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Jahresbericht 2001/2002 - Fritz Thyssen Stiftung

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Jiddische<br />

Musik<br />

KUNSTWISSENSCHAFTEN 136<br />

Hochfesten des Kirchenjahres (das Fragment eines Fronleichnahmformulars<br />

ist noch in einer dritten Quelle überliefert) zugrundeliegen.<br />

Der „Wochenpsalter“ beinhaltete die auf die sieben Wochentage<br />

verteilten 150 Psalmen mit den sie umgebenden Gesängen. Das<br />

„Festtagsantiphonar“ enthält ebenfalls alle für den Vollzug des Stundengebets<br />

erforderlichen Gesänge, der zweite Teil der Handschrift,<br />

das Brevier, die Gebete und Lektionen. In der Edition werden beide<br />

Teile der Handschrift in zwei Spalten synoptisch dargestellt.<br />

Die Umstände der Entstehung sind durch verschiedene Einträge ein<br />

Stück weit benennbar. Die Rubriken – beispielsweise die Anmerkung:<br />

„So hebt die Singerin an ...“ – verraten als Bestimmungsort beider<br />

Handschriften zweifelsfrei einen Nonnenkonvent. Als Schreiber<br />

der Wiener Handschrift gibt sich ein Erasmus Werbener von Delitzsch<br />

zu erkennen. Er dürfte im Auftrag von Kaiser Friedrich III. von Österreich,<br />

dessen Devise in der Vokalfolge A.E.I.O.V. zusammen mit der<br />

Jahreszahl 1477 auf der ersten Seite des Codex erscheint, gearbeitet<br />

haben. Der Kaiser hatte sich kurz zuvor für das Bistum Wien eingesetzt,<br />

und es scheint, dass ihm die Einführung deutschsprachiger<br />

Stundengebetsbücher, zumindest in Frauenstiften, ein Anliegen war.<br />

Die Frage, für welchen Nonnenkonvent die neuen Bücher bestimmt<br />

waren, kann nur hypothetisch beantwortet werden. Vieles spricht für<br />

den Augustinerinnen-Konvent Maria Magdalena vor dem Wiener<br />

Schottentor, der just zur Zeit der Entstehung der Stundengebetsbücher<br />

in ein Chorfrauenstift umgewandelt wurde. Auch die Münchener<br />

Quelle dürfte im Zusammenhang mit den in jenen Jahren<br />

durchgeführten Reformen zu tun haben. Was den beiden Quellen ihre<br />

Bedeutung verleiht, ist die Tatsache, dass hier – nach dem heutigen<br />

Kenntnisstand einmalig – ein dem lateinischen Modell nachgebildetes<br />

Stundengebet vorliegt, das einen Nonnenkonvent den Psalter, die<br />

Gesänge, Gebete und Lesungen vollständig in deutscher Übersetzung<br />

und mit den notwendigen Anpassungen der Melodien anbot.<br />

Für das Archivierungs- und Katalogisierungsprojekt „Jiddische Lieder<br />

und Klezsmermusik“ stellte die <strong>Stiftung</strong> Prof. K. E.Grözinger (Jüdische<br />

Studien, Universität Potsdam) Fördermittel zur Verfügung.<br />

Gegenstand des Projektes ist das von dem Jiddisten, Chasan (Vorbeter)<br />

und Musikwissenschaftler David Kohan in Berlin von 1945 bis ca.<br />

1990 angelegte Archiv von 325 Tonbändern und Audiocasetten.<br />

Die Sammlung wurde nach seinem Tod durch Mittel des Berliner Senats<br />

und der Universität Bamberg angekauft und anschließend von<br />

dem Musikethnologen Prof. Max Peter Baumann (Bamberg) der Universität<br />

Potsdam überlassen. Hervorzuheben ist vor allem die Bandbreite<br />

und Vollständigkeit der Sammlung Kohans. Neben seltenen<br />

ethnografischen Feldaufnahmen und selbst in osteuropäischen Archiven<br />

kaum zu findenden frühen Schallplattenaufnahmen enthält<br />

sie auch zahlreiche Rundfunksendungen zu jiddischer Musik aus aller<br />

Welt. Sie bildet damit nicht nur den Kern einer in Potsdam aufzubauenden<br />

Fonothek jiddischer Musik, sondern dient gleichzeitig als

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