Jahresbericht 2001/2002 - Fritz Thyssen Stiftung

Ästhetische
Moderne
SPRACH- UND LITERATURWISSENSCHAFTEN 164
Verhältnisses von Individualität und Geschichte als Konzeptualisierung
von Trauma gelesen werden kann.
– Die Verarbeitung und Inszenierung traumatischer Ereignisse in
literarischen – zumeist fiktionalen und autobiographischen – Texten
(u. a. von C. Baudelaire, M. Proust, L.-F. Céline, M. Blanchot,
C. Simon, N. Sarraute, M. Duras, S. Kofman, G.Perec, R. Antelme,
P. Levi, M. Leiris, R. Char).
In diesem Zusammenhang wird das Verhältnis von Schock, Melancholie,
Zeugnis und Trauma in literarischen Texten und ästhetischer
Theorie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bestimmt.
Daneben werden literarische Vermittlungen von Erfahrungen historischer
Traumata wie Krieg, Verfolgung und Shoa im Verhältnis von
Geschichte, Gewalt und Fiktion untersucht. Das Forschungsinteresse
erstreckt sich auch auf Texte der frühen Neuzeit (Tasso, Motaigne,
Agrippa d’Aubigné) und richtet sich u. a. auf die Frage nach strukturellen
Mustern von traumarepräsentierenden bzw. -modellierenden
Verfahren der Vermittlung zwischen traumatischer historischer Erfahrung
und Narration.
Bisher sind folgende Ergebnisse publiziert:
Pfeiffer, Helmut: Traumatisches Gedächtnis. Claude Simons
Route des Flandres. – In: Domänen der Literaturwissenschaft.
Hrsg. Herbert Jaumann ... . Tübingen 2001. S. 315–338.
Pfeiffer, Helmut: Der Garten der Kultur und die Gewalt der
Geschichte. Claude Simons Jardins des Plantes. – In: Poetologische
Umbrüche. München 2002. S. 156–176.
Heymann, Brigitte: Inszenierungen der Unsterblichkeit – Figuren,
Interpretationen und Verwandlungen der Gerusalemme liberata.
– In: Spielwelten. Performanz und Inszenierung in der Renaissance.
Hrsg.: K. W. Hempfer; H. Pfeiffer. Stuttgart 2002. (Im
Druck).
Prof. G. Braungart (Institut für Germanistik, Universität Regensburg)
erhält für das Projekt „Spiritismus und ästhetische Moderne. Berlin
und München als Zentren“ Stiftungsmittel.
Die interdisziplinäre und kulturwissenschaftlich orientierte Forschung
der letzten Jahre befasst sich zunehmend mit dem Okkultismus
und verwandten Bewegungen, die insbesondere in den Jahrzehnten
um 1900 das Profil der Epoche prägten. Dabei handelt es
sich bei diesen spiritistischen Strömungen um ein Symptom, das im
Kernbereich der Modernität anzusiedeln ist. Denn der Spiritismus
macht sich zum einen die damals neuesten medial-technischen Errungenschaften
zunutze (etwa Methoden der Spezialphotographie)
und bildet zum anderen eine Subjektphilosophie aus, welche die
Verabschiedung des autonomen Subjekts betreibt, wie es seit der
Aufklärung und dem Idealismus bis ins 19. Jahrhundert modelliert
war. Darin liegen entscheidende Berührungspunkte mit der moder-