Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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des <strong>Marxismus</strong> haben hier häufig mit der Gegenthese eingehakt, Objektivität <strong>und</strong> Parteilichkeit<br />
müßten a priori ein Widerspruch sein, Aussagen über das Sein <strong>und</strong> solche über<br />
ein Sollen lägen auf Ebenen, zwischen denen kein Übergang stattfinde. In der Praxis ist<br />
die These von der Parteilichkeit im <strong>Marxismus</strong> sehr unterschiedlich aufgefaßt worden.<br />
Marx selbst spricht relativ allgemein davon, daß seine Theorie, sofern sie überhaupt die<br />
Interessen einer Klasse vertrete, nur die der Arbeiterklasse verfechten könne. 33 Darauf<br />
konnte man sich sowohl berufen, wenn es darum ging, <strong>soziale</strong> Verantwortung der Wissenschaft<br />
<strong>für</strong> die Unterprivilegierten zu postulieren, als auch bei der These von der Partei,<br />
die immer recht hat <strong>und</strong> die - in der Stalin-Ära - daraus das Recht ableitet, „Abweichler“<br />
im Namen der durch das Politbüro ausgelegten Wahrheit zu verfolgen.<br />
Heute liest es sich meist so, daß die von der „bürgerlichen Wissenschaft“ geforderte<br />
Wertfreiheit Heuchelei oder wenigstens Illusion sei; ein solcher Objektivismus verberge<br />
nur die bürgerlich-prokapitalistische Parteilichkeit: In einer klassengespaltenen Gesellschaft<br />
könne es keine über den Klassen schwebende Position geben, denn letztlich ordneten<br />
sich auch die geistigen Auseinandersetzungen in den Kontext des nationalen <strong>und</strong><br />
internationalen Klassenkampfes ein. Man will allerdings zwischen Klassen-, Interessen-<br />
<strong>und</strong> Wahrheitsproblem hinsichtlich der Natur- <strong>und</strong> Sozialwissenschaften unterschieden<br />
sehen. Bei der ersteren seien die Ergebnisse unmittelbar klassen-neutral <strong>und</strong> nur hinsichtlich<br />
ihrer weltanschaulichen Interpretation parteilich zu behandeln. Diese Auffassung<br />
ist sicher auch die Frucht der Einsicht in die schädlichen gesellschaftlichen, vor allem<br />
auch ökonomischen Folgen, die ideologisch motivierte Eingriffe der Partei in den wissenschaftlichen<br />
Prozeß hatten, - man denke an den Fall Lyssenko <strong>und</strong> die Verdammung der<br />
Kybernetik als ,bürgerlich‘. Der Klassenstandpunkt allein, so die heute herrschende Meinung<br />
in den sozialistischen Ländern, verbürgt noch nicht die Wahrheit. Er soll nur die<br />
Voraussetzung vorurteilsloser Forschung sein: Nur das Proletariat, weil objektiv an gr<strong>und</strong>legender<br />
gesellschaftlicher Veränderung interessiert, habe keine klassenbedingten Erkenntnisscheuklappen<br />
in bezug auf die Aufdeckung der Gesetze der Geschichte. Anders<br />
die Bourgeoisie, die zwar Naturwissenschaft <strong>und</strong> Technik zu entwickeln bestrebt sei, aber<br />
an gesamtsoziologischer Erkenntnis desinteressiert, da sie sich darüber täuschen wolle,<br />
daß ihr gesellschaftliches System zum Untergang verurteilt.<br />
101<br />
33 MEW 23, S. 22.