteiligenden Armutsquartier verlangt Gegenstrategien. 300<br />

„Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“ in 214 Städten <strong>und</strong> Gemeinden, die im Förderprogramm „Die Soziale Stadt“<br />

zusammengefasst sind, sind durch folgende Merkmale gekennzeichnet:<br />

• Mangelhafte Wohnqualität: z.B. Wohnungs- <strong>und</strong> Wohnumfeldmängel, Fehlen von Grün- <strong>und</strong> Freiflächen, Mangel an Infrastruktureinrichtungen<br />

<strong>und</strong> Beratungsangeboten, Defizite in der Nahversorgung, Lärm- <strong>und</strong> Abgasbelastung, Leerstand; Fehlen von Ausbildungs-<br />

<strong>und</strong> Arbeitsplätzen, problematische Schulsituation, Zusammenleben von Bevölkerungsgruppen aus sehr unterschiedlichen<br />

Herkunftsmilieus, multiethnische Zusammensetzung;<br />

• Negatives Gebietimage: z.B. Verfall, Desinvestition, Verwahrlosung, Vandalismus, soziale Konflikte, negative Innen- <strong>und</strong> Außenwahrnehmung;<br />

• Konzentration problematischer Lebenslagen: z.B. Einkommensarmut, Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit von Transfereinkommen,<br />

geringe Berufsqualifikation, niedrige Kaufkraft, Krankheit, Suchtprobleme, Hilfebedürftigkeit, mangelhafte Deutschkenntnisse;<br />

• Folgen erschwerter Lebensbedingungen: z.B. <strong>Verein</strong>samung, Resignation, Rückzugstendenzen, Hoffnungs- <strong>und</strong> Perspektivlosigkeit,<br />

Unsicherheitsgefühle, Fremdenfeindlichkeit, Kriminalität, Gewaltbereitschaft (vgl. Deutsches Institut <strong>für</strong> Urbanistik 2003, S. 11).<br />

Der oftmals hohe Anteil an Migrantenfamilien in diesen Stadtteilen darf jedoch nicht nur unter dem Defizitblick einer Problemkumulation<br />

gesehen werden, sondern die Quartiere der Sozialen Stadt seien auch „Laboratorien <strong>für</strong> neue Formen der sozialen Integration“<br />

<strong>und</strong> müssten deshalb bei ihrer „schwierigen <strong>und</strong> <strong>für</strong> unsere Gesellschaft so wichtigen Integrationsarbeit“ besonders unterstützt<br />

werden, so B<strong>und</strong>eskanzler Gerhard Schröder (2002, S.7).<br />

Welche Integrationsstrategien sollten die Kommunen in den Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf anwenden? Welche<br />

Integrationsstrategien werden bereits verfolgt? Sollen benachteiligte Stadtteile desegregiert <strong>und</strong> aufgewertet werden oder soll die<br />

Nischen- <strong>und</strong> Schutzfunktion einer Parallelgesellschaft <strong>für</strong> Minderheiten erhalten werden?<br />

1. Integrationskonzepte<br />

Stadt ist immer Ort des Zusammenlebens von Fremden. Physische Nähe bei sozialer Distanz als Charakteristikum der Stadt bedingt ihre<br />

kulturelle Produktivität, aber auch ihre Konfliktträchtigkeit. Georg Simmel (1984) betont, dass die Integration der Stadtbevölkerung,<br />

die aus Fremden besteht, welche bleiben, die sich aus permanenter Zuwanderung speist <strong>und</strong> immer dramatische Ungleichheiten<br />

aufweist, die zentrale Leistung der Stadt als „Integrationsmaschine“ sei.<br />

Das Programm: „Die Soziale Stadt“ setzt die intakte funktionierende Stadt als Integrationsmechanismus voraus. Dieser Integrationsmechanismus<br />

ist jedoch auf allen Integrationsebenen nachhaltig gefährdet:<br />

• Materielle oder systemische Integration setzt Integration in das Erwerbsleben <strong>und</strong> in die Systeme sozialer Sicherung voraus. Migranten<br />

stehen jedoch größeren Beschäftigungsrisiken gegenüber, sind in höherem Maße von Arbeitslosigkeit betroffen, sind verstärkt auf<br />

Unterstützungssysteme angewiesen <strong>und</strong> sind in geringerem Maße sozial abgesichert.<br />

• Politische Integration, Integration über Partizipation erreicht bislang vor allem die Eliten der ethnischen Minoritäten. Beteiligungsangebote<br />

wie im Programm „Soziale Stadt“ erreichen nicht die Breite der Migrantenbewohnerschaft, sondern eher Stellvertreter, die<br />

ohnehin schon politisch aktiv sind.<br />

• Soziale Integration, Integration in informelle Beziehungsnetze, in Nachbarschaften, Fre<strong>und</strong>schaften, wechselseitige Hilfebeziehungen<br />

verläuft eher erfolgreich in ethnisch homogenen Quartieren. Das Konzept der Integration durch Durchmischung ist durch die<br />

Schwäche der heutigen Familienstrukturen (Singularisierung, allein Erziehende, Scheidungsfamilien) in Frage gestellt.<br />

Die Segregation Benachteiligter kann nicht automatisch mit deren Ausgrenzung gleichgesetzt werden. Häußermann/Siebel (2001)<br />

trennen in sozioökonomische (strukturelle) <strong>und</strong> ethnisch-kulturelle (funktionale) Segregation. Segregation sei nicht per se zu verteilen,<br />

denn segregierte Quartiere von Migranten können auch Übergangsorte, Stadien der Akklimatisierung <strong>und</strong> Eingewöhnung, also auch der<br />

Integration in die Aufnahmegesellschaft bedeuten.<br />

Diese These bestätigt auch Friedmann (2003, S.117) mit der Übernahme der Begrifflichkeit von Habermas, indem er die Kolonisierung<br />

der Lebenswelt durch die Systemwelt beschreibt: Die Systemwelt sei die Welt der großen Ordnungen – der Politik <strong>und</strong> Gesetze, der<br />

Wissenschaft, der Technik <strong>und</strong> auch der Stadtplanung, die Welt der Ratio; ihr gegenüber stehe die Lebenswelt, die bunte Welt des<br />

Alltags, die sich in den kleinen Räumen der Stadt abspiele. Besonders <strong>für</strong> die benachteiligten Gruppen wie ältere Menschen, allein Erziehende,<br />

Arbeitslose, Jugendliche, behinderte Menschen oder Migrantinnen <strong>und</strong> Migranten sei die Lebenswelt der Quartiere heute fast<br />

die einzige Welt, die sie kennen <strong>und</strong> wo sie sich geborgen fühlen würden.<br />

Verschiedene Integrationsmodell sind bei der Entwicklung kommunaler Strategien zu berücksichtigen:<br />

• Individualistisches Integrationsmodell<br />

Das dichte Nebeneinander von Fremden könne nach Georg Simmel (1984) Fremdenfeindlichkeit wecken. Konflikte könnten<br />

vermieden werden durch die großstadttypische Distanziertheit, Gleichgültigkeit <strong>und</strong> Kontaktvermeidung. Koexistenz bei einem<br />

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