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Jahresbericht 2001/2002 - Fritz Thyssen Stiftung

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47<br />

GESCHICHTSWISSENSCHAFTEN<br />

Emanzipation, Akkulturation bzw. Assimilation und Integration der<br />

Juden zählen zu den wichtigen Wandlungsprozessen in der Entstehungsphase<br />

der modernen Gesellschaft. Der Beginn dieses Wandels<br />

wird in der Regel auf die Zeit um 1780 datiert. Als Ausgangspunkte<br />

gelten das Erscheinen der Emanzipationsschrift Wilhelm von Dohms<br />

und die nahezu gleichzeitigen Josephinischen Toleranzedikte. Politik-<br />

und sozialgeschichtlich fassbare Veränderungen werden dann<br />

seit der napoleonischen oder der preußischen Emanzipationspolitik<br />

(1808/12) konstatiert. Die wichtige und in ihrer Qualität umstrittene<br />

„Inkubationsphase“ des Transformationsprozesses der jüdischen<br />

Gesellschaft reicht jedoch in die Frühe Neuzeit zurück. Sie fand in<br />

ihrer sozial- und kulturgeschichtlichen Ausprägung überwiegend in<br />

der jüdischen Oberschicht statt. Diese stand als gebildete ökonomische<br />

Elite an der Spitze einer auf Wohlstand und Ansehen gegründeten<br />

Hierarchie innerhalb der jüdischen Gesellschaft.<br />

Eine besondere Stellung innerhalb dieser Schicht nahm die Gruppe<br />

der „Hofjuden“ ein. „Hofjuden waren jüdische Kaufleute, deren Geschick,<br />

Durchsetzungsvermögen, Diensteifer und Risikobereitschaft,<br />

Herkunft und Beziehungen es ihnen ermöglichte, in ein auf Kontinuität<br />

angelegtes Dienstleistungsverhältnis zu einem höfisch strukturierten<br />

Herrschaftszentrum zu treten“ (Ries, Hofjuden als Vorreiter<br />

auf dem Weg in die Moderne?, <strong>2001</strong>). Ihr Wirken konzentrierte sich<br />

auf den mitteleuropäischen Raum zwischen etwa 1650 und 1820. Ihr<br />

Tätigkeitsspektrum reichte von einfachen Hoflieferungen und<br />

Dienstleistungen bis hin zur Finanzorganisation des absolutistischen<br />

Staates. Es eröffnete ihnen bedeutende Verdienstmöglichkeiten, politischen<br />

Handlungsspielraum und neue Kommunikationsformen. Einen<br />

Wandel der jüdischen Kultur bedeutete dies jedoch zunächst<br />

nicht. Erst in einer zweiten Phase zwischen 1730 und 1770 lockerten<br />

sich zeitweise die Bindungen der Hofjuden an die jüdische Tradition.<br />

Angesichts einer nicht mehr ausschließlichen jüdischen Sozialisation<br />

und durch eine Fülle ihnen zur Verfügung stehender Repertoires<br />

verunsichert, ließ sich die Generation der in dieser Zeit geborenen<br />

Nachkommen besonders bei ökonomischem Misserfolg häufig taufen.<br />

Die spät aufsteigenden Hofjuden seit 1770 dagegen fanden ein<br />

von der europäischen Aufklärung geprägtes Umfeld vor, in dem gehobener<br />

Lebensstil und erweiterte Kommunikationsmöglichkeiten<br />

neuen Handlungsspielraum für eine jüdische Politik eröffnete, die<br />

auch auf Emanzipation und Reform zielen konnte und dabei das traditionelle<br />

kulturelle Selbstverständnis sowie die gesammelten politischen<br />

Erfahrungen integrierte.<br />

Ziel der Untersuchung ist es, die Akkulturation der jüdischen Oberschicht<br />

und darin besonders der Hofjuden zu analysieren. Darüber<br />

hinaus soll mit der Frage nach dem Handlungsspektrum zwischen<br />

Tradition und kulturellem Wandel sowie mit der Frage nach dem Beginn<br />

der jüdischen Moderne ein Beitrag zu einer differenzierteren<br />

Sicht des Transformationsprozesses, seiner Akteure und seiner alltäglichen<br />

kulturellen Relevanz geleistet werden. Durch eine proso-

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