Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
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sondern unabhängig vom aktuellen Hilfe- <strong>und</strong> Einzelfall „fallunabhängige Kenntnisse <strong>und</strong> Potenziale“ erschließen. Der Essener<br />
Pädagoge Wolfgang Hinte (1999, sowie Früchtel/Scheffer 2000) hat diesen Arbeitsanteil, der in allen Regionen ausgeweitet <strong>und</strong> vor allem<br />
konkretisiert worden ist, mit dem – vielleicht nicht immer glücklichen – Begriff der „fallunspezifischen Arbeit“ umschrieben. Hier<br />
geht es um Vorbereitungsarbeit <strong>für</strong> potenzielle Fallarbeit, die sich der Methodik der gemeinwesenbezogenen Ansätze bedient. Häufig<br />
ist dieser Arbeitsanteil am wenigsten sozialpädagogisch <strong>und</strong> sozialpolitisch operationalisiert <strong>und</strong> konkretisiert – mit der Folge, dass nur<br />
neue Finanzierungsformen zur Infrastrukturgestaltung (in Form so genannter Sozialraumbudgets) oder Organisationsveränderungen damit<br />
gleichgesetzt werden.<br />
Im INTEGRA-Projekt ist die konkrete Operationalisierung des Konzeptbegriffes der gemeinwesenbezogenen Arbeitsanteile bzw.<br />
des Begriffes der fallunspezifischen Arbeit, also der Arbeitsanteile, die geleistet werden im Gemeinwesen im Hinblick auf die<br />
Vorbereitung <strong>für</strong> potenzielle Fälle, innerhalb der Erziehungshilfen vorangetrieben worden. Er ist zum Teil Bestandteil der Leistungsverträge<br />
der Jugendhilfestationen geworden (Frankfurt/Oder, Celle, Tübingen), wird bezahlt <strong>und</strong> ist mit einem Dokumentationssystem<br />
verb<strong>und</strong>en. Das kann man an einem Beispiel genauer ausbuchstabieren: Im Landkreis Tübingen wird beispielsweise seit diesem Jahr<br />
im gesamten Landkreis mit folgender Operationalisierung der bezahlten fallunabhängigen Leistungen im Gemeinwesen gearbeitet, die<br />
hier nur grob <strong>und</strong> exemplarisch dargestellt werden kann:<br />
• Erstens werden hier die Konzeptentwicklung <strong>und</strong> Planung, Koordination <strong>und</strong> Vernetzung im Gemeinwesen aufgeführt. Dazu gehört<br />
z.B. die Exploration der Ausgangsbedingungen vor Ort, die Erk<strong>und</strong>ung des Sozialraums im Hinblick auf jugendhilferelevante<br />
Strukturen <strong>und</strong> BewohnerInnen sowie die professionelle Vernetzung - also die Kooperationen mit anderen sozialen Diensten <strong>und</strong> die<br />
Anregung von Selbsthilfegruppen - <strong>und</strong> schließlich die Mitwirkung an der kleinräumigen Jugendhilfeplanung (Ziel hier: Einbringen<br />
von Jugendhilfeaktivitäten <strong>und</strong> -entwicklungen in Gemeinderäten <strong>und</strong> sonstigen Gremien).<br />
• Zweiter Bestandteil ist die niedrigschwellige Beratung <strong>und</strong> Krisenintervention bzw. gezielte Angebote zum Aufbau von Hilfe-Infrastruktur.<br />
Dazu gehören auch BewohnerInnen-Versammlungen <strong>und</strong> bekannte Informations-, Beratungstermine <strong>und</strong> Kontaktstellen vor<br />
Ort oder gezielte Information an Schulen <strong>und</strong> Regeleinrichtungen <strong>für</strong> Eltern <strong>und</strong> junge Menschen (Infoabende, Aufklärungsarbeit,<br />
Aushänge etc.) sowie gezielte Angebote <strong>und</strong> Projekte zur Prävention (also z.B. die Öffnung der Angebote der Hilfen zur Erziehung<br />
im Kontext der Jugendhilfestationen <strong>für</strong> weitere Kinder <strong>und</strong> Jugendliche aus der Gemeinde oder Stadtteilcafés, Nachmittagstreffs,<br />
Gruppenangebote in Kooperation mit <strong>Verein</strong>en <strong>und</strong> anderen Trägern ausgehend von den Hilfen zur Erziehung).<br />
• Drittens ist Bestandteil der Leistungsvereinbarungen die Förderung der Kommunikation <strong>und</strong> Partizipation im Gemeinwesen. D.h., es<br />
soll die Vermittlung zwischen Personen <strong>und</strong> Gruppen übernommen (z.B. Kontakte herstellen, Gastfamilien suchen, Unterstützung <strong>für</strong><br />
die Organisation <strong>und</strong> Beratung anbieten) <strong>und</strong> auch gezielt Transparenz hergestellt werden <strong>für</strong> die Interessen von jungen Menschen in<br />
der Region <strong>und</strong> im Stadtteil (gezielte Öffentlichkeitsarbeit über jugendhilferelevante Entwicklungen betreiben).<br />
In einzelnen INTEGRA-Regionen kann man auf diese Weise sehen, dass eine erhöhte Transparenz der Jugendhilfeleistungen <strong>und</strong> eine<br />
Operationalisierung der Tätigkeiten im Gemeinwesen sowie BürgerInnen-Rückmeldungen gegenüber der politischen Ebene <strong>und</strong><br />
Ortsbeiräte sehr wohl Einmischung bedeuten können.<br />
IV.<br />
Um diese Ausformungen integrierter <strong>und</strong> sozialräumlicher Erziehungshilfen zu leisten, bedarf es Rahmungen der Arbeit. Der Aufbau<br />
<strong>und</strong> die Unterstützung von Kooperationskulturen zwischen den freien Trägern <strong>und</strong> dem <strong>öffentliche</strong>n Träger, den Mitarbeiter-<br />
Innen der Träger, zwischen zentralen <strong>und</strong> dezentralen Steuerungsebenen gehören dazu. Hier bedarf es einer aktiven Stützung <strong>und</strong><br />
Steuerung über Schlüsselpersonen <strong>und</strong> Verfahren (also <strong>Verein</strong>barungen, Geschäftsordnungen, Verträge, Gremien etc.). Im INTEGRA-<br />
Projekt ist <strong>für</strong> die Entwicklung einer Organisationskultur, die die lebensweltliche Öffnung befördert, statt ein Einteilungsprinzip nach<br />
Buchstaben, Abteilungsstrukturen <strong>und</strong> Immobilien vorzunehmen, der soziale <strong>und</strong> auch – aber nicht nur – der geografische Raum<br />
gewählt worden.<br />
Natürlich kann das Gefahren <strong>und</strong> Verkürzungen mitbringen, denen man aber begegnen kann <strong>und</strong> zwar durch die Stärkung der demokratischen<br />
Kontroll- <strong>und</strong> Mitbestimmungsmöglichkeiten der Hilfe-AdressatInnen. Im Rahmen der INTEGRA-Begleitforschung<br />
wird beispielsweise der Frage nachgegangen, wie sich <strong>für</strong> die Betroffenen eine solche stadtweite Umstellung <strong>und</strong> Kooperation auswirkt,<br />
ob sie das überhaupt wahrnehmen. Es werden schriftliche Bewertungsverfahren von Hilfe-AdressatInnen nach beendeter Hilfe oder<br />
während der Hilfe erprobt, die Standards werden sollen. Die ProjektpartnerInnen sehen darin eine Arbeitsaufgabe im Gewand einer<br />
offenen Frage <strong>und</strong> Forderung, die freilich verbindlich festgeschrieben <strong>und</strong> geregelt werden muss.<br />
Wo solche Kooperationskulturen nicht gegriffen haben oder nur auf der Ebene der Basisfachkräfte vorhanden sind – wie zum Beispiel<br />
in Dresden –, können neue politische Besetzungen sofort zu einem anderen Top-down-Durchsteuern führen. In Dresden erfolgt dies von<br />
leitender Seite in Form einer Orientierung am reinen Wettbewerbsgedanken, der nur durch seine Markt- <strong>und</strong> Konkurrenzideologie eine<br />
bessere Leistung <strong>für</strong> die Hilfe Suchenden verspricht, dies aber weder nachgewiesen noch nachprüfbar operationalisiert hat, <strong>und</strong> seine<br />
Attraktivität nur aus der angeblichen kurzfristigen Kostensenkung bezieht. Dabei ist zu beobachten, dass die betriebene Zerstörung<br />
lokaler Kooperationszusammenhänge zwischen den freien Trägern <strong>und</strong> den örtlichen ASD <strong>und</strong> zwischen den freien Trägern mit Argumenten<br />
aus der kritischen, elaborierten Sozialraum- <strong>und</strong> Nahraumdebatte betrieben wird. Allerdings werden die den kritischen<br />
Diskursen inne wohnenden Forderungen (z.B. stärkere Berücksichtigung subjektiver Raumbezüge, Einbettung des sozialräumlichen<br />
Ansatzes in umfassende Umgestaltungsdiskurse über die Jugendhilfe hinaus etc.) nicht auf das bisher bestehende System <strong>und</strong> die eigene<br />
Praxis angewandt.<br />
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