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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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5. Sozialraum als Aneignungs- <strong>und</strong> Bildungsraum <strong>und</strong> die Hilfen zur Erziehung?<br />

Insbesondere auf der Gr<strong>und</strong>lage des Aneignungsbegriffes ist mein Begriff von Sozialraum nicht nur subjektorientiert, sondern sieht ihn<br />

auch als Bildungsraum, in dem wesentliche Kompetenzen im Bereich der informellen Bildung erworben werden können. Die<br />

Möglichkeiten zur Veränderung, zur Erweiterung des Handlungsraumes etc. bestimmen wesentlich diese Aneignungsmöglichkeiten <strong>und</strong><br />

können entsprechend auch gefördert werden, z.B. durch eine kinder- <strong>und</strong> jugendorientierte Planung, durch die Mehrfachnutzung von<br />

Flächen (vgl. Wien) <strong>und</strong> durch andere gezielte Maßnahmen. Kinder <strong>und</strong> Jugendliche lernen eben nicht nur in Schule <strong>und</strong> in Institutionen,<br />

sondern bilden sich insbesondere auch durch den Kontakt zu Gleichaltrigen im <strong>öffentliche</strong>n Raum. Die Erweiterung ihres Handlungsraumes,<br />

das Spacing (Löw), die Verknüpfung, die Veränderung von Räumen spielen dabei eine wichtige Rolle. Der Sozialraum<br />

wird also als Bildungsressource gesehen, als Aneignungsraum <strong>und</strong> nicht – so wie in der Präventionsdebatte – als potenziell gefährlicher<br />

Raum, in dem es gilt, Kinder <strong>und</strong> Jugendliche durch gezielte Maßnahmen in pädagogische Angebote zu integrieren. Der Sozialraum ist<br />

auch nicht – so wie viele in den Hilfen zur Erziehung meinen – als Frühwarnsystem <strong>für</strong> evtl. Probleme zu nutzen (dies kann natürlich<br />

eine Wirkung sein), sondern ich gehe von einem Begriff des Sozialraumes aus, der auch <strong>für</strong> die Hilfen zur Erziehung als Ressource genutzt<br />

werden kann, den es zu entwickeln gilt <strong>und</strong> dessen positive Veränderung sich langfristig auch auf die Fallarbeit auswirken wird.<br />

Für eine Orientierung der Hilfen zur Erziehung vom Fall zum Feld, d.h. <strong>für</strong> einen sozialräumlichen Bezug, ist die Kooperation zwischen<br />

den Hilfen zur Erziehung <strong>und</strong> einer sozialräumlich orientierten Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit sehr fruchtbar. Der Sozialraum ist sozusagen<br />

die Schnittmenge zwischen Jugendarbeit <strong>und</strong> Hilfen zur Erziehung <strong>und</strong> dies soll in folgenden Thesen belegt werden.<br />

Zusammenfassung:<br />

• Eine sozialraumorientierte Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit hat die (immer noch weit verbreitete!) Einrichtungszentriertheit, d.h. die Orientierung<br />

an den Besucher/innen der Einrichtung überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> orientiert sich potenziell an allen Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen in einem<br />

Sozialraum. Insofern ist sie ein interessanter Kooperationspartner, weil sich <strong>für</strong> die Hilfen zur Erziehung ebenfalls Einblicke in<br />

Lebenswelten <strong>und</strong> Sozialräume ergeben können.<br />

• Mit Hilfe unterschiedlicher Methoden, insbesondere im qualitativen Bereich ist, eine sozialräumlich orientierte Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit<br />

in der Lage, Aussagen über die Lebenslagen von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen zu machen, die weit über die bisherigen Ansätze<br />

einer Jugendarbeit im Sinne einer Freizeit- <strong>und</strong> Betreuungsinstitution hinausgehen. Die Methoden einer Sozialraum-/Lebensweltanalyse<br />

sind <strong>für</strong> die Hilfen zur Erziehung ebenfalls sehr interessant, weil sie helfen, vom „Fall zu Feld“ zu gelangen, d.h. über die<br />

(meist von der Jugendhilfeplanung) zur Verfügung gestellten quantitativen Daten (Bevölkerungsentwicklung Sozialstruktur etc.)<br />

qualitative Einblicke in die Lebenslagen einzelner Zielgruppen zu erhalten.<br />

• Bei der Orientierung vom Fall zum Feld erscheint eine sozialräumlich orientierte Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit als Institution, die nicht<br />

nur Aufgaben im Sinne einer fallunspezifischen Arbeit übernehmen kann, sondern die auch als Kooperationspartner <strong>für</strong> erzieherische<br />

Hilfen erscheint, etwa im Bereich der Betreuungsangebote (Über-Mittag-Betreuung) oder auch bei der Durchführung einer sozialen<br />

Gruppenarbeit in einer Jugendeinrichtung.<br />

• Die in Landkreisen, aber auch in städtischen Regionen zu beobachtende Bildung von Sozialraumteams bringt <strong>für</strong> die Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendarbeit sowie <strong>für</strong> die Hilfen zur Erziehung die Möglichkeit, ihre bereichsorientierte Sichtweise zu überwinden <strong>und</strong> vom jeweils<br />

anderen Partner zu lernen. Voraussetzung da<strong>für</strong> ist jedoch im Bereich der Hilfen zur Erziehung eine neue Orientierung, die über die<br />

Fallorientierung hinausgeht, Sozialräume <strong>und</strong> Lebenswelten sieht <strong>und</strong> die Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit nicht nur als präventives Angebot<br />

versteht. Im Bereich der Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit geht es darum, die Hilfen zur Erziehung nicht nur als Feuerwehr zu begreifen,<br />

sondern als interessanten Kooperationspartner auch <strong>für</strong> die Gestaltung gemeinsamer Angebote <strong>und</strong> einer Kooperation zwischen<br />

Jugendarbeit <strong>und</strong> Hilfen zur Erziehung.<br />

• Lebensbewältigung als Herausforderung <strong>für</strong> viele Kinder <strong>und</strong> Jugendliche nicht nur aus sozial schwachen Familien bildet die Brücke<br />

<strong>für</strong> die Kooperation der Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit <strong>und</strong> der Hilfen zur Erziehung. Dabei geht es allerdings nicht um eine unzulässige<br />

Vermischung beider Bereiche.<br />

• Die Qualifizierung von Sozialräumen als Aneignungs- <strong>und</strong> Bildungsräume ist eine gemeinsame Aufgabe!<br />

Literatur :<br />

Böhnisch, Lothar: Gespaltene Normalität. Lebensbewältigung <strong>und</strong> Sozialpädagogik an den Grenzen der Wohlfahrtsgesellschaft!,<br />

Weinheim <strong>und</strong> München, 1994.<br />

Braun, Karl-Heinz: Schule <strong>und</strong> Sozialarbeit in der Modernisierungskrise, in: Neue Praxis, 2/1994, S. 107 ff.<br />

Deinet, Ulrich: Sozialräumliche Jugendarbeit. Eine praxisbezogene Anleitung zur Konzeptentwicklung in der Offenen Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit,<br />

Opladen 1999.<br />

Deinet, Ulrich/Krisch, Richard: Der sozialräumliche Blick der Jugendarbeit. Methoden <strong>und</strong> Bausteine zur Konzeptentwicklung <strong>und</strong> Qualifizierung,<br />

Opladen 2002.<br />

Deinet, Ulrich/Krisch, Richard: Lebensräume von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen. In: Riege, Marlo/Schubert, Herbert (Hrsg.): Sozialraumanalyse. Gr<strong>und</strong>lagen<br />

– Methoden – Praxis. Opladen 2002.<br />

Krisch, Richard.: Fremdbilderk<strong>und</strong>ung; Strukturierte Stadtteilbegehung, in: Deinet, Ulrich: Sozialräumliche Jugendarbeit. Eine praxisbezogene<br />

Anleitung zur Konzeptentwicklung in der Offenen Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit, Opladen 1999, S. 81 ff.<br />

Krisch, Richard: Zur Anwendung von Methoden sozialräumlich orientierter Lebensweltanalysen in der Jugendarbeit, in: Lindner, Werner (Hrsg.) Ethnographische<br />

Methoden in der Jugendarbeit, Opladen 2001.<br />

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