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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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<strong>Workshop</strong> 2.1<br />

<strong>Verein</strong>bart! Beruf <strong>und</strong> Familie<br />

Donnerstag, 8. Mai 2003<br />

10:00 Uhr–17:30 Uhr<br />

Vorträge:<br />

• Die Wiederentdeckung der Familienpolitik<br />

Prof. Dr. Irene Gerlach,<br />

Institut <strong>für</strong> Politikwissenschaften,<br />

Universität Münster<br />

• Kommunale Verantwortung zwischen<br />

Anspruch <strong>und</strong> Wirklichkeit: B<strong>und</strong>, Länder<br />

<strong>und</strong> Kommunen in der Finanzierungsfalle<br />

Burkhard Hintzsche,<br />

Beigeordneter <strong>für</strong> Jugend,<br />

Soziales <strong>und</strong> Wohnen der Stadt Bielefeld<br />

• Familienbewusste Personalpolitik<br />

in der Wirtschaft<br />

Stefan J. Becker,<br />

Geschäftsführer, Beruf <strong>und</strong> Familie<br />

gemeinnützige GmbH, Frankfurt am Main<br />

• Zur Zusammenarbeit von Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> Jugendhilfe am Beispiel der betrieblichen<br />

Förderung von Kinderbetreuung<br />

Dr. Harald Seehausen,<br />

Innovationsberater, Sozialwiss., Frankfurter<br />

Agentur <strong>für</strong> Innovation <strong>und</strong> Forschung<br />

Prack & Seehausen, Frankfurt am Main<br />

• Finanzierung von Kindertagsbetreuung<br />

Norbert Hocke,<br />

stellv. Vorsitzender der GEW <strong>und</strong> Leiter<br />

des Vorstandsbereichs Jugendhilfe <strong>und</strong><br />

Sozialarbeit, Berlin<br />

Die Wiederentdeckung der Familienpolitik<br />

Prof. Dr. Irene Gerlach<br />

Der Titel meines Vortrages „Die Wiederentdeckung der Familienpolitik“, wirft<br />

zunächst zwei Fragen auf:<br />

1. Was denn genau Familienpolitik sei, wenn unterstellt wird, sie sei wiederentdeckt<br />

worden, <strong>und</strong><br />

2. wann diese denn verschw<strong>und</strong>en war, wenn sie nun wiederentdeckt wird.<br />

Diese Fragen gilt es zunächst zu beantworten.<br />

1. Familienpolitik soll folgendermaßen definiert werden:<br />

Familienpolitik ist die Summe aller Handlungen <strong>und</strong> Maßnahmen, die im<br />

Rahmen einer feststehenden Verfahrens-, Kompetenz- <strong>und</strong> Rechtfertigungsordnung<br />

eines Staates normativ <strong>und</strong>/oder funktional begründbar<br />

die Situation von Familien im Hinblick auf eine als wünschenswert<br />

definierte Erfüllung von deren Teilfunktionen hin beeinflussen.<br />

Wenn diese Definition nun in ihre Teildimensionen zerlegt wird, zeigen sich die<br />

folgenden konkreten Begründungszusammenhänge:<br />

• Im Bereich der Verfahrens- <strong>und</strong> Kompetenzordnung sind hier einerseits das<br />

parlamentarische System Deutschlands mit seinen Strukturen des „Agenda-<br />

Settings“ <strong>für</strong> politische Themen – <strong>und</strong> dazu gehören insbesondere auch die Strukturen<br />

der Interessenartikulation <strong>und</strong> Durchsetzung im Verhandlungsstaat – sowie<br />

die Kompetenzordnung im Föderalismus von Bedeutung. Bei der zeitvergleichenden<br />

Betrachtung der Entwicklung von Familienpolitik fällt hier insbesondere<br />

die Tatsache eines parlamentarischen Gestaltungsdefizits <strong>und</strong> eines oft nach<br />

Verfassungsrechtsprechung nur „nachbessernden“ politischen Handelns auf.<br />

• Politik geschieht im Rahmen einer Rechtfertigungsordnung. Im politischen<br />

System Deutschlands ist diese v.a. in der Form der Wertgemeinschaft des<br />

Gr<strong>und</strong>gesetzes verfasst. Dies bezieht sich einerseits auf Fragen der Gr<strong>und</strong>rechtsrealisierung<br />

<strong>und</strong> derjenigen des Sozialstaatsgebotes, andererseits aber<br />

auch auf solche der Legitimität von Politik (Legitimität durch Wertekonsens).<br />

Andererseits sind hier aber auch Verfahrensfragen angesprochen, insbesondere<br />

diejenige, ob dem Konzept der „Legitimationskette“ 1 entsprechend Politik<br />

letztendlich immer auf Entscheidungen des Volkes zurückzuführen sind (Volkssouveränität<br />

Art. 20 GG). 2 In der Betrachtung von Familienpolitik zeigen sich<br />

hier Defizite, da a) Interessen der Familie weniger stark durchgesetzt werden als<br />

andere (obwohl sie Gr<strong>und</strong>rechtsbezug aufweisen), das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

in die Rolle eines Ersatzgesetzgebers gezwungen worden ist.<br />

• Die Begründung von Politik kann einerseits „moralisch“ (vgl. Familienrecht<br />

im BGB vor 1976) geschehen, normativ i.S. der Wertordnung des GG oder<br />

funktional, d.h. im Hinblick auf die von der Familie zu erfüllenden zentralen<br />

Funktionen, zu denen die Familienforschung die generative Funktion, die<br />

Sozialisations- <strong>und</strong> Platzierungsfunktion, die Haushaltungsfunktion, die<br />

Erholungsfunktion <strong>und</strong> die Solidaritätssicherungsfunktion zählt.<br />

• Diese multidimensionalen Begründungszusammenhänge spiegeln sich auch in<br />

dem Adjektiv „wünschenswert“, gemeint ist ein Zielkatalog, der im politischen<br />

Gemeinwesen Deutschlands zweigeteilt ist:<br />

1. bezieht er sich auf die gr<strong>und</strong>rechtlich garantierte Sicherheit, Familie als<br />

Lebensform wählen <strong>und</strong> leben zu können,<br />

2. versucht er Familie als gesellschaftliches Leistungssystem in den Stand der<br />

möglichst optimalen Erfüllung ihrer Aufgaben zu versetzen, dies<br />

1) Dieser Begriff ist im Sinne der vertragsstaatlichen Konzeption einer jeden modernen Demokratie so<br />

vom B<strong>und</strong>esverfassungsgericht geprägt worden, BVerfGE 38, 258 (271) sowie 47, 253 (275).<br />

2) Illustrierend kann hier auf den Modus von Wahlkampf, Wahl, Zurechenbarkeit von Verantwortung <strong>und</strong><br />

Wiederwahl bzw. Abwahl verwiesen werden, in den die Delegation von Volkssouveränität auf Zeit in<br />

der parlamentarischen Demokratie Deutschland eingeb<strong>und</strong>en ist. Hier fällt auf, dass Familienpolitik mit<br />

Ausnahme der letzten B<strong>und</strong>estagswahl kaum je flächendeckendes Wahlkampfthema war, d.h. sich mangels<br />

Informationen über Handlungsalternativen der unterschiedlichen Bewerber um die Stimmen der<br />

Wähler <strong>und</strong> Wählerinnen dann eigentlich auch nicht in die „Legitimationskette“ einfügt.<br />

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