Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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jedoch den politischen Kampf, bei dem es letztlich um die Staatsmacht geht. Jede<br />
Staatsmacht ist nach marxistischer Lehre in Wahrheit eine Klassendiktatur, <strong>und</strong> wenn die<br />
Arbeiterklasse zur Durchsetzung ihrer Interessen die „Diktatur des Proletariats“ erkämpft,<br />
ersetzt sie nur die Diktatur der Minderheit durch die Diktatur über die Minderheit. Ebenfalls<br />
<strong>für</strong> unverzichtbar hält man den ideologischen Kampf, der ein Kampf um Einfluß auf<br />
das Denken <strong>und</strong> in gewissem Sinne auch auf das Fühlen der Menschen ist. Es war Lenins<br />
Gr<strong>und</strong>these in „Was tun“, daß sich sozialistisches Klassenbewußtsein in der Arbeiterklasse<br />
nicht spontan bildet; eine proletarische Avantgardepartei mit marxistischer Ideologie<br />
muß das richtige Bewußtsein in die Klasse hineintragen <strong>und</strong> ihren Kampf auf das<br />
sozialistische Ziel hin ausrichten. Eine Gewerkschaft reicht dazu nicht aus, sondern es<br />
bedarf der höchsten Form der Klassenorganisation: nur die Partei kann die richtige Verbindung<br />
von Strategie <strong>und</strong> Taktik, von Kampf um Reformen <strong>und</strong> einzelne Verbesserungen<br />
mit dem Ansteuern der Revolution gewährleisten. 6<br />
Für Marx ist das Endziel der Arbeiterklasse -im Gegensatz zu allen anderen revolutionären<br />
Klassen in der Geschichte, die letztlich nur neue Ausbeutungsverhältnisse an die<br />
Stelle der alten setzten -der Kommunismus, eine klassenlose ausbeutungsfreie Gesellschaft.<br />
Die Arbeiterklasse kann sich nur befreien, ihre eigene Existenz als unterdrückte<br />
Klasse nur aufheben, in dem sie alle Klassenverhältnisse aufhebt: In dieser Aufhebung<br />
besteht der Prozeß der Entwicklung der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft. Die<br />
Arbeiterklasse verbündet sich im Kampf <strong>für</strong> die neue Gesellschaft mit allen anderen werktätigen<br />
Volksschichten, deren Interessen mit denen des großen Kapitals divergieren, die<br />
auf der anderen Seite aber nicht die entscheidende antikapitalistische Rolle spielen können:<br />
ohne die Arbeiterklasse wäre keine von ihnen imstande, eine wirkliche <strong>soziale</strong> Umwälzung<br />
zu vollbringen. 7<br />
Wie stellt man sich den Aufbau des Kommunismus vor? Die Diktatur des Proletariats<br />
legt den Gr<strong>und</strong>stein <strong>für</strong> die klassenlose Gesellschaft. In einer Übergangsperiode werden<br />
die Ausbeuterklassen im <strong>soziale</strong>n Sinne beseitigt. Ihre ehemaligen Angehörigen sollen<br />
jedoch - bei „weitestmöglicher Nutzung ihrer Spezialkenntnisse in technischwirtschaftlichen<br />
Fragen - in den sozialistischen Produktionsprozeß einbezogen werden.“ 8<br />
Während man Großeigentum sofort verstaatlicht, kann es bei kleinen <strong>und</strong> mittleren kapitalistischen<br />
Betrieben auch den Weg zunehmender staatlicher Beteiligung <strong>und</strong> schließlichen<br />
Aufkaufs geben. Das Eigentum der Bauern <strong>und</strong> Handwerker soll über den genossenschaftlichen<br />
Weg allmählich sozialisiert werden. Allmählich sollen auch die <strong>soziale</strong>n<br />
Unterschiede zwischen körperlicher <strong>und</strong> geistiger Arbeit, Stadt <strong>und</strong> Land usw. beseitigt<br />
werden. Die zunächst noch bestehenden Widersprüche zwischen den Klassen <strong>und</strong><br />
Schichten im Sozialismus haben bereits keinen unversöhnlichen, antagonistischen Charakter<br />
mehr. Der sozialistische Aufbau soll zu einer sittlichen Erneuerung der Gesellschaft<br />
führen, den neuen Menschen schaffen. Die fortbestehenden Formen anti<strong>soziale</strong>n Verhaltens<br />
wie „Habgier, Bestechlichkeit, Müßiggang, Verleumdung, anonyme Krittelei, Trunksucht<br />
<strong>und</strong> dergleichen“ erklärt man sich teils daraus, daß der Sozialismus noch ein junger,<br />
sich erst entwickelnder <strong>soziale</strong>r Organismus ist, teils daraus, daß die kapitalistischimperialistischen<br />
Staaten auf das Bewußtsein der Bürger der sozialistischen Länder einwirken.<br />
9<br />
Daß der <strong>Marxismus</strong> die Klassenunterschiede als die entscheidenden Unterschiede<br />
ansieht, bedeutet nicht, daß er den nationalen Unterschieden keine Bedeutung beimißt.<br />
Und so wie er die <strong>soziale</strong> Psychologie der Klassen zwar letztinstanzlich aus der Ökonomie<br />
sich herleiten läßt, ohne sie jedoch unmittelbar in ihr aufzulösen, so verfährt er auch<br />
gegenüber dem Problem der nationalen Psychologie. Betrachtet man die Entwicklung der<br />
„historischen Typen von Menschengemeinschaften“ 10 , so ergibt sich die Abfolge:<br />
„Gens/Sippe - Stamm - Völkerschaft - Nation“. Die Blutsbande sind <strong>für</strong> die ersten Vergesellschaftungsformen<br />
der Menschen die entscheidenden. Erst später mit der Zersetzung<br />
der Urgemeinschaft <strong>und</strong> ihrer primitiven Produktionsorganisation verbindet das gemeinsame<br />
Territorium die Menschen in ähnlichem Maße wie früher die Blutsbande allein<br />
es taten. Die Tauschwirtschaft zerbricht die Grenzen der ethnischen Gemeinschaften <strong>und</strong><br />
führt zum Entstehen größerer Einheiten. - So wird in marxistischer Sicht die Nation geboren,<br />
die sich auch politisch zentralisiert. Eine Nation ist eine Gemeinschaft von Menschen,<br />
die durch gemeinsame Sprache, gemeinsames Territorium, Gemeinsamkeit des<br />
6<br />
LW 5. Vgl. a. Sagladin 1973, S. 11ff.<br />
7<br />
Vgl. MEW 4, 472 f.<br />
8<br />
Wissenschaftlicher Kommunismus, S. 338.<br />
9<br />
L.I. Breshnew, Auf dem Weg Lenins, Bd. 3, 1973, S. 313, vgl. 223, 321.<br />
10<br />
Konst., S. 368.<br />
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