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Jahresbericht 2001/2002 - Fritz Thyssen Stiftung

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Vertriebene<br />

jüdische<br />

Wissenschaftler<br />

GESCHICHTSWISSENSCHAFTEN 68<br />

Zellwolleindustrie überprüft. Dabei hat sich herausgestellt, dass der<br />

Kapazitätsausbau in dieser Branche nur zu einem kleinen Teil durch<br />

staatlich verbürgte Kredite gefördert wurde. Das Amortisationsrisiko<br />

wurde überwiegend von den Unternehmen getragen – bei entsprechend<br />

geringen Mitspracherechten des Staates. Der Grund dafür<br />

war, dass die Unternehmen ohnehin erheblich in dieser Branche investieren<br />

wollten. Dabei orientierten sie sich an der Absatzentwicklung<br />

in solchen Ländern, in denen, wie etwa in den USA, im Unterschied<br />

zum Deutschen Reich, keine Autarkiepolitik betrieben wurde<br />

und in denen dennoch während der dreißiger Jahre eine erhebliche<br />

Ausdehnung des Chemiefaserkonsums zu beobachten war. Zugleich<br />

zeigte sich, dass die Verhandlungen zwischen den etablierten Chemiefaserproduzenten<br />

und dem Staat dem Bild normaler Vertragsverhandlungen<br />

entsprachen. In manchen Fällen kam es zu keinem Vertragsabschluss,<br />

weil Staat und Unternehmen sich nicht einigen konnten.<br />

Auf der Grundlage dieser Ergebnisse lassen sich erste Aussagen<br />

über eine weitere wichtige Fragestellung des Projekts machen, nämlich<br />

inwieweit die NS-Wirtschaftspolitik zu einer langfristigen Modernisierung<br />

der deutschen Industrie beigetragen hat. Für die Chemiefaserbranche<br />

kann demnach aus dem Umstand, dass die Produkte<br />

unter marktwirtschaftlichen Bedingungen nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg wettbewerbsfähig waren, nicht geschlossen werden, dass<br />

dies hauptsächlich eine, wenn auch nicht intendierte, Folge der Industriepolitik<br />

des NS-Regimes war. Diese, auf vergleichende Überlegungen<br />

gestützte, Methode der Rekonstruktion unternehmerischer<br />

Erwartungen empfiehlt sich grundsätzlich ebenfalls für die Betrachtung<br />

anderer industrieller Branchen im Dritten Reich. Nicht jede Änderung<br />

zwischen 1933 und 1939 muss nämlich, selbst wenn sie mit<br />

den Zielen des NS-Regimes konform ging, notwendigerweise von<br />

der NS-Wirtschaftspolitik angestoßen worden sein.<br />

Die <strong>Stiftung</strong> stellte PD Dr. L. Mertens (Fakultät für Sozialwissenschaften,<br />

Universität Bochum) für das Projekt „Vertriebene jüdische<br />

Wissenschaftler“ Fördermittel zur Verfügung.<br />

In der Forschungsliteratur zur Emigration nach 1933 fehlt bislang ein<br />

Überblick darüber, wer an deutschen Hochschulen im Jahre 1933<br />

gelehrt hat. Von einzelnen Hochschulen gibt es zwar Verzeichnisse<br />

über die vertriebenen Ordinarien. Diese berücksichtigen jedoch selten<br />

Privatdozenten, Honorarprofessoren und Assistenten. Diese<br />

Lücke dürfte die systematische Auswertung eines 1998 von Dr. Mertens<br />

in den Hoover Institution Archives (Stanford University) aufgefundenen,<br />

archivalisch kaum erschlossenen, 221 Manuskriptkartons<br />

umfassenden Propagandabestandes mit dem Titel „Gesamtverband<br />

deutscher antikommunistischer Vereinigungen“ füllen. Diese Akten<br />

sind von den amerikanischen Besatzungstruppen in den Jahren<br />

1945/46 beschlagnahmt und in den 50er Jahren der auf die Erforschung<br />

des Dritten Reiches spezialisierten Hoover Institution of War,<br />

Revolution and Peace übergeben worden. Sie enthalten Übersichten

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