Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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Plackerei“ fertig zu sein, heißt es 1851. 16 Und dann dauert es bis 1867, bis endlich der<br />
erste Band des großen Werks „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“ erscheint.<br />
Die Gr<strong>und</strong>idee darin ist die alte: der Kapitalismus ist mit Notwendigkeit zum Untergang<br />
verurteilt. Nur daß jetzt ökonomisch exakt „bewiesen“ wird, daß sämtlicher Mehrwert Resultat<br />
kapitalistischer Ausbeutung ist <strong>und</strong> daß die Gesetze von Kapitalakkumulation <strong>und</strong><br />
tendenziellem Fall der Profitrate die Revolution des Proletariats herbeizwingen müssen.<br />
Dabei ist die dialektische Begriffskunst, etwa in der sogenannten Wertformanalyse, zu<br />
höchster Vollendung gebracht.<br />
Marxens Lebenssituation ist bedrückend. Von Karbunkeln geplagt, ewig in Geldnöten,<br />
die die häusliche Harmonie nicht steigern, ist er auf die Zuwendungen von Fre<strong>und</strong> Engels<br />
angewiesen. Der ist großzügig <strong>und</strong> zahlt, was er kann, wenn er auch auf den „hündischen<br />
Kommerz“ schimpft, dem er deshalb in Manchester im Kontor der Firma „Ermen & Engels“<br />
frönen muß. Band 2 <strong>und</strong> 3 des „Kapital“ muß Engels aus einem Wust von Notizen<br />
nach Marxens Tod 1883 druckreif machen.<br />
Die ökonomischen Studien haben nicht verhindert, daß Marx <strong>und</strong> Engels sich auch<br />
praktisch um den Aufschwung der Arbeiterbewegung gekümmert haben. Sie haben 1864<br />
an der Gründung der I. Internationale mitgewirkt, haben innerhalb der Internationale die<br />
Auseinandersetzung insbesondere mit den anarchistischen „Antiautoritariern“ geführt,<br />
haben der entstehenden Sozialdemokratie in Deutschland mit ihrem Rat <strong>und</strong> ihrer - nicht<br />
immer wohlgelittenen - Kritik beigestanden.<br />
Historische Schicksale <strong>und</strong> Hauptströmungen des <strong>Marxismus</strong> 17 : Die<br />
Spaltungen der Arbeiterbewegung<br />
Als Engels stirbt - 1895 - hat sich der <strong>Marxismus</strong> in der Arbeiterbewegung auf dem<br />
Kontinent im wesentlichen durchgesetzt. 1889 war in Paris die II. Internationale gegründet<br />
worden; sie hatte den 1. Mai als Kampftag der Arbeiterschaft proklamiert <strong>und</strong> den<br />
Acht-St<strong>und</strong>en-Tag gefordert. Die deutsche Sozialdemokratie hatte sich zu einer Massenpartei<br />
entwickelt, der auch die Sozialistengesetze des Bismarck-Reichs nichts ernstlich<br />
anhaben konnten.<br />
Aber da<strong>für</strong> entwickelte sich nun gleichzeitig innerhalb der Arbeiterbewegung der Streit<br />
um Interpretation <strong>und</strong> Geltung des <strong>Marxismus</strong>. Die Auseinandersetzung setzte sich dann<br />
im fachwissenschaftlichen Raum fort - Joseph Schumpeter, Max Weber, Eugen Böhm-<br />
Bawerk, Werner Sombart <strong>und</strong> andere setzten sich kritisch mit dem <strong>Marxismus</strong> auseinander.<br />
Innerparteilich erhob sich bald eine Art Realo-F<strong>und</strong>i-Kontroverse. Ein gescheiter<br />
Mann, Rudolf Stammler, hatte folgenden Einwand gegen den <strong>Marxismus</strong> erhoben: Für<br />
euch Marxisten ist die Geschichte eine Art gesetzmäßiger, naturgeschichtlicher Prozeß.<br />
Wieso gründet ihr dann politische Parteien <strong>und</strong> ruft die Arbeiter zum Handeln gegen die<br />
Ausbeutung auf? Man gründet doch auch keine politische Partei, um eine Mondfinsternis<br />
herbeizuführen. Die Marxisten waren zwar um eine Antwort nicht verlegen <strong>und</strong> sprachen<br />
von der Spezifik gesellschaftlicher Gesetze gegenüber Naturgesetzen, von der Rolle des<br />
subjektiven Faktors, der nicht die Gr<strong>und</strong>richtung des historischen Prozesses, wohl aber<br />
sein Tempo <strong>und</strong> seinen Verlauf im einzelnen modifizieren könne.<br />
Gerade wenn man dies aber so annahm, dann konnte man, wie im Beitrag über die<br />
Sowjetunion bereits einmal erwähnt, den <strong>Marxismus</strong> eher fatalistisch <strong>und</strong> eher voluntaristisch<br />
auslegen. Kommt die Revolution von alleine, ist die „Geschichte die größte Marxistin“<br />
(Rudolf Hilferding), dann kann man den Schwerpunkt auf die praktische Reformarbeit<br />
legen. Sieht man die Rolle des besagten „subjektiven Faktors“ als wesentlicher an,<br />
dann muß man als die erste Pflicht eines Revolutionärs proklamieren, die Revolution zu<br />
machen (Fidel Castro, Che Guevara).<br />
Daran zerstreiten sich später, etwa ab 1905, die Linke <strong>und</strong> die Orthodoxie mit ihrem<br />
Oberhaupt Karl Kautsky (1854-1938), die sich zunächst noch gegen eine dritte Richtung<br />
einig sind: die von Eduard Bernstein (1850-1932) angeführten „Revisionisten“. Diese<br />
erklären: Das System, das Marx beschrieben hat, existiert in dieser Form gar nicht mehr.<br />
Sozialgesetze <strong>und</strong> parlamentarischer Einfluß der Sozialdemokratie ermöglichen es uns,<br />
mit dem Stimmzettel in den Sozialismus hineinzuwachsen. Weg mit überholten Theore-<br />
16 Karl Marx, Die Frühschriften, Stuttgart 1953, S. LIII.<br />
17 Vgl. zu diesem Teil das äußerst instruktive Werk von Leszek Kolakowski, Die Hauptströmungen des <strong>Marxismus</strong>,<br />
München 1979, 3 Bände. Ich teile allerdings manche Einschätzungen Kolakowskis nicht oder nur sehr<br />
bedingt, so zum Beispiel seine zentrale These vom Verfall des <strong>Marxismus</strong>.<br />
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