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Jahresbericht 2001/2002 - Fritz Thyssen Stiftung

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KUNSTWISSENSCHAFTEN 116<br />

„Hyperkonkurrenz“ zu sprechen, die den idealen Nährboden für<br />

eine intensive, bis heute bestaunte künstlerische Produktivität auf<br />

allen Gebieten schuf. Im Medium der Grabkunst galt es für die Angehörigen<br />

der römischen Oberschicht immer wieder auf herausragende<br />

Familienangehörige zu verweisen, um damit die gesellschaftliche<br />

Position in der Gegenwart und für die Zukunft zu stabilisieren<br />

und nach Möglichkeit zu dynamisieren. Diese Verweisung<br />

musste – eine Folge der intensiven Konkurrenzsituation – in möglichst<br />

neuen, aufsehenerregenden Formen erfolgen. Wer auf sich<br />

hielt, verfügte nicht nur über eine Grab- und Familienkapelle, sondern<br />

stattete diese nach unterschiedlichen Gesichtspunkten aus.<br />

Die scheinbar für die Ewigkeit bestimmte marmorne Erinnerung an<br />

die Vorfahren gewinnt aus der „Vogelperspektive“ über die Jahrhunderte<br />

hinweg eine erstaunliche Lebendigkeit; ältere Grabmäler<br />

werden immer wieder umgebaut oder verschwinden ganz, um Platz<br />

für jüngere Generationen zu machen – auch der Tod hat eine Halbwertzeit.<br />

Diese ist um so kürzer, je intensiver das Medium „Grabmal“ für propagandistische<br />

Zwecke genutzt wurde. Dabei musste es durchaus<br />

nicht immer nur um die Selbstdarstellung der Auftraggeberfamilie<br />

gehen. Vielmehr ergab sich eine Vielzahl von stets im Einzelfall zu<br />

untersuchenden Verwendungsmöglichkeiten. Ein Grabmal konnte<br />

als aggressives politisches Manifest dienen, wie im Falle des Monumentes<br />

für Papst Leo XI. de’Medici († 1605) oder zur Rechtfertigung<br />

eines in politischen Schwierigkeiten steckenden Ordens genutzt<br />

werden, wie sich am Beispiel der Grablege Papst Gregors XV.<br />

(† 1623) zeigen lässt. Darüber hinaus deutet sich nach den bisherigen<br />

Ergebnissen des Forschungsprojektes ein Mechanismus der Stil- und<br />

Formentwicklungen an, die in zahlreichen Fällen vom sozialen Stand<br />

des Toten und dessen Familie abhängen. Dabei geht es nicht um arm<br />

oder reich, sondern vielmehr um die hierarchische Stellung an der<br />

Kurie. Viele Faktoren deuten darauf hin, dass Künstlerwahl und<br />

Grabmalsform häufig von kommunal-, national- oder europapolitischen<br />

Situationen abhängen. Nach dem bisherigen Stand der Untersuchungen<br />

ist zu vermuten, dass Form und propagandistische Funktion<br />

in keiner Kunstgattung so eng verknüpft waren, wie im Falle der<br />

römischen Grabmalskultur. Die Papst- und Kardinalsgrabmäler sind<br />

dabei nur die Spitze des Eisberges, die aufgrund der guten Quellenlage<br />

ein ergebnisreiches Betätigungsfeld sind. Die Entstehungszusammenhänge,<br />

die Form und Funktion der Grabmonumente so deutlich<br />

prägen, veranschaulichen, in welchem Maße die Analyse der römischen<br />

Grabkultur zwischen 1420 und 1800 geeignet ist, nicht nur<br />

die Geschichte der Ewigen Stadt zu verstehen, sondern auch Rückschlüsse<br />

auf die Entwicklung von Kunst und Gesellschaft sowie deren<br />

Wechselverhältnis gestattet.<br />

Informationen zu Fragestellungen, Ergebnissen und Publikationen<br />

des Projektes sind unter www.requiem-project.de zu erhalten.

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