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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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werden. Für unseren Versuch spricht auch die Tatsche, daß die Zeiten, in denen man alle<br />

Sinnfragen mit Ideologieverdacht belegen <strong>und</strong> die sie zu stellen wagten, als „pseudowissenschaftliche<br />

Heilslehrer“ abtun konnte, vorbei zu sein scheinen: Heute ist gegenüber<br />

der Zeit der „Entideologisierung“, in der man zumeist vom Technisch-Machbaren fasziniert<br />

war, wieder eher eine Suche nach Sinn zu beobachten. Daß dabei - zum Teil unter<br />

vieldeutigen Oberbegriffen wie New Age - auch Angebote fragwürdiger Art mitlaufen,<br />

ändert nichts am Wert des Quellimpulses dieser Suchbewegungen, macht aber auf der<br />

anderen Seite die Ausbildung eines Unterscheidungsvermögens <strong>für</strong> die qualitative Differenz<br />

zwischen Idee <strong>und</strong> Ideologie um so aktueller 1 : Wer die Welt umfassend anzuschauen<br />

versucht, tut gut daran, sich gegenüber jeder Dogmatismus-Gefahr zu wappnen.<br />

Nun ist leicht zu sehen, daß man die notwendige Differenzierung zwischen Dogma<br />

<strong>und</strong> Erkenntnis nicht dogmatisch, sondern nur durch Erkenntnis vornehmen kann. Und<br />

zwar durch eine Erkenntnis, die den Erkenntnisprozeß selber so zu erkennen vermag,<br />

daß objektive Erkenntnisse <strong>und</strong> rein subjektive „Bestätigungserlebnisse“ unterscheidbar<br />

werden. Man kann das auch nennen: Es geht um die Frage der erkenntniswissenschaftlichen<br />

F<strong>und</strong>ierung von <strong>Marxismus</strong> <strong>und</strong> <strong>Anthroposophie</strong>.<br />

Sinnsuche<br />

Im Gr<strong>und</strong>e begann eine Sinnsuche schon in jener Zeit der Studenten- <strong>und</strong> Jugendbewegung<br />

der sechziger <strong>und</strong> siebziger Jahre. Die Faszination, die damals vom <strong>Marxismus</strong><br />

ausging, hing mit dem Gefühl zusammen, daß hier eine Theorie vorhanden war, die es<br />

ermöglichte, die Ursachen der <strong>soziale</strong>n Übel <strong>und</strong> Ungerechtigkeiten zu durchschauen<br />

<strong>und</strong> zu bekämpfen. Einen solchen Lebenssinn vermittelte die übliche akademische Wissenschaft<br />

nicht. Für deren Bewußtseinshorizont bürgerte sich seinerzeit ja dann auch das<br />

Wort vom „Fachidiotentum“ ein.<br />

Das war eine Zeit, wo viele am Vietnam-Krieg <strong>und</strong> anderen Weltereignissen politische<br />

Aufwacherlebnisse hatten, sehend wurden <strong>für</strong> Verhältnisse der Ausbeutung <strong>und</strong> Unterdrückung,<br />

die man im Wirtschaftsw<strong>und</strong>erland B<strong>und</strong>esrepublik bis dahin eher verdrängt<br />

hatte. Der <strong>Marxismus</strong> - das war Kritik unmenschlicher Verhältnisse, deren Beseitigung er<br />

zugleich versprach, Verhältnisse, denen gegenüber die Jugend ähnlich empfand wie der<br />

junge Marx, der den kategorischen Imperativ formuliert hatte, „alle Verhältnisse umzuwerfen,<br />

in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein beleidigtes, ein verlassenes,<br />

ein verächtliches Wesen“ 2 ist.<br />

Gewiß, da war schon früh - bei dem einen stärker, bei dem anderen schwächer entwickelt<br />

- ein Unbehagen, so ein Gefühl, der <strong>Marxismus</strong> in seiner traditionellen Form habe<br />

<strong>für</strong> die individuelle <strong>und</strong> existentielle Problematik des einzelnen zu wenig zu bieten. Aus<br />

diesem Gefühl heraus sympathisierte man mit Versuchen, Elemente der Psychoanalyse<br />

<strong>und</strong> Elemente des <strong>Marxismus</strong> zu verbinden, wie das ein Wilhelm Reich <strong>und</strong> später ein<br />

Erich Fromm taten. Und aus diesem Gefühl heraus sympathisierten viele mit einem Typus<br />

marxistischen Denkens, wie es der seit 1961 in Tübingen lehrende Philosoph Ernst<br />

Bloch (1885-1977) verkörperte. Die Rolle der Phantasie, die Kategorie des Noch-Nicht-<br />

Seins, der Geist der Utopie <strong>und</strong> das Prinzip Hoffnung, solche Themen machten die Anziehungskraft<br />

dieses als <strong>und</strong>ogmatisch erscheinenden <strong>Marxismus</strong> aus. Überhaupt waren<br />

in der „antiautoritären“ Phase der Studentenbewegung Theorieelemente aus anarchistischer<br />

Tradition stärker, als die sich als Marxisten fühlenden Anführer dieser Bewegung<br />

es wahr haben wollten.<br />

Die <strong>Anthroposophie</strong>, obwohl gerade sie die Frage nach der einmaligen Individualität<br />

zum Thema macht, spielte damals keine Rolle. Es waren verschwindend wenige, die<br />

etwas von ihr wußten. Vielleicht gerade deshalb gab es nicht wenige, die wie der Ex-<br />

Kommunarde Rainer Langhans, den <strong>Marxismus</strong> mit asiatischer Esoterik vertauschten<br />

<strong>und</strong> sich zugleich vom politisch-<strong>soziale</strong>n Handeln verabschiedeten. Die Auseinandersetzung,<br />

keineswegs eine massenhafte, begann erst später: Wenn Joseph Huber 1979 im<br />

„Kursbuch“ einen Artikel über Steiner mit dem Titel „Astral-Marx. Über <strong>Anthroposophie</strong>,<br />

1 Daß ein Buch über Berufsalternativen <strong>für</strong> arbeitslose Lehrer die 'vielfach unbeachteten Verdienstmöglichkeiten'<br />

in sogenannten esoterischen Berufen preist, dürfte deutlich genug zeigen, daß die Triebkraft solcher<br />

Bemühungen nicht immer das reine Wahrheitsstreben sein muß (vgl. C.V. Rock, ECON-Praxis, Düsseldorf<br />

1984, S. 167). Hierher gehören denn auch jene Führer, die „den einfachen Weg“ zu den tiefsten Daseinsgeheimnissen<br />

versprechen, <strong>und</strong> die Bekenntnisse von Jungunternehmern, die schildern, wie sie dank „Meditation“,<br />

oder was sie da<strong>für</strong> halten, ihre erste Million gemacht haben.<br />

2 Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. In: Marx-Engels-Werke (MEW), Band<br />

1, Berlin/DDR 1969, S. 385.<br />

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