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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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„Es wird immer jedes halbe Jahr mit dem Jugendamt ein Gespräch geführt über das, was man jetzt die ganze Zeit gemacht hat, ob es<br />

mir gut getan hat oder wo es noch hapert (…). Wenn man sieht oder ich sage selber, ich brauch das noch, dann krieg ich das auch noch<br />

weiterhin; <strong>und</strong> wenn ich sag, ich schaff’das alleine jetzt oder ich versuch’s, dann wird es auch eingeschränkt. Aber, wenn ich merk, ich<br />

brauch es wieder, dann kann ich es wieder beantragen.“<br />

Beteiligung – ganzheitliche <strong>und</strong> verlässliche Hilfe<br />

Neben den in diesem Hilfeverlauf sicherlich erkennbaren Momenten von gelingender Beteiligung, die im nächsten Abschnitt differenziert<br />

aufgegriffen werden, möchte ich zunächst auf zwei mit Partizipation zusammenhängende Aspekte hinweisen, die aus Sicht der<br />

AdressatInnen als besonders unterstützend erlebt werden. Indem die Familienhilfe Frau Weiss – wie sie es beschreibt – „überall“ unterstützt<br />

oder – mit anderen Worten – den Fall ganzheitlich angeht, gelingt es ihr, auf die allgemeine Überlastungs- <strong>und</strong> Überforderungssituation<br />

(„das Leben nicht mehr im Griff haben“) von Frau Weiss einzugehen. Der Betreuer interessiert sich eben nicht nur <strong>für</strong> die<br />

Fragen, die den engeren Komplex der Kindererziehung betreffen, sondern <strong>für</strong> alle wichtigen Bereiche des ganzen Familienlebens.<br />

Konkret in dem geschilderten Fall bedeutet dies beispielsweise, dass der Betreuer <strong>für</strong> Frau Weiss in den Konfliktsituationen mit den<br />

Vätern der Kinder, mit dem Sozialamt sowie den Schulen ihrer Kinder vermittelt <strong>und</strong> ihr Wege aufzeigt, diese zukünftig besser zu<br />

bewältigen. Er fördert die Kinder je nach ihrem individuellen Bedarf, indem er mit einzelnen oder allen zusammen etwas unternimmt<br />

sowie versucht, sie in regionale Freizeitangebote der Gemeinde <strong>und</strong> Aktivitäten der Jugendhilfestation (wie bspw. Mädchengruppe) zu<br />

integrieren. Mit Hilfe von Erkenntnissen aus der systemischen Familienarbeit gelingt es ihm, bei Frau Weiss Reflexionsprozesse über<br />

ihr bisheriges Leben anzustoßen <strong>und</strong> belastende Erlebnisse ein Stück weit aufzuarbeiten. Die ganzheitliche Unterstützung, die genau<br />

die Themen angeht oder aufarbeitet, die sich <strong>für</strong> Frau Weiss in ihrem Leben als problematisch erweisen, ermöglicht ihr sehr bald, „ihr<br />

Leben wieder in den Griff zu bekommen“. Dies steigert wiederum die Chancen <strong>für</strong> eine adäquate Erziehung <strong>und</strong> Förderung der Kinder<br />

innerhalb der Familie.<br />

Für Frau Weiss ist es des Weiteren eine wichtige Erfahrung, dass sowohl die Mitarbeiterin des Jugendamtes als auch ihr Betreuer des<br />

Mobilen Dienstes während des ganzen Hilfeprozesses „immer hinter ihr stehen“. Diese Verlässlichkeit, die <strong>für</strong> AdressatInnen auch<br />

ein Kriterium <strong>für</strong> professionelle Hilfe ist, wird in vielen Interviews in der Aussage „die sind immer da, wenn ich sie brauche“ formuliert.<br />

Interessant ist, dass dieser Punkt bei seiner genauen Betrachtung weder bedeutet, dass die Betreuung so organisiert sein muss, dass<br />

sie r<strong>und</strong> um die Uhr erreichbar ist, noch dass AdressatInnen häufig von dem Angebot, in Notfällen einen Bereitschaftsdienst anzurufen,<br />

Gebrauch machen. Allein die Tatsache aber, dass es jemanden bzw. eine Stelle wie die Jugendhilfestation gibt, an den/die man sich<br />

wenden kann, wird bereits als Unterstützung empf<strong>und</strong>en.<br />

Relevante Kriterien <strong>für</strong> eine gelingende Beteiligung aus Sicht der AdressatInnen<br />

(1) Transparenz des Jugendhilfeangebots1 Die allermeisten AdressatInnen haben vor Beginn einer Erziehungshilfe vom Jugendamt die Vorstellung, dass dieses entweder ziemlich<br />

willkürlich handelt oder aber in Notfällen wie dem ihrigen „sofort“ die Kinder stationär unterbringt. Dieses Bild wird in der Regel mit<br />

sehr ausdrucksstarken Begriffen gezeichnet, wie beispielsweise: das Jugendamt als „Kinderfänger“ oder „die arbeiten mit Tricks“. Über<br />

die Möglichkeiten im Rahmen von ambulanten Hilfen sind AdressatInnen in der Regel nicht informiert. So hatte Frau Weiss beispielsweise<br />

vor Inanspruchnahme der Hilfe lange Zeit Angst davor, dass ihre Kinder fremdplatziert werden könnten, da sie gehört hatte, dass<br />

dies die Regel bei allein erziehenden <strong>und</strong> kranken Müttern sei.<br />

Eine erste wichtige Voraussetzung da<strong>für</strong>, dass sich Eltern <strong>für</strong> die Inanspruchnahme einer Erziehungshilfe entscheiden, ist demnach die<br />

<strong>öffentliche</strong> Transparenz der Aufgaben <strong>und</strong> Angebote der Jugendhilfe. Dieser Punkt wird häufig von den AdressatInnen auch nach<br />

Beendigung ihrer Hilfe als Forderung <strong>für</strong> die Verbesserung der Jugendhilfearbeit formuliert. So beantworten zum einen bei einer<br />

schriftlichen Befragung in allen INTEGRA-Regionen (Koch u.a. 2002) die Eltern die Frage danach, ob sie Tipps geben könnten, wie<br />

Kindern/Jugendlichen oder Eltern in ähnlichen Situationen besser geholfen werden könnte, damit, dass die Angebote der Jugendhilfe<br />

v.a. an Schulen besser publik gemacht werden müssten. Zum anderen resümieren Eltern ihre Erfahrung mit Jugendhilfe in den Interviews<br />

sinngemäß häufig mit dem Satz: „Wenn ich das gewusst hätte, dass es so etwas gibt, hätte ich mich schon früher dahin gewandt …“<br />

(2) Passende Zeitpunkte <strong>für</strong> einen Hilfebeginn2 Wenn Menschen freiwillig entscheiden können, wann sie eine Hilfe in Anspruch nehmen, ist eine Basis <strong>für</strong> eine gelingende Beteiligung<br />

gelegt. Allerdings muss dazu immer ein allererster Kontakt zu Stande kommen, auf den in einer Krisensituation zurückgegriffen werden<br />

kann. Im Falle von Frau Weiss spielt die positiv verlaufene erste Phase der Unterstützung des Jugendamtes im Rahmen der Trennungs<strong>und</strong><br />

Scheidungsberatung eine entscheidende Rolle. So erlebt Frau Weiss den Kontakt, den die Jugendamtsmitarbeiterin mit ihr seit der<br />

ersten Scheidung hält, als ein niederschwelliges Angebot, auf das sie bei Bedarf zurückgreifen kann. Das abwartende <strong>und</strong> Hilfe anbietende<br />

Handeln des Jugendamtes ermöglicht es ihr, sich genau zu dem Zeitpunkt, an dem ihre Schwierigkeiten <strong>für</strong> sie unlösbar scheinen,<br />

aktiv <strong>und</strong> eigenverantwortlich Hilfe zu organisieren.<br />

Dieses Kriterium wird interessanterweise nicht nur von Eltern, sondern auch von Jugendlichen formuliert. Ein Mädchen, das von ihrer<br />

Fre<strong>und</strong>in in ein offenes Angebot einer Jugendhilfestation mitgenommen wird, schildert beispielsweise, wie wichtig es <strong>für</strong> sie war, dass<br />

sie diese über einen gewissen Zeitraum besuchen konnte, ohne gleich über ihre familiäre Situation berichten zu müssen. Erst als <strong>für</strong> sie<br />

der richtige Zeitpunkt gekommen ist, sich einer Betreuerin anzuvertrauen, wird eine weitere Erziehungshilfe initiiert.<br />

1) Die Begriffe werden im Folgenden synonym verwendet.<br />

2) Übrigens verweist dieser Sachverhalt auf eine typische Grenze auch flexibler Organisationen.<br />

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