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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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tungen (Induktion) nur Wahrscheinlichkeit mit sich führt. Trotzdem müssen wir in der Praxis<br />

oft gerade diesen Weg gehen. Der Aufschwung der empirischen Naturforschung zu<br />

Beginn der Neuzeit führt denn auch in der Logik zunächst zur Ausarbeitung der Theorie<br />

der induktiven Schlüsse durch Francis Bacon u. a. Diese neuzeitliche philosophische<br />

Entwicklung führt zunächst zur Entwicklung eines Denkstils, welcher der Dialektik entgegengesetzt<br />

ist - mit Hegel kann man ihn den metaphysischen nennen. Es ist dies ein<br />

Denken in unvermittelten Gegensätzen, starren Ordnungen <strong>und</strong> Einteilungen, das sich<br />

vor allem <strong>für</strong> die Einzelfakten, nicht <strong>für</strong> den großen Zusammenhang interessiert. Engels<br />

charakterisiert diesen Denkstil treffend, wenn er schreibt, die moderne Naturwissenschaft<br />

habe erst einmal die Naturgegenstände sammeln, zergliedern <strong>und</strong> klassifizieren müssen,<br />

um sie zu erforschen. Dieses Vorgehen sei geradezu die „Gr<strong>und</strong>bedingung der Riesenfortschritte,<br />

die die letzten 400 Jahre unserer Kenntnis der Natur gebracht. Aber es hat<br />

uns auch die Gewohnheit hinterlassen, die Naturdinge <strong>und</strong> Naturvorgänge in ihrer Vereinzelung,<br />

außerhalb des großen Gesamtzusammenhangs aufzufassen; daher nicht in<br />

ihrer Bewegung, sondern in ihrem Stillstand, nicht als wesentlich veränderliche, sondern<br />

als feste Bestände, nicht in ihrem Leben, sondern in ihrem Tod.“ 5 Durch die Empiristen<br />

Bacon <strong>und</strong> Locke sei diese Denkweise aus der Naturwissenschaft in die Philosophie<br />

eingedrungen.<br />

Am Beginn der neuzeitlichen Philosophie stehen sich Empirismus <strong>und</strong> Rationalismus<br />

schroff gegenüber - bis Kant seine Synthese, eine Art empiristisch gemilderten Rationalismus,<br />

versucht. Sind <strong>für</strong> die Empiristen Empfindung, Wahrnehmung <strong>und</strong> Vorstellung,<br />

sind Sinnesbeobachtung <strong>und</strong> Experiment Primärquellen des Wissens, so <strong>für</strong> die Rationalisten<br />

das durch die Erfahrung bloß veranlaßte begriffliche Denken, daß sich in Schlußfolgerung,<br />

Hypothese, Theorie <strong>und</strong> Intuition bewegt. Evidenzerlebnisse, wie sie aus Mathematik<br />

<strong>und</strong> Logik bekannt sind, sind das entscheidende Wahrheitskriterium; die Ideen<br />

gelten als dem Menschen angeboren.<br />

Ansätze dialektischen Denkens hat es auch in Periode der Vorherrschaft der metaphysischen<br />

Denkweise gegeben. Nicolaus Cusanus mit seiner Lehre vom Zusammenfallen<br />

der Gegensätze <strong>und</strong> Giordano Bruno sind Beispiele da<strong>für</strong>. Und Descartes bringt nicht<br />

nur mit der variablen Größe Bewegung in die Mathematik, sondern wird vor allem dadurch<br />

ein Vorbereiter <strong>für</strong> die Dialektik bei Fichte, Schelling <strong>und</strong> Hegel, daß er das denkende<br />

Ich zum Hebelpunkt der Erkenntnis macht. Das Subjekt, das sich in seiner denkenden<br />

Tätigkeit selbst zu erfassen sucht, gerät in den Widerspruch zugleich Subjekt <strong>und</strong><br />

Objekt eines Erkenntnisaktes zu sein, einen Widerspruch, aus dem die Subjekt-Objekt-<br />

Dialektik der klassischen deutschen Philosophie entsteht.<br />

In England, der Heimstatt des Empirismus, der dort schließlich in den Positivismus eines<br />

J. St. Mill <strong>und</strong> Herbert Spencer münden wird, tritt John Locke Descartes entgegen:<br />

Erfahrung ist <strong>für</strong> ihn die einzige Erkenntnisquelle, äußere Sinnes- <strong>und</strong> innere Selbstwahrnehmung<br />

sind nur graduell verschiedene Dinge. Die Ideen entstehen nicht an, sondern<br />

aus der Erfahrung, unmittelbar oder durch Kombination <strong>und</strong> Abstraktion, als Konstrukte<br />

des Verstandes, der sich eine Rechenmünze fertigt, um sich die Aufzählung der Einzelheiten<br />

zu ersparen. Angeborene Ideen gibt es nicht, die Seele ist „tabula rasa“, ehe sich<br />

äußere Eindrücke in sie eingeschrieben haben. Während die französischen Enzyklopädisten<br />

den Sensualismus der Engländer im Sinne einer mehr oder weniger materialistischen<br />

Abbildtheorie der Erkenntnis weiter ausbauen, nimmt er in England selbst durch<br />

die spezifische Manier von Berkeleys Kritik an der Lehre von den primären <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>ären<br />

Qualitäten zunächst eine Wendung ins Phänomenalistisch-Idealistische.<br />

Auch David Hume geht vom Primat der Erfahrung aus. Doch im Unterschied zu Berkeley,<br />

der alle Bewußtseinserscheinungen als „ideas“ bezeichnet, unterscheidet er deutlich<br />

zwischen Gedanken <strong>und</strong> Vorstellungen auf der einen, Sinneseindrücken auf der anderen<br />

Seite. Die letzteren sind stark <strong>und</strong> eindringlich, während die ersteren nur ihre<br />

schwachen Abbilder sind. „Relations of ideas“ <strong>und</strong> „matters of facts“ sind streng zu unterscheiden.<br />

Die mathematischen Sätze sind allgemeingültig <strong>und</strong> notwendig wahr. Ansonsten<br />

sind alle Aussagen, die über das Konstatieren von Einzelwahrnehmungen hinausgehen,<br />

unsicher. Denn das Verknüpfen der Einzelwahrnehmungen folgt psychologischer<br />

Nötigung <strong>und</strong> Gewöhnung. Wir bilden z. B. den Begriff der Kausalität, wenn zwei Ereignisse<br />

in räumlicher Nachbarschaft wiederholt aufeinander gefolgt sind. Da jede induktive<br />

Verallgemeinerung bestenfalls Wahrscheinlichkeit mit sich bringt, ist der Erkenntniswert<br />

der Kausalitätsvorstellung prinzipiell zweifelhaft. Hume geht noch über Berkeley hinaus,<br />

73<br />

5 MEW 20, S. 20.

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