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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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phie). Diese „Odyssee des Geistes“, durch die dieser sich zum Bewußtsein seiner selbst<br />

hinarbeitet, ist nicht eigentlich eine Aufwärtsentwicklung in der Zeit, sondern ein „Kreis<br />

von Kreisen“, in welchem das Zeitliche im Ewigen urständet wie mündet.<br />

Hegels System ist im ganzen <strong>und</strong> in allen Teilen im Rhythmus des Dreischritts von<br />

These, Antithese <strong>und</strong> Synthese konzipiert. Das zentrale Motiv der Dialektik ist hier in<br />

einmaliger Konsequenz zugleich als Denk- <strong>und</strong> Seinsprinzip ausgearbeitet: Hegels Philosophie<br />

ist eine Philosophie der Identität von Denken <strong>und</strong> Sein. Doch entsteht durch diese<br />

Konsequenz zugleich ein Verzicht auf erkenntnistheoretische Reflexion <strong>und</strong> Begründung<br />

im engem Sinne. Durch die Identifikation von Denken <strong>und</strong> Sein ist Hegels „Wissenschaft<br />

der Logik“ zugleich Lehre vom Sein, die „Logik des Begriffs“ ist in ihr nur ein Teil, dem die<br />

„Logik des Seins“ <strong>und</strong> die „Logik des Wesens“ vorgeschaltet sind. Dialektik als Ontologie<br />

<strong>und</strong> Dialektik als Logik fallen zusammen. Dadurch erscheint aber auch „das von der Erkenntnistheorie<br />

zu lösende Problem der Wirklichkeitstreue der Erkenntnis gelöst; eine<br />

eigene Erkenntnistheorie erübrigt sich, ihre Aufgabe ist von der Logik schon mitgelöst.“ 8<br />

Das heißt jedoch nicht, daß Hegel nicht wesentliche Gedanken ausspricht, die als<br />

Bausteine <strong>für</strong> eine Erkenntnistheorie dienen können. Wesentlich neu ist vor allem die<br />

Historisierung des Erkenntnisbegriffs, der erstmalig - in der „Phänomenologie des Geistes“<br />

- in Verbindung mit der <strong>soziale</strong>n <strong>und</strong> individuellen Bewußtseinsentwicklung <strong>und</strong> ihren gesellschaftlichen<br />

Rahmenbedingungen gebracht wird; der Geschichtlichkeit der Wissenschaft<br />

wird erstmals Rechnung getragen. Den Dialektiker interessiert weniger das fertige<br />

Wissen als die Frage, wie Wissen aus Nicht-Wissen entsteht. Erkenntnistheoretisch bedeutsam<br />

ist Hegels Auseinandersetzung mit Kant, so, wenn er den Ding-an-sich-Begriff<br />

als haltlose Abstraktion bezeichnet, weil die Dinge an sich zu nehmen gleichbedeutend<br />

damit sei, von ihrer Beziehung auf anderes zu abstrahieren, wodurch sie zu einem reinen<br />

Nichts würden. 9<br />

Hegels Dialektik ist Selbstbewegung des Begriffs. Jeder Begriff - analysiert man ihn nur<br />

gehörig - zeigt sich mit einem Widerspruch behaftet, der ihn in seine Antithese „umschlagen“<br />

läßt. Diese läßt sich in ihrer Einseitigkeit nicht festhalten <strong>und</strong> wird ihrerseits wiederum<br />

negiert. Das Widersprechende löst sich aber nicht in ein abstraktes Nichts auf, „sondern<br />

wesentlich nur in die Negation seines besonderen Inhalts“. 10 Das Resultat des Widerspruchs<br />

hat als „bestimmte Negation“ einen positiven Inhalt. „Sie ist ein neuer Begriff,<br />

aber der höhere reichere Begriff als der vorhergehende, denn sie ist um dessen Negation<br />

oder Entgegengesetztes reicher geworden, enthält ihn also, aber auch mehr als ihn <strong>und</strong><br />

ist die Einheit seiner <strong>und</strong> seines Entgegengesetzten“, ihre Synthese. 11<br />

Sehr schön beschreibt Vinzenz Knauer die Hegelsche Begriffskunst am Beispiel des<br />

Anfangs der „Logik“: Die Philosophie beginnt „als ganz ,voraussetzungslose Wissenschaft‘<br />

mit dem inhaltsleersten aller Begriffe, mit dem des reinen Seins. Dieses aber ist<br />

seiner gänzlichen Inhaltslosigkeit <strong>und</strong> Unbestimmtheit gleich dem reinen Nichts. Diese<br />

beiden Begriffe schlagen also ineinander um, d.h. sie sind jeder <strong>für</strong> sich, in seiner Isoliertheit<br />

im Denken, nicht festzuhalten, <strong>und</strong> ihre Wahrheit liegt in einem dritten höheren<br />

Begriff, in dem des reinen Werdens nämlich, denn den Übergang vom Sein zum Nichts<br />

nennen wir ein Werden. Aber auch mit diesem Begriff beruhigt sich das Denken nicht<br />

[...] 12 Aus dem Begriff des Werdens entsteht in dieser Metamorphosenreihe der des Daseins,<br />

des Gewordenen als Resultat des Werdens. Das Dasein ist nicht mehr Sein<br />

schlechthin, sondern bestimmtes Sein, diese Bestimmtheit wird durch den Begriff der<br />

Qualität erfaßt. Etwas ist durch seine Qualität das, was es ist. Über verschiedene Zwischenschritte<br />

ergibt sich Hegel das Gegenteil der Qualität, die Quantität. Die Quantität<br />

bleibt gegenüber der Qualität gleichgültig, aber nur innerhalb der durch bestimmte Maßverhältnisse<br />

gesetzten Grenzen, jenseits derer sie gesprengt wird <strong>und</strong> einer anderen<br />

Qualität Platz machen muß. Das Maß ist so das qualitative Quantum, die höhere Einheit<br />

von Quantität <strong>und</strong> Qualität.<br />

Von der Logik des Seins gelangt Hegel zu der des Wesens, in der die Gegensätze<br />

nicht mehr einfach ineinander übergehen, sondern sich durchdringen. Das Wesen als<br />

Selbstbeziehung ist Identität. Die abstrakt-formale Verstandeslogik unterscheidet die<br />

Identität von der Nichtidentität. Aber indem sie unterscheidet, gibt sie stillschweigend zu,<br />

8<br />

Wetter 1977, S. 129.<br />

9<br />

Hegel, Logik I, S.142.<br />

10<br />

ibd., S. 51.<br />

11<br />

ibd. 51 f. Zur logischen Struktur der bestimmten Negation <strong>und</strong> ihrer Vorgeschichte in den limitierenden Urteilen<br />

bei Kant vgl. Erdei 1972.<br />

12<br />

Knauer 1892, S. 310.<br />

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