06.01.2013 Aufrufe

Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

von außen aus Furcht vor möglicher Destabilisierung unterdrückt. Die Gegner belegten<br />

die Reformer, mit mehr oder weniger Recht, wie zuvor schon die eigensinnigen jugoslawischen<br />

Kommunisten als „Revisionisten“ mit dem Bannfluch. 21<br />

Im gegenwärtigen Umgestaltungsprozeß in der Sowjetunion, so spezifisch er ist <strong>und</strong><br />

so wenig er offiziell an jene reformkommunistischen Bestrebungen anknüpft, leben manche<br />

Intentionen jener Reformer wieder auf. Mit Einschränkungen kann man ähnliches<br />

auch <strong>für</strong> die nachmaoistische Entwicklung in China <strong>und</strong> <strong>für</strong> einige andere Länder sagen.<br />

Von einem neuen Revisionismus zu sprechen, wäre gewiß verfehlt. Doch darf man davon<br />

ausgehen, daß ein weniger dogmatischer Umgang mit dem <strong>Marxismus</strong> Platz greifen wird,<br />

der vielleicht auch fruchtbare Dialoge mit Andersdenkenden ermöglichen wird.<br />

Undogmatische Randströmungen - „Frankfurter Schule“ <strong>und</strong><br />

„Neue Linke“<br />

In den 20er Jahren bildet sich eine <strong>und</strong>ogmatische Linke, die sich teilweise noch auf<br />

Lenin beruft (Georg Lukács, 1895-1971 22 ), ihn teilweise aber auch offen kritisiert (Karl<br />

Korsch, 1886-1961). 23 Diese Linke legt sich nicht nur häufig mit dem offiziellen Kurs der<br />

Kommunistischen Internationale an, vor allem wendet sie sich heftig gegen die Orthodoxie<br />

<strong>und</strong> den Reformismus <strong>und</strong> Revisionismus der II. Internationale. Bis heute eignet ihr<br />

die Aura eines lebendigen <strong>Marxismus</strong> in der Zeit des Dogmatismus <strong>und</strong> der Erstarrung im<br />

Stalinismus.<br />

Letztlich geht es um das alte Thema, wie das Verhältnis von Sein <strong>und</strong> Sollen im historischen<br />

Prozeß gedacht werden müsse. Die <strong>und</strong>ogmatische Linke lehnt sowohl eine „objektivistische“<br />

Betrachtung als auch eine ethische ab. Sie akzentuiert den Gedanken, daß<br />

der <strong>Marxismus</strong> durch die Auffassung der sozialistischen Theorie als Organ der praktischen<br />

Bewegung einen neuen Theorietypus verkörpere.<br />

Im Emanzipationskampf der Arbeiterklasse als des wahren „Subjekt-Objekts“ (Georg<br />

Lukács), in dem der geschichtliche Prozeß zum Bewußtsein seiner selbst komme, fielen<br />

Sein <strong>und</strong> Sollen, subjektive Zielsetzung <strong>und</strong> objektiver Prozeß in einer höheren Einheit<br />

zusammen.<br />

Ein gemeinsames Motiv bei aller Verschiedenartigkeit ist die Besinnung auf den Charakter<br />

des <strong>Marxismus</strong> als „praktische Inspiration des Bewußtseins“ (Karl Korsch), der<br />

gegenüber die Orthodoxen in ein traditionelles Theorieverständnis zurückfielen. Unter<br />

dem Gesichtspunkt der Einheit von Theorie <strong>und</strong> Praxis wird das Denken in die letztere<br />

inbegriffen gedacht, der Unterschied von Denken <strong>und</strong> Handeln eingeebnet <strong>und</strong> die<br />

Wahrheitsfrage damit in einem historischen Relativismus aufgelöst.<br />

Als Pointe wird vielfach die Behauptung aufgestellt, daß die Degeneration der Theorie<br />

im Sinne eines technizistisch-verdinglichten Verhältnisses zur Natur bereits bei Engels<br />

veranlagt sei <strong>und</strong> daß im Gr<strong>und</strong>e ein erheblicher Widerspruch zwischen dem „anthropozentrischen“<br />

Denken von Marx <strong>und</strong> dem an weltanschaulicher Systematisierung interessierten<br />

Denken von Friedrich Engels bestehe.<br />

Letzterer mußte so als Vulgarisator der Marxschen Lehre erscheinen.<br />

Diese These erweist sich zwar als kaum haltbar 24 , dennoch sind die Motive der Kritik<br />

an „Naturdialektik“ <strong>und</strong> „Widerspiegelungstheorie“ wichtig: <strong>Marxismus</strong> als radikale „Philo-<br />

21 Es können hier nur wenige Namen stellvertretend genannt werden: Harich <strong>und</strong> Havemann in der DDR,<br />

die Praxis-Gruppe in Jugoslawien gehören hier ebenso hin wie Garaudy in Frankreich, Fischer <strong>und</strong> Marek in<br />

Östereich, Sik <strong>und</strong> Löbl in der CSSR, Schaff <strong>und</strong> Kolakowski in Polen. Selbstverständlich darf man alle diese<br />

Denker nicht „über einen Kamm scheren“.<br />

22 Lukács wird in Budapest geboren <strong>und</strong> arbeitet dort in einem Zirkel sozialistisch gesinnter Intellektueller<br />

mit, in dem auch Bela Bartok, Zoltan Kodaly <strong>und</strong> Karl Mannheim verkehren. Er studiert in Berlin <strong>und</strong> Heidelberg<br />

unter anderem bei dem lebensphilosophisch geprägten Georg Simmel <strong>und</strong> setzt sich mit dem Neukantianismus<br />

auseinander. 1918 tritt er in die KP ein, ist während der ungarischen Räterepublik einige Zeit Volkskommissar<br />

<strong>für</strong> das Bildungswesen, wie er später 1956 unter Nagy kurze Zeit Kulturminister ist.<br />

23 Mit einigen Einschränkungen kann man auch den großen Theoretiker der Kommunistischen Partei Italiens,<br />

den ab 1926 unter Mussolini eingekerkerten Antonio Gramsci (1891-1937), hier einordnen. Vgl. hierzu wie<br />

zu den übrigen angeführten Denkern Kolakowski, a.a.O.<br />

24 Diese von Max Adler über Lukács bis zu Iring Fetscher verbreitete These stößt auf verschiedene Schwierigkeiten:<br />

Die hinsichtlich des Materialismus-Problems eindeutige „Heilige Familie“ von Marx <strong>und</strong> Engels ist zum<br />

großen Teil von Marx formuliert. Im Vorwort zur Ausgabe des „Anti-Dühring“ von 1885 teilt Engels mit, daß er<br />

Marx das gesamte Manuskript des Werkes (<strong>für</strong> das Marx selbst ein Stück verfaßte <strong>und</strong> das alle Gr<strong>und</strong>gedanken<br />

der materialistischen Naturdialektik enthält) vorgelesen habe. Es ist angesichts der Art der Beziehungen zwischen<br />

Marx <strong>und</strong> Engels kaum denkbar, daß sich in der Korrespondenz oder an anderer Stelle nicht wenigstens<br />

ein winziger Hinweis finden sollte, falls Marx wirklich irgendwelche Einwände gegen das Werk gehabt haben<br />

sollte.<br />

215

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!