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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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kel- <strong>und</strong> Wellentheorie des Lichts - werden in einer höheren Synthese zusammengefaßt.<br />

Die Kategorien der Dialektik sind nicht nur Instrumente der Erkenntnis der Welt, sondern<br />

auch auf die Erkenntnis selbst anwendbar, in der allgemeine <strong>und</strong> einzelne, formale <strong>und</strong><br />

inhaltliche, wesentliche <strong>und</strong> unwesentliche Momente eine Rolle spielen.<br />

Die Erkenntnistheorie soll Wechselwirkung <strong>und</strong> Zusammenhang der verschiedenen<br />

Seiten <strong>und</strong> Momente des widersprüchlichen Erkenntnisprozesses bestimmen, darunter<br />

der sinnlichen <strong>und</strong> der rationalen. Mit dem Sensualismus teilt der <strong>Marxismus</strong> die Auffassung,<br />

daß die „Empfindungen tatsächlich die einzige Quelle unserer Kenntnisse“ sind 19 :<br />

die Sinnesorgane verbinden den Menschen mit der objektiven Realität. Die Empfindung<br />

soll auf einer Wechselwirkung materieller Elemente, der Reizquelle <strong>und</strong> des Nerven-<br />

Sinnes-Systems beruhen, wobei das letztere zwar die Ausformung, nicht aber den Inhalt<br />

der Empfindung bestimmen soll. Es existiere eine evolutionsgeschichtlich bedingte<br />

,Übereinstimmung‘ - was immer das heißen soll - zwischen den Angaben der Sinnesorgane<br />

<strong>und</strong> der objektiven Welt. Die Problematik solcher Aussagen wurde bereits im ersten<br />

Teil dieses Buches behandelt.<br />

Wenn die Erkenntnis nach gängiger marxistischer Auffassung auch mit der lebendigen<br />

sinnlichen Anschauung beginnt, so soll das jedoch nicht <strong>für</strong> jeden einzelnen Erkenntnisakt<br />

gelten: Das Individuum geht immer schon von tradiertem Wissen aus <strong>und</strong> setzt vorhandene<br />

rationale Erkenntnismittel ein. Mit Hilfe der Denkformen geht das Wissen über<br />

die Grenze der anschaulichen Vorstellung hinaus. „Selbst ein so einfacher Satz wie ,die<br />

Rose ist rot‘ ist eine Form des Zusammenhangs von Empfindungen <strong>und</strong> Wahrnehmungen<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage der Begriffe der Blume <strong>und</strong> der Farbe. Ohne Begriffe kann der<br />

Mensch seine sinnlichen Erfahrungen nicht sprachlich ausdrücken. Eben deshalb gibt es<br />

auch keine ,reine‘ sinnliche Anschauung. Beim Menschen ist sie immer vom Denken<br />

geprägt. Aber es gibt <strong>für</strong> den <strong>Marxismus</strong> auch kein ,reines‘ Denken, letzteres ist immer<br />

mit dem Anschauungsmaterial verb<strong>und</strong>en“ <strong>und</strong> verkörpert sich in Form anschaulicher<br />

Abbilder <strong>und</strong> Zeichen.“ 20 Die Empfindung sei nur insofern unmittelbar, als sie uns mit der<br />

Dingwelt unmittelbar verbinde. Ansonsten sei unsere vermeintlich rein sinnliche Gewißheit<br />

immer bereits durch die vorausgegangene Praxis <strong>und</strong> die Sprache bedingt <strong>und</strong> vermittelt.<br />

So erscheint das Wissen als untrennbare Einheit von sinnlicher <strong>und</strong> rationaler<br />

Widerspiegelung der Wirklichkeit. Es enthält aber auch empirische <strong>und</strong> theoretische Momente.<br />

Als Empirisches wird die Ebene des Wissens aufgefaßt, deren Inhalte im wesentlichen<br />

aus der Erfahrung, d.h. aus Beobachtung <strong>und</strong> Experiment stammen. Auf der theoretischen<br />

Wissensebene werde das Objekt tiefer erfaßt: Auch hier sind Sinnesdaten die<br />

Ausgangsbasis, aber das Objekt wird jetzt in bezug auf jene Zusammenhänge <strong>und</strong> Gesetzmäßigkeiten<br />

widergespiegelt, die nicht durch die Erfahrung, sondern unmittelbar<br />

durch abstraktes Denken gewonnen werden, durch das die „sichtbare, bloß erscheinende<br />

Bewegung auf die innere wirkliche Bewegung“ 21 reduziert wird. Solches Wissen ist nicht<br />

nur unanschaulich, sondern oft geradezu paradox.<br />

Zwischen beiden Wissensebenen wird ein enger Zusammenhang gesehen: Theoretische<br />

Konstruktionen werden auf der Basis der Verallgemeinerung vorliegenden Wissens<br />

vorgenommen, d.h. gehen unmittelbar oder mittelbar auf ein empirisches F<strong>und</strong>ament<br />

zurück. Allerdings kann das theoretische Wissen die Erfahrungsdaten überflügeln, - die<br />

Existenz der Bakterien <strong>und</strong> der Anti-Teilchen beispielsweise wurde vor ihrer experimentellen<br />

Entdeckung postuliert. Solche Beispiele sind kein Zufall, wendet man sich doch der<br />

Erfahrung nicht auf gut Glück zu, sondern meist, um eine theoretische Annahme bestätigt<br />

zu erhalten.<br />

Man unterscheidet in der marxistischen Erkenntnistheorie die Wissensebenen nicht<br />

nur hinsichtlich der Art der Wissensgewinnung, sondern auch hinsichtlich der Einseitigkeit<br />

oder Allseitigkeit der Widerspiegelung. „Gr<strong>und</strong>sätzlich hat das Wissen das Bestreben,<br />

konkret, d.h. vielseitig zu werden <strong>und</strong> das Objekt als Ganzheit zu erfassen. Die Konkretheit<br />

kann aber sehr verschieden sein.“ 22 Die sinnliche Konkretheit ist verschwommen,<br />

das auf ihr begründete Wissen haftet an der Oberfläche der Dinge. Dabei kann die Erkenntnis<br />

aber nicht stehenbleiben, sie muß zur Herauslösung einzelner Seiten aus dem<br />

Ausgangskonkretum schreiten, wobei sie von allen anderen Seiten absehen, d.h. abstrahieren<br />

muß. Bei den dergestalt gewonnenen Abstraktionen ist aber wiederum nicht ste-<br />

98<br />

19 ibd., S. 121.<br />

20 Konst., S. 207.<br />

21 MEW 25, S. 324.<br />

22 Konst., 214.

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