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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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Im Mittelpunkt der Untersuchung von Arlie R. Hochschild steht die Analyse der Beziehungen zwischen Erwerbsarbeit <strong>und</strong> Familie. Am<br />

Rande geht sie jedoch auch immer wieder auf die Auswirkungen der beobachteten kulturellen Umwertungen auf das bürgerschaftliche<br />

Engagement ein. In den vorgestellten Fallstudien finden sich bei den Beschäftigten, die sich in der skizzierten „Zeitfalle“ befinden,<br />

mehrfach Hinweise, dass ein früher ausgeübtes Engagement angesichts der starken Einbindung in die Erwerbsarbeit nicht mehr möglich<br />

ist. Das würde bedeuten, dass die Veränderungen in der Arbeitswelt <strong>und</strong> die umfassende Inanspruchnahme der Beschäftigten durch die<br />

Erwerbsarbeit auch auf Kosten der Bürgergesellschaft geht. Unter Hinzuziehung der Ergebnisse der Studien Robert D. Putnams zur<br />

Entwicklung des sozialen Kapitals in den USA (vgl. Putnam 1995) stellt Hochschild die provozierende Frage: „Müssen wir daraus<br />

schließen, dass die Zeitfalle nicht nur zu einem Zuhause ohne Eltern, sondern auch zu einer Zivilgesellschaft ohne Teilnehmer <strong>und</strong> einer<br />

Demokratie ohne Bürger führt?“ (Hochschild 2002: 266).<br />

2. Wer ist bürgerschaftlich engagiert? Empirische Bef<strong>und</strong>e zum Zusammenhang von Erwerbsstatus <strong>und</strong> Engagement<br />

Zusammenhänge zwischen Erwerbsarbeit werden auch sichtbar, wenn man sich die empirischen Daten zur Zusammensetzung der<br />

Gruppe der engagierten Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger unter dem Gesichtspunkt ihres Erwerbsstatus anschaut. Allerdings lassen sich anhand<br />

der derzeit <strong>für</strong> Deutschland vorliegenden quantitativen Daten zur Ausprägung <strong>und</strong> Verteilung des Engagements keine Aussagen über<br />

Zusammenhänge zwischen Veränderungen in der Erwerbsarbeit <strong>und</strong> dem Engagement machen.<br />

Die Daten des Freiwilligensurveys ebenso wie die Ergebnisse des sozioökonomischen Panels kommen zu dem Ergebnis, dass die Gruppe<br />

der Erwerbstätigen in Deutschland zugleich auch die Kerngruppe der bürgerschaftlich Engagierten ist (vgl. dazu Rosenbladt 2000,<br />

Erlinghagen/Rinne/Schwarze 1999). Demnach sind Erwerbstätige die Bevölkerungsgruppe, die am stärksten engagiert ist, während<br />

Nicht-Erwerbstätige wie Arbeitslose <strong>und</strong> Rentnerinnen <strong>und</strong> Rentner beim Engagement unterrepräsentiert sind.<br />

Fähigkeiten <strong>und</strong> Qualifikationen, die in der Erwerbsarbeit gebraucht werden, sind auch wichtige Ressourcen <strong>für</strong> ein bürgerschaftliches<br />

Engagement <strong>und</strong> kommen auch beim Engagement zur Anwendung. Darüber hinausgehend wäre meine These, dass die Integration in<br />

Erwerbsarbeit auch Zugänge zu einem Engagement eröffnet, <strong>und</strong> möglicherweise gibt es auch den umgekehrten Effekt, dass die<br />

Integration in ein Engagement <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Netzwerke auch die Integration in Erwerbsarbeit befördern. Zentral wäre<br />

hierbei die soziale Integration, die über Erwerbsarbeit <strong>und</strong> zum Teil auch über ein Engagement hergestellt werden kann. Ansätze da<strong>für</strong><br />

lassen sich z.B. in Ostdeutschland beobachten, wo Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Engagement sehr viel enger verknüpft sind als in den<br />

westdeutschen B<strong>und</strong>esländern (vgl. dazu Jakob 2003).<br />

Differenzierter stellen sich die Zusammenhänge zwischen Erwerbsarbeit <strong>und</strong> Engagement allerdings dar, wenn man das Engagement<br />

von Frauen <strong>und</strong> Männern unterscheidet: Auch hier gilt, dass sich die Einbindung in die Arbeitswelt förderlich auf das Engagement<br />

auswirkt. So sind lediglich 19 % der Rentnerinnen <strong>und</strong> 23 % der arbeitslosen Frauen freiwillig engagiert gegenüber 32 % der weiblichen<br />

Erwerbstätigen (Zierau 2001: 57). Noch höher ist allerdings mit 37 % der Anteil der Engagierten bei den so genannten Familienfrauen,<br />

den Frauen, die aufgr<strong>und</strong> von familiären Verpflichtungen nicht erwerbstätig sind.<br />

Eine weitere Differenz bei der Engagementbeteiligung von Frauen <strong>und</strong> Männern besteht darin, dass die Beteiligung von erwerbstätigen<br />

Frauen stark von ihrer zeitlichen Einbindung in die Erwerbsarbeit abhängt (vgl. Zierau 2001: 62). Während bei Männern die in der<br />

Erwerbsarbeit geleistete Wochenarbeitszeit keine Rolle <strong>für</strong> ihr Engagement spielt, sieht dies bei erwerbstätigen Frauen ganz anders aus.<br />

Für Frauen gilt: Je stärker ihre zeitliche Einbindung in die Erwerbsarbeit, umso geringer fällt ihr Engagement aus. Frauen mit einer<br />

niedrigen Wochenarbeitszeit sind stärker freiwillig engagiert als erwerbstätige Frauen mit einer Vollzeiterwerbstätigkeit. So liegt der<br />

Beteiligungsgrad bei Frauen mit einer Arbeitszeit unter 20 Wochenst<strong>und</strong>en bei 37 % (ebd.). Von den vollzeiterwerbstätigen Frauen sind<br />

dagegen nur 26 % freiwillig engagiert.<br />

Diese Differenzen im Engagementverhalten von Frauen <strong>und</strong> Männern basieren auf nach wie vor wirksamen traditionellen Rollenmustern,<br />

nach denen die Frauen sehr viel stärker <strong>für</strong> familiäre Aufgaben zuständig sind als die Männer. Insbesondere <strong>für</strong> Frauen mit<br />

Kindern besteht eine „Zeitkonkurrenz“ zwischen den familiären Aufgaben <strong>und</strong> einem Engagement (Klenner/Pfahl/Seifert 2001),<br />

während dies bei den Männern kaum eine Rolle spielt – so jedenfalls die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen.<br />

3. Individuelle Kombinationen von Erwerbsarbeit <strong>und</strong> Engagement<br />

Auch wenn man die individuelle Seite des Engagements betrachtet, die Bedeutung, die das Engagement <strong>für</strong> die Engagierten selbst hat<br />

<strong>und</strong> wie es in die Lebensführung eingefügt wird, ergeben sich Bezüge zwischen der Erwerbsarbeit <strong>und</strong> dem Engagement. In ihrer Studie<br />

mit dem Titel „Lohn <strong>und</strong> Sinn. Individuelle Kombinationen von Erwerbsarbeit <strong>und</strong> freiwilligem Engagement“ arbeitet Ulrike Schumacher<br />

auf der Basis von Fallstudien mit Engagierten im Umweltbereich verschiedene Muster der Kombination von Erwerbsarbeit <strong>und</strong><br />

Engagement heraus (Schumacher 2002). Eine Variante der individuellen Kombination von Erwerbsarbeit <strong>und</strong> Engagement besteht<br />

demnach in einer gegenseitigen „Verstärkung“, indem Fähigkeiten, Arbeitsweisen <strong>und</strong> Werthaltungen sowohl in der Erwerbsarbeit als<br />

auch im Engagement zur Anwendung kommen. Das Engagement unterstützt damit die Erwerbsarbeit <strong>und</strong> umgekehrt können<br />

Erfahrungen aus der Erwerbsarbeit im Engagement nutzbar gemacht werden. In anderen Fällen beschränkt sich das Engagement auf<br />

eine ergänzende Funktion zur Erwerbarbeit <strong>und</strong> nimmt im Gefüge mit den anderen Lebensbereichen eher eine Nebenrolle ein.<br />

Die Funktion eines „Ausgleichs“ erhält das Engagement dann, wenn die aktuelle berufliche Situation aufgr<strong>und</strong> begrenzter Gestaltungsräume<br />

oder inhaltlicher Unterforderungen als defizitär empf<strong>und</strong>en wird. Mit dem Engagement wird der Wunsch nach politischer<br />

Gestaltung im Umweltbereich umgesetzt <strong>und</strong> können individuelle Fähigkeiten entfaltet werden, <strong>für</strong> die es in der Erwerbsarbeit keinen<br />

Ort gibt.<br />

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