Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
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Ich halte diese Regelungen <strong>für</strong> vernünftig <strong>und</strong> glaube, dass sie den Willen der Mehrheit unserer Bürger wiedergeben.<br />
Doch, meine Damen <strong>und</strong> Herren, bedenken wir: Erkenntnisse der Wissenschaft enden nicht an der Grenze eines Landes. Wissenschaft<br />
ist international, sie misst ihre Erkenntnisse in internationalem Maßstab. Dessen sollten wir uns bewusst sein, wenn wir allein in<br />
Deutschland Forschungsbarrieren errichten. Dasselbe gilt <strong>für</strong> die Bildungspolitik. Auch hier stehen wir im internationalen Wettbewerb.<br />
Die PISA-Studie hat gezeigt, dass es höchste Zeit ist, dass wir uns dieser Herausforderung stellen. Und damit komme ich zur kulturellen<br />
Dimension von Forschung <strong>und</strong> Bildung im internationalen Maßstab.<br />
Meine Damen <strong>und</strong> Herren,<br />
wir entdecken in diesem Zusammenhang in unserer Zeit mehr <strong>und</strong> mehr, dass Kultur nichts Statisches ist, sondern ein lebendiger Organismus.<br />
Kulturen konkurrieren miteinander. Dies kann friedlichen, kreativen Wettbewerb bedeuten. Es bedeutet aber leider auch, dass<br />
Kulturen miteinander Krieg führen können, wie es uns die Ereignisse seit dem 11. September schmerzlich vor Augen geführt haben.<br />
„Kultur“ ist also – entgegen landläufigem Verständnis – kein Luxus <strong>für</strong> schöne Mußest<strong>und</strong>en, sondern ein Thema von geradezu<br />
existentieller Bedeutung.<br />
„Kultur“ – das ist vor allem auch der Inbegriff aller ethischen <strong>und</strong> ästhetischen Maßstäbe, die das Denken, Empfinden <strong>und</strong> Handeln der<br />
Menschen leiten:<br />
- Sie ist ein Koordinatensystem, in dem Menschen sich orientieren, mit dessen Hilfe sie ihren geistigen Standort bestimmen können.<br />
- Sie definiert Gemeinschaft <strong>und</strong> Zugehörigkeit <strong>und</strong> damit auch das, was uns fremd erscheint. In diesem Sinne ist das Verständnis der<br />
eigenen Kultur ein Schlüssel zur eigenen Identität <strong>und</strong> das Verständnis anderer Kulturen ein Schlüssel zu anderen Identitäten.<br />
Es ist heute allerdings üblich geworden zu behaupten:<br />
- Jedes Individuum bleibe lebenslänglich Gefangener des kulturellen Koordinatensystems, in dem es aufgewachsen ist, <strong>und</strong><br />
- oberhalb der verschiedenen Koordinatensysteme könne es keine universellen Maßstäbe geben, die einen wertenden Vergleich von<br />
Kulturen ermöglichen. Von dieser Behauptung ist es dann nicht weit bis zu einem totalen Relativismus unter dem postmodernen Motto<br />
„Anything goes – alles ist erlaubt“.<br />
Eine solche Sicht widerspricht f<strong>und</strong>amental dem christlichen <strong>und</strong> humanistischen Verständnis vom Menschen, das den Kern unserer<br />
europäischen Zivilisation bildet. Nach diesem Verständnis ist der menschliche Geist universal. Das wiederum<br />
- verleiht uns die Fähigkeit, uns in das Denken, Empfinden <strong>und</strong> Handeln von Menschen in anderen Kulturen hineinzuversetzen,<br />
- <strong>und</strong> gibt uns die Möglichkeit, Kulturen übergreifende Maßstäbe zu entwickeln.<br />
Ohne diese Überzeugung gäbe es heute keine weltweit verbindlichen Menschenrechtsstandards, an denen sich jede Kultur messen lassen<br />
muss. So ist der Konsens in ethischen Fragen international auf einigen Gebieten erreicht worden in den letzten Jahren. Beispiele da<strong>für</strong><br />
sind:<br />
- die Charta der Menschenrechte,<br />
- die Welthungerhilfe,<br />
- das Wirken von Amnesty International,<br />
- die Bioethik-Konvention.<br />
Wissenschaftler <strong>und</strong> Gesellschaft haben die Verpflichtung, wissenschaftliche Erkenntnisse in diesem weltweiten Kontext zu reflektieren,<br />
eine schwierige Aufgabe, zumal in unserer Wohlstandsgesellschaft der Konsens in ethischen Fragen abnimmt.<br />
Aber, meine Damen <strong>und</strong> Herren, ich schlage den Bogen zurück zur Bildung <strong>für</strong> die Wissensgesellschaft:<br />
- Haben wir unsere junge Generation in diesem Sinne erzogen?<br />
- Haben wir sie auf die ethischen Herausforderungen eingestimmt?<br />
- Sind wir uns bewusst, dass die „Internet-Fähigkeit“ eine geistig-kulturelle Dimension umfasst, die auch die Gr<strong>und</strong>werte unseres<br />
Zusammenlebens betrifft?<br />
Ich möchte in Form weniger Fragen umreißen, was ich damit meine:<br />
- Wie steht es um unser Verständnis von Toleranz? Meinen wir damit die innere Offenheit gegenüber dem, was uns fremd ist, oder geht<br />
es uns nur um einen Freibrief <strong>für</strong> Gleichgültigkeit?<br />
- Was bedeutet uns Freiheit? Verstehen wir darunter nur die Zahl der Handlungsoptionen, über die ein Individuum verfügt, oder sind<br />
<strong>für</strong> uns Freiheit <strong>und</strong> Verantwortung die zwei einander ergänzenden Gr<strong>und</strong>sätze?<br />
- Welche Vorstellungen haben wir von Gerechtigkeit? In welchem Maße bedeutet sie das Recht, die Frucht eigener Anstrengungen zu<br />
genießen? Oder ist sie das Resultat einer anonymen Umverteilungsmaschinerie oder vor allem die Frucht des gerechten Handels vieler<br />
einzelner Menschen?<br />
- Wie müsste die gesellschaftliche Anerkennung von Leistungen aussehen, die zwar einen unendlich hohen Wert, in unserer Arbeitsgesellschaft<br />
aber keinen Preis haben, wie zum Beispiel die Erziehungsarbeit von Eltern?<br />
Welche Werte betrachten wir als gr<strong>und</strong>legend <strong>für</strong> das Weiterbestehen der freiheitlich demokratischen Ordnung in Deutschland als Teil<br />
der globalisierten Welt? Sind es Liberalismus <strong>und</strong> Toleranz, Verantwortungsbewusstsein <strong>für</strong> das Gemeinwohl <strong>und</strong> Zivilcourage oder<br />
sind es Durchsetzungsvermögen <strong>und</strong> Egoismus?<br />
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