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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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te“. So berechtigt an diesem Satz die Abwehr eines einseitigen Spiritualismus erscheint,<br />

so wenig darf man sich doch über die Problematik täuschen, die in der Metabasis von der<br />

durchkrafteten Gegenständlichkeit zur Gegenständlichkeit der Kraft selber liegt, die damit<br />

letztlich verdinglicht wird. Subjektivität <strong>und</strong> Selbstbewußtsein gleichsam auf den geistigen<br />

Wurmfortsatz der physischen Leiblichkeit herunterzubringen, ist gegenüber der Totalität<br />

des menschlichen Wesens, gegenüber dem handelnden Ich, nicht weniger eine Abstraktion<br />

als die Subjektivierung der Abstraktion „das Setzen“.<br />

An <strong>und</strong> <strong>für</strong> sich wird die Tatsache des auf sich selbst gerichteten Bewußtseins oder<br />

Selbstbewußtseins vom <strong>Marxismus</strong> nicht bestritten. Bei Konstantinow lesen wir dazu,<br />

indem der Mensch sich handelnd <strong>und</strong> erkennend mit den Dingen auseinandersetze, beginne<br />

er sich selbst zu erfühlen, er richte zunehmend sein Denken auf sich selbst, denke<br />

nach über seine Ideale, Interessen <strong>und</strong> Moralprinzipien. Damit hebe er sich aus der ihn<br />

umgebenden Realität heraus, ergreife seine Eigenverantwortlichkeit <strong>und</strong> entwickele sein<br />

Persönlichkeitsgefühl. Diese Darstellung, an der wohl kaum ein Anthroposoph Anstoß<br />

nehmen wird, vermag gewiß allzu einfache Vorstellungen über den „östlichen Kollektivismus“<br />

zu korrigieren, - eine ,materialistische Ableitung“ des Selbstbewußtseins liefert sie<br />

nicht. Deren Problematik sieht deutlich Tugarinow: <strong>für</strong> einen konsequenten Materialismus<br />

darf das Selbstbewußtsein keine anderen Wurzeln haben als das übrige Bewußtsein<br />

auch, <strong>und</strong> dieses geht letztlich auf die sinnliche Wahrnehmung, in der die Materie gegeben<br />

ist, als Quelle zurück. „Bekanntlich sind die Quelle der sinnlichen Wahrnehmung<br />

sowohl die Widerspiegelung äußerer Objekte als auch die Empfindungen, die vom eigenen<br />

Körper ausgehen. Der Unterschied dieser beiden Quellen erzeugt den Unterschied<br />

von gegenständlichem <strong>und</strong> Selbstbewußtsein.“ 15 Damit hat man vermeintlich das Ich in<br />

die Körperempfindungen aufgelöst, aber zugleich die Instanz beseitigt, die den Körper als<br />

eigenen, als ,ihren“ Körper im Gegensatz zu äußeren Objekten empfinden könnte. Und<br />

man hat im Gr<strong>und</strong>e die Bestimmung des Selbstbewußtseins als eines Bewußtseins, das<br />

auf sich selbst gerichtet ist (Tugarinow), wieder kassiert: denn dessen Objekt wäre nicht<br />

der Körper, sondern allenfalls das eigene Inne-Sein der Körperempfindungen.<br />

Dem <strong>Marxismus</strong> ist mit der <strong>Anthroposophie</strong> gemeinsam, daß er das Bewußtsein nicht<br />

<strong>für</strong> ein ein <strong>für</strong> allemal Gegebenes, sondern ein Werdendes <strong>und</strong> sich Entwickelndes ansieht.<br />

Empfindungsfähigkeit sieht er bereits beim Tier ausgebildet, das er keineswegs wie<br />

Descartes als unbeseelte Maschine auffaßt. Auf der anderen Seite will er aber durchaus<br />

nicht aller Materie eine Beseeltheit zubilligen. In der anorganischen Welt kann von einer<br />

Widerspiegelungsfähigkeit nur im Sinne von Spurenbildungen durch äußere Einwirkung<br />

gesprochen werden, bei der Pflanze finden wir bereits elementare Reizbarkeit. Der Weg<br />

zum Nervensystem <strong>und</strong> damit zum Psychischen führt über die zunehmende Differenzierung<br />

der Widerspiegelungsformen; Wahrnehmung im Sinne des ganzheitlichen Erfassens<br />

von Dingen <strong>und</strong> Situationen finden wir zuerst bei den Wirbeltieren. Die Reaktionen der<br />

Tiere auf biologisch relevante Umweltreize sind teils instinktiv, durch Vererbung gegeben,<br />

teils erworben. Die Verständigkeit des Affen, der — wie die einschlägigen Experimente von<br />

Köhler u. a. zeigen — bereits in der Lage ist, Ziele auch über komplizierte Umwege zu<br />

erreichen <strong>und</strong> dabei vorgef<strong>und</strong>ene Gegenstände als Werkzeuge zu benutzen, beweist<br />

nach Meinung der Marxisten besonders deutlich, daß das menschliche Bewußtsein seine<br />

biologischen Voraussetzungen im Tierreich hat <strong>und</strong> daß zwischen Mensch <strong>und</strong> Tier kein<br />

unüberbrückbarer Unterschied besteht, daß das Tierische das unter bestimmten Bedingungen<br />

zum Menschen hin Entwicklungsfähige ist. Das heißt aber nicht, daß die qualitativen<br />

Unterschiede zwischen Mensch <strong>und</strong> Tier ganz vernachlässigt würden. Tieren fehlt<br />

z.B. „die Fähigkeit zur freien Kombination von Vorstellungen, zur freien Phantasie, auch<br />

sind sie nicht in der Lage, sich über ihr Verhältnis zur Umwelt bewußt zu werden“, verfügen<br />

nicht über das auf der Sprache basierende begriffliche Denken. 16<br />

Für Marx ist der entscheidende Unterschied, durch den sich die Menschen aus dem<br />

(übrigen) Tierreich herausheben, die Arbeit: Man könne die Menschen durch das Denken,<br />

die Religion oder was immer von den Tieren unterscheiden, sie selber fingen an,<br />

sich von ihnen zu unterscheiden, indem sie begönnen, ihre Existenzmittel zu produzieren,<br />

ein Schritt, der durch ihre Organisation bedingt sei. Die Arbeit sei in einem solchen Maße<br />

Gr<strong>und</strong>bedingung des menschlichen Lebens, daß man sagen könne, sie habe den Menschen<br />

selbst geschaffen. Die Ereignisse im „Tier-Mensch-Übergangsfeld“ stellt man sich<br />

in etwa so vor, wie Engels sie in dem Manuskript „Anteil der Arbeit an der Menschwer-<br />

59<br />

15 Tugarinow, S. 115ff.<br />

16 Konstantinow, S. 110; vgl., auch vorher, Holzkamp 1978, Leontjew 1977, Wygotski 1977.

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