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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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In allen drei Klassengesellschaften existiert außer den genannten Eigentumsformen<br />

noch das kleine Eigentum der Bauern <strong>und</strong> Handwerker. Dieses basiert in marxistischer<br />

Sicht auf eigener persönlicher Arbeit, während das Großeigentum auf Ausbeutung fremder<br />

Arbeitskraft beruht. Zwar ändern sich während dieser Geschichtsperiode die jeweiligen<br />

Pole des gesellschaftlichen Antagonismus, doch wie immer sich die Ausbeutungsform<br />

ändern mag, das Verhältnis Ausbeuter-Ausgebeutete bleibt erhalten. Den „Golgathaweg<br />

der Menschheit“ (Karl Liebknecht) durch die antagonistischen Gesellschaften<br />

betrachtet man als notwendig, damit der Mensch sich von der Natur losreißen <strong>und</strong> sich<br />

ihr beherrschend gegenüberstellen konnte; doch war diese Herrschaft über die Natur<br />

erkauft um den Preis des Beherrschtseins der Menschen von ihrem eigenen gesellschaftlichen<br />

Prozeß, um den Preis der Entfremdung. Darum spricht Marx auch von der „Vorgeschichte<br />

der Menschheit“, deren eigentliche Geschichte erst beginnt, wenn der Sprung<br />

aus dem „Reich der Notwendigkeit“ ins „Reich der Freiheit“ gelingt, wenn der Kapitalismus<br />

durch den Sozialismus/Kommunismus abgelöst sein wird. 62<br />

Das Maß der möglichen menschlichen Freiheit ist <strong>für</strong> Marx primär eine Frage der Gesellschaftsform,<br />

doch soll die These vom Sozialismus als Reich der Freiheit offenbar nicht<br />

bedeuten, daß nicht materielle Notwendigkeiten <strong>und</strong> Gesetzmäßigkeiten auch <strong>für</strong> die<br />

befreite Gesellschaft ihre Rolle spielen. Denn sonst wäre die folgende Aussage kaum<br />

verständlich: „Das Reich der Freiheit beginnt [...] erst da, wo das Arbeiten, das durch<br />

äußere Not <strong>und</strong> Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört: es liegt also der Natur der Sache<br />

nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der<br />

Natur ringen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten <strong>und</strong><br />

zu reproduzieren, so muß es der Zivilisierte, <strong>und</strong> er muß es in allen Gesellschaftsformen<br />

<strong>und</strong> unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies<br />

Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte,<br />

die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen,<br />

daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel<br />

mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen,<br />

statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten<br />

Kraftaufwand <strong>und</strong> unter den ihrer menschlichen. Natur würdigsten <strong>und</strong> adäquatesten<br />

Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits<br />

desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das<br />

wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner<br />

Basis aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstages ist seine Gr<strong>und</strong>lage.“ 63<br />

Der historische Materialismus will Tatsachenwissenschaft, nicht Geschichtsdogma<br />

sein, den historischen Prozeß in seiner Differenziertheit begreifen. Man beruft sich heute<br />

verstärkt auf Engels’ Warnungen vor einer Vulgarisierung der Theorie in seinen Spätbriefen<br />

zum historischen Materialismus. „Nach materialistischer Geschichtsauffassung“, so<br />

heißt es dort, „ist die in letzter Instanz bestimmende Macht in der Geschichte die Produktion<br />

<strong>und</strong> Reproduktion des materiellen Lebens. Mehr hat weder Marx noch ich je behauptet.<br />

Wenn nun jemand das dahin verdreht, das ökonomische Moment sei das einzig bestimmende,<br />

so verwandelt er jenen Satz in eine nichtssagende, absurde Phrase“, statt<br />

ihn als Leitfaden bei der konkreten Untersuchung historischer Verhältnisse zu begreifen. 64<br />

Der Überbau ist von der Basis zwar determiniert, aber nicht im mechanistischen Sinn:<br />

seine relative Selbständigkeit befähigt ihn zu aktiver Rückwirkung auf die Basis, was den<br />

konkreten Geschichtsverlauf sehr bedeutend modifizieren kann. Ideologische Einflüsse<br />

(sichtbar an der Rolle von Christentum, Islam <strong>und</strong> <strong>Marxismus</strong>!), Zufälligkeiten, die Rolle<br />

bestimmter Persönlichkeiten, all das beeinflußt nach heutiger marxistischer Auffassung<br />

die Form des geschichtlichen Ablaufs, ohne seine gr<strong>und</strong>legenden Notwendigkeiten aufzuheben;<br />

Krieg <strong>und</strong> Eroberung, Handel <strong>und</strong> Kulturaustausch führen zu gegenseitiger<br />

Befruchtung der Kulturen, die wiederum <strong>für</strong> das Tempo des Gesamtfortschritts mitbestimmend<br />

ist. Auch die Ungleichzeitigkeit von Entwicklungen spielt eine Rolle: Die germanischen<br />

Völker z.B. gehen von der sich zersetzenden Urgesellschaft sogleich zum<br />

Feudalismus über, da die römische Sklavenhalterordnung zu dieser Zeit bereits im Zerfall<br />

begriffen ist. Heute überspringen Länder mit feudalen Strukturen, gestützt auf das Bündnis<br />

mit dem „realen Sozialismus“, die kapitalistische Entwicklung - die Mongolei wird als<br />

Beispiel angeführt.<br />

119<br />

62 Vgl. MEW 13, S. 9; MEW 20, S. 264.<br />

63 MEW 2S, S. 828.<br />

64 an J. Bloch, 21.9.1890, MEW 37, S. 463.

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