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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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Besonderheit widerspiegele, daß jeder Gegenstand eine Einheit allgemeiner <strong>und</strong> einzelner<br />

Züge darstelle. 16<br />

Während etwa bei Aristoteles das Allgemeine nicht Widerspiegelung der gemeinsamen<br />

Gattungs- oder Arteigenschaften, sondern die gattungsbildende Kraft selbst ist, ist<br />

es im <strong>Marxismus</strong> unmöglich geworden, das Allgemeine als Entelechie, im Sinne z.B. der<br />

Goetheschen Urpflanze in bezug auf die Blütenpflanzen zu denken. Da die Universalien<br />

als Abstraktionsresultate erscheinen, muß sich die Suche nach einem immanenten Ideengehalt<br />

der Wirklichkeit als Mystifikation <strong>und</strong> Selbsttäuschung darstellen: Wenn ich<br />

mir „einbilde, daß meine aus den wirklichen Früchten gewonnene abstrakte Vorstellung<br />

,die Frucht‘ ein außer mir existierendes Wesen [...] sei, so erkläre ich - spekulativ ausgedrückt<br />

- ,die Frucht‘ <strong>für</strong> die ,Substanz‘ der Birne, des Apfels [...] Man gelangt auf diese<br />

Weise zu keinem besonderen Reichtum an Bestimmungen. Der Mineraloge, dessen ganze<br />

Wissenschaft sich darauf beschränkt, daß alle Mineralien in Wahrheit das Mineral<br />

sind, wäre ein Mineraloge - in seiner Einbildung. - Die Spekulation [...] muß daher, um zu<br />

dem Schein eines wirklichen Inhalts zu gelangen [...] von der Substanz wieder zu den<br />

wirklichen verschiedenartigen profanen Früchten [...] zurückzukommen‘, <strong>und</strong> dabei die<br />

Preisgabe der Abstraktion in den Prozeß der Selbstunterscheidung der Idee umdeuten,<br />

die sich die Existenzweise des Apfels, der Birne usw. gibt. 17<br />

Weitere vom dialektischen Materialismus behandelte Kategorienverhältnisse sind die<br />

zwischen Ursache <strong>und</strong> Wirkung, zwischen Notwendigkeit <strong>und</strong> Zufälligkeit bzw. Notwendigkeit<br />

<strong>und</strong> Freiheit, zwischen Möglichkeit <strong>und</strong> Wirklichkeit, Inhalt <strong>und</strong> Form, Wesen <strong>und</strong><br />

Erscheinung. Die Kausalitätsbeziehung dürfe nicht mit dem Gr<strong>und</strong>-Folge-Verhältnis verwechselt<br />

werden, denn die Ursache rufe die Wirkung durch materielle Einwirkung hervor.<br />

Man müsse Wegeneinander <strong>und</strong> Nacheinander auseinanderhalten, zwischen Bedingung,<br />

Ursache <strong>und</strong> Anlaß sauber unterscheiden, ebenso zwischen unmittelbaren <strong>und</strong> mittelbaren,<br />

tieferliegenden Ursachen. Die Praxis, in der der Mensch die Probe auf die Kausalität<br />

macht, indem er Wirkungen aus ihren Ursachen wiederholt hervorbringt, widerlege den<br />

Humeschen Skeptizismus. 18 Man will die mechanische Form der Kausalität, bei der das<br />

Prinzip actio = reactio gilt, nicht verabsolutieren. Der dialektische Determinismus soll es<br />

erlauben, auch solche Effekte kausal zu erklären, bei denen, im Sinne der Negation der<br />

Negation, die Ursache sozusagen überboten wird <strong>und</strong> ihr gegenüber eine Steigerung<br />

eintritt. Jede neue Qualität soll kausal bedingt sein, ohne daß sie auf ihre Ursachen reduziert<br />

werden könnte. Man müsse auch beachten, wie Wirkungen auf ihre Ursache zurückwirken<br />

<strong>und</strong> sie modifizieren, wodurch eine Art Wechselwirkung mit Dominante entstehen<br />

kann.<br />

Notwendig ist ein Vorgang, der unter den gegebenen Bedingungen nicht unterbleiben<br />

kann, - so ruft die Ursache mit Notwendigkeit ihre Wirkung hervor. Viele Philosophen<br />

glaubten, in einer durchgängig von Naturgesetzen bestimmten Welt der Verkettung von<br />

Ursachen <strong>und</strong> Wirkungen bleibe <strong>für</strong> den Zufall nirgends Raum. So weit will der dialektische<br />

Materialismus nicht gehen: Die Notwendigkeit breche sich nur durch die milliardenfache<br />

Zufälligkeit Bahn. Ereignisse, deren Eintreffen bloß wahrscheinlich, nicht notwendig<br />

sei, seien durchaus kausal determiniert. Ob der Schwanz des H<strong>und</strong>es 1/2 Zoll länger<br />

oder kürzer ist, ob eine Erbsenschote eine Erbse mehr oder weniger enthält, das ist, so<br />

Engels, nicht im gleichen Sinne notwendig bestimmt wie die Bewegungen der Himmelskörper.<br />

Der Zufall trete als Erscheinungsform <strong>und</strong> Ergänzung der Notwendigkeit auf. Man<br />

kann z. B. das Zusammentreffen zweier oder mehrerer Ursachenketten, die weder durch<br />

ihre eigene Natur noch durch eine fremde Ursache auf dieses Zusammentreffen gerade<br />

an diesem bestimmten Punkt hingeordnet sind, als zufällig betrachten. 19<br />

Eine absolute, fatumhafte Notwendigkeit würde menschliche Freiheit zur Illusion machen.<br />

Welchen Sinn hätte dann aber noch der Appell an die Arbeiterklasse, das Werk<br />

ihrer Befreiung zu vollbringen? Einen gewissen Gestaltungsspielraum muß die Notwendigkeit<br />

der Freiheit lassen. Hegel sei der erste gewesen, schreibt Engels, „der das Verhältnis<br />

von Freiheit <strong>und</strong> Notwendigkeit richtig darstellte. Für ihn ist die Freiheit die Einsicht<br />

in die Notwendigkeit. ‚Blind ist die Notwendigkeit nur, insofern dieselbe nicht begriffen<br />

wird‘. Nicht in der geträumten Unabhängigkeit von den Naturgesetzen liegt die Freiheit,<br />

sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze, <strong>und</strong> in der damit gegebenen Möglichkeit,<br />

sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen. Es gilt dies mit Beziehung so-<br />

84<br />

16 Vgl. Konstantinow, 153ff.<br />

17 Marx/Engels, MEW 2, S. 60ff.<br />

18 Engels, MEW 20, S. 498.<br />

19 S. MEW 20, S. 488.

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