Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
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durchaus widersprüchliche Folgen <strong>für</strong> die Arbeitnehmerexistenz: Während die steigende Erwerbsbeteiligung neue Chancen <strong>für</strong> ein<br />
höheres Haushaltseinkommen erschließt <strong>und</strong> zugleich die Sicherheit des Haushaltseinkommens verbessert, lassen die sich abzeichnenden<br />
Individualisierungs- <strong>und</strong> Pluralisierungsprozesse den Haushaltskontext als solchen brüchiger bzw. zunehmend weniger stabil<br />
erscheinen. Insofern handelt es sich bei den Risikoausgleichsprozessen im Haushaltszusammenhang – zumindest auf der Mikroebene<br />
des jeweiligen Haushalts – um eine „Sicherheit auf Zeit“, ohne dass damit eine dauerhafte Absicherung gewährleistet wäre.<br />
Insgesamt ist zu erwarten, dass sich im Zuge der skizzierten Entwicklungen der sozialstaatliche Handlungsbedarf erhöhen wird. Ist doch<br />
der skizzierte Flexibilisierungsprozess mit einer wachsenden Anforderungen im Hinblick auf Sicherungs- <strong>und</strong> Integrationsaufgaben<br />
verb<strong>und</strong>en. So geht die Zunahme von Dauer <strong>und</strong> Häufigkeit von Phasen der erzwungenen Nichterwerbstätigkeit mit einem wachsenden<br />
Bedarf an sozialen Sicherungsleistungen in Form von monetären Transferleistungen einher. Zugleich wächst der Bedarf nicht nur<br />
an Hilfen <strong>für</strong> die (Wieder-)Eingliederung in das Arbeitsmarkt- <strong>und</strong> Beschäftigungssystem, sondern auch an Beratungs- <strong>und</strong> Unterstützungsleistungen<br />
im weiteren Sinne, um eine Orientierung <strong>und</strong> Hilfestellung in der zunehmend unübersichtlich werdenden<br />
Wirtschaftsgesellschaft zu ermöglichen. Dabei provoziert der Wandel der Lebensformen nicht nur in verstärktem Maße Leistungen zur<br />
Stabilisierung des Haushaltseinkommens, sondern auch Hilfen zur psychosozialen Stabilisierung <strong>und</strong> zur sozialen Integration.<br />
Was bedeutet dies <strong>für</strong> das letzte Netz sozialer Sicherung (vgl. Hanesch 2002)? Insgesamt signalisieren die Entwicklung der Leistungsempfängerzahl,<br />
die Veränderung der Struktur der Hilfeempfänger wie auch die Expansion der Sozialhilfeausgaben, dass die Sozialhilfe<br />
bereits im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte vor dem Hintergr<strong>und</strong> veränderter Rahmenbedingungen in quantitativer wie in qualitativer<br />
Hinsicht einen tief greifenden Bedeutungswandel durchlaufen hat. Faktisch muss dieses letzte Netz heute die Funktion einer<br />
allgemeinen Gr<strong>und</strong>sicherung nicht nur bei atypischen Notlagen, sondern auch beim Eintreten allgemeiner Lebensrisiken übernehmen.<br />
Die skizzierten Entwicklungstendenzen zu einer Flexibilisierung der Arbeits- <strong>und</strong> Lebensverhältnisse stellen daher gerade die Sozialhilfe<br />
vor tief greifende Herausforderungen.<br />
Soziale Sicherung <strong>und</strong> die Flexibilität der Arbeits- <strong>und</strong> Lebensformen stehen in einem komplexen Wechselverhältnis: Einerseits stellt<br />
die Flexibilisierung der Arbeits- <strong>und</strong> Lebenslage die soziale Sicherung vor neue konzeptionelle <strong>und</strong> finanzielle Herausforderungen.<br />
Andererseits stellen die Sicherungssysteme selbst Normgeber <strong>und</strong> Anreizsysteme dar, die zur Verbreitung <strong>und</strong> Akzeptanz flexibilisierter<br />
Arbeits- <strong>und</strong> Lebensmuster beitragen. Da zu erwarten ist, dass in Zukunft immer größere Bevölkerungsgruppen von den Auswirkungen<br />
der Flexibilisierung erfasst werden, ist davon auszugehen, dass sich durch die Flexibilisierungstendenzen der sozialstaatliche<br />
Handlungsbedarf in quantitativer Hinsicht erhöht. Ist doch die Zunahme der Flexibilität mit einer Zunahme des Bedarfs an Sicherungs-,<br />
Integrations- <strong>und</strong> Unterstützungsleistungen verb<strong>und</strong>en. Mindestens ebenso wichtig sind veränderte Anforderungen an die Qualität<br />
sozialstaatlicher Leistungen <strong>und</strong> Hilfen: Sollen langfristige Folgeprobleme (z.B. <strong>für</strong> die Beschäftigungsfähigkeit der Betroffenen) <strong>und</strong><br />
Folgekosten (<strong>für</strong> die <strong>private</strong>n wie <strong>für</strong> die <strong>öffentliche</strong>n Haushalte) vermieden werden <strong>und</strong> soll eine Akzeptanz in der Bevölkerung <strong>für</strong> die<br />
zunehmenden Flexibilisierungsanforderungen gesichert werden, muss das Eintreten zeitweiliger Phasen des Herausfallens aus der<br />
ökonomischen <strong>und</strong> sozialen „Normalität“ durch die Bereitstellung von effektiven Hilfen im Sinne von bedarfsgerechten „Netzen“ <strong>und</strong><br />
tragfähigen „Brücken“ bzw. „Sprungbrettern“ kompensiert werden.<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> sollten sozialstaatliche Leistungen einerseits daran ausgerichtet sein,<br />
• Phasen des Herausfallens aus der sozialökonomischen Normalität in sozialstaatlich angemessener Weise abzufedern (Sicherungsfunktion).<br />
Sie sollten zugleich eine problemlose Inanspruchnahme durch die Betroffenen gewährleisten.<br />
• Zugleich sollten sie jedoch auch das Ziel verfolgen, einen möglichst raschen wie nachhaltigen Übergang zurück in die ökonomische<br />
<strong>und</strong> soziale Integration zu ermöglichen.<br />
• Schließlich sollten sie den Bedrohten <strong>und</strong> Betroffenen die notwendige Orientierungshilfen geben, um diese Phasen auch in psychosozialer<br />
Hinsicht überstehen zu können.<br />
Der Flexibilisierungsprozess stellt gerade die Hilfe zum Lebensunterhalt als Sozialhilfe im engeren Sinne vor tief greifende Herausforderungen:<br />
Die Sozialhilfe muss als „Netz unter den Netzen“ die Defizite <strong>und</strong> Lücken der vorgelagerten Systeme auffangen <strong>und</strong><br />
kompensieren. Dies bedeutet: Je weniger die vorgelagerten Netze in der Lage sind, <strong>für</strong> allgemeine Lebensrisiken angemessene<br />
Leistungen bereitzustellen, desto mehr konzentriert sich der Handlungsbedarf auf das letzte Netz sozialer Sicherung. Und desto mehr<br />
konzentriert sich bisher der Hilfe- <strong>und</strong> Unterstützungsbedarf auf die Kommunen als „Sozialstaat in Reserve“. Die HLU besitzt einen<br />
sehr weit gespannten Leistungsauftrag. Dieser reicht von der Funktion einer sozialen Gr<strong>und</strong>sicherung über die Funktion, die Hilfebedürftigen<br />
wieder in Arbeit <strong>und</strong> Gesellschaft zu reintegrieren bis zur Aufgabe, die Hilfebedürftigen umfassend zu beraten <strong>und</strong> zu unterstützen.<br />
Durch den Wandel der Arbeits- <strong>und</strong> Lebensverhältnisse ist die HLU in jeder dieser Funktionen gefordert.<br />
Maßgeblich <strong>für</strong> den Anstieg der Fallzahlen in der HLU war <strong>und</strong> ist die Tatsache, dass die HLU in immer stärkerem Maße zur Absicherung<br />
allgemeiner Lebensrisiken herangezogen wird. Durch die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse <strong>und</strong> instabiler<br />
Erwerbsverläufe wird das F<strong>und</strong>ament der Sozialversicherung schmaler. Ein weiterer Bedeutungsverlust der primären Netze scheint<br />
insofern durch den Flexibilisierungsprozess vorprogrammiert. Aber auch Eingriffe der Politik in die vorgelagerten Leistungsnetze haben<br />
zu dieser Verlagerung der administrativen <strong>und</strong> fiskalischen Lasten beigetragen. Für die Bereitstellung effektiver Sicherungs- <strong>und</strong><br />
Integrationsleistungen ist insofern zu klären, inwieweit sie im primären oder im bisherigen letzten Netz bereitgestellt werden sollen;<br />
parallel hierzu ist zu klären, inwieweit vorrangig versicherungsförmige oder <strong>für</strong>sorgerechtliche Lösungen <strong>für</strong> diese Aufgabenstellung<br />
Anwendung finden sollen. Die Antwort auf diese Fragen wird vermutlich – je nach dem betrachteten Funktions- bzw. Aufgabenbereich<br />
– unterschiedlich ausfallen.<br />
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