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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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Rolle <strong>und</strong> Aufgaben des <strong>Marxismus</strong> -<br />

Seine verschiedenen<br />

Ausprägungen <strong>und</strong> sein Verhältnis zur<br />

<strong>Anthroposophie</strong><br />

Die Relevanz einer Auseinandersetzung mit dem <strong>Marxismus</strong> liegt auf der Hand, auch<br />

wenn wir hierzulande keinen <strong>Marxismus</strong>-Boom mehr haben wie in den späten 60er <strong>und</strong><br />

frühen 70er Jahren. Nach wie vor ist der <strong>Marxismus</strong> eine der wichtigsten Strömungen<br />

unserer Zeit. Er hat sich auf einem Drittel der Erde, darunter in großen Teilen Mitteleuropas,<br />

als führende Weltanschauung etabliert <strong>und</strong> fungiert in den „kapitalistischen“ Ländern<br />

<strong>und</strong> in der dritten Welt nach wie vor als Leitidee f<strong>und</strong>amentaloppositioneller Strömungen.<br />

Selbst diejenigen, die lange Zeit vom totalen Verfall <strong>und</strong> der Vergreisung des <strong>Marxismus</strong><br />

gesprochen <strong>und</strong> publikumswirksam die Frage ventiliert haben, ob die Sowjetunion das<br />

Jahr 1984 erleben kann, sie müßten heute - angesichts dramatischer Entwicklungen im<br />

ersten marxistisch-sozialistischen Staat der Welt - zugeben, daß sie es sich ein wenig zu<br />

leicht gemacht haben.<br />

Dasselbe kann man von denjenigen sagen, die es lange „schick“ fanden, die <strong>Anthroposophie</strong><br />

als eine vielleicht ganz liebenswürdige, aber im ganzen doch recht verrückte<br />

Randerscheinung des gesellschaftlichen Lebens zu belächeln. Auch die weltweit erstarkende<br />

anthroposophische Bewegung ist eine Strömung, die im deutlichen Gegensatz zu<br />

vorherrschenden Gedankengewohnheiten steht. Und das wachsende Interesse <strong>für</strong> diese<br />

Bewegung führt dazu, daß sie sich generell dem Dialog mit Andersdenkenden immer<br />

weniger entziehen darf.<br />

Auf der anderen Seite scheint die zwischen <strong>Marxismus</strong> <strong>und</strong> <strong>Anthroposophie</strong> bestehende<br />

Kluft aber auch wieder unüberbrückbar zu sein: Schon die Assoziationen, die sich<br />

bei dem Wort „<strong>Marxismus</strong>“ <strong>und</strong> bei dem Wort „<strong>Anthroposophie</strong>“ <strong>für</strong> die meisten nicht ganz<br />

uninformierten Zeitgenossen einstellen werden, sind denkbar unterschiedlich: Beim<br />

Stichwort <strong>Marxismus</strong> denkt man zuerst vielleicht an rote Fahnen <strong>und</strong> demonstrierende<br />

Arbeiter <strong>und</strong> Studenten, an die Oktoberrevolution oder den langen Marsch der chinesischen<br />

Kommunisten. Man denkt an eine politische Bewegung, die die äußeren Verhältnisse<br />

umgestalten will <strong>und</strong> innere spirituelle Vertiefung als etwas Sinnloses, von den wahren<br />

Aufgaben des Menschen Ablenkendes, ansieht. Bei dem Stichwort „<strong>Anthroposophie</strong>“<br />

fallen einem in der Regel erst einmal ganz andere Dinge ein: wehende Eurythmieschleier<br />

vielleicht oder eigentümliche organische Bauformen, Waldorfpädagogik <strong>und</strong> biologischdynamische<br />

Landwirtschaft. Und damit verbindet sich die Vorstellung, daß es sich bei<br />

den Anthroposophen um Menschen handelt, die einer spirituellen Weltanschauung anhängen,<br />

die auf eine starke Verinnerlichung des Menschen abzielt. Unabhängig davon,<br />

auf welcher Seite die jeweiligen Sympathien liegen: Es scheint sich erst einmal um zwei<br />

Welten zu handeln, zwischen denen ein Dialog schier unmöglich erscheint.<br />

Der <strong>Anthroposophie</strong> dürften immer noch relativ wenige Menschen zutrauen, ein Konzept<br />

gesamtgesellschaftlicher Umgestaltung <strong>und</strong> damit zugleich Anregungen zum politischen<br />

Handeln liefern zu können. Und mancher wird geneigt sein, den Weg in höhere<br />

Welten als Flucht aus den Problemen des Diesseits aufzufassen. Der „emanzipatorische“<br />

Ansatz der <strong>Anthroposophie</strong>, ihr Einsatz <strong>für</strong> eine radikale Erneuerung der Gesellschaft,<br />

wird immer noch oft übersehen, sicherlich nicht ganz ohne Mitverschulden mancher Anhänger<br />

der anthroposophischen Bewegung.<br />

Auf der anderen Seite wird nicht immer genügend gewürdigt, daß der <strong>Marxismus</strong> mit<br />

den spirituellen Weltbildern zumindest das eine gemein hat, daß er die Antwort auf die<br />

Sinnfragen des Daseins nicht generell verweigert: Der Agnostizismus - also die These,<br />

daß dem Menschen nun einmal unübersteigliche Erkenntnisgrenzen gesetzt seien - woher<br />

weiß man, daß es nicht nur die je eigenen sind? - ist seine Sache nicht. Ein solcher<br />

Agnostizismus ist ja letztlich unbefriedigend, wenn auch sehr bequem, weil weitere Fragen<br />

sich erübrigen.<br />

So erscheint der Versuch der Gegenüberstellung lohnend, der Chancen einer inhaltlichen<br />

Auseinandersetzung eröffnet. Sie kann dazu beitragen, daß Gespräche möglich<br />

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