Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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henzubleiben, das Denken muß nun wieder nach Vereinigung der einzelnen, abstraktiv<br />
gewonnenen Seiten streben <strong>und</strong> auf diesem Wege eine Konkretheit höherer Ordnung zu<br />
erreichen suchen.<br />
Die Abstraktion gilt als eine der wichtigsten Methoden zum Erfassen des Gegenstandes:<br />
Beim Hervorheben einzelner Eigenschaften <strong>und</strong> Beziehungen der Dinge könne das<br />
Denken am Ende sogar von den Dingen <strong>und</strong> Erscheinungen selbst abstrahieren, denen<br />
diese Eigenschaften zukommen. Werde ,abstrakten Gegenständen‘ wie Weisheit,<br />
Schönheit, Güte usw. ein wesenhaftes Sein zuerkannt, gelange man zum Idealismus; - die<br />
Platonische Ideenwelt z. B. besteht nach Auffassung der Marxisten aus lauter hypostasierten<br />
Abstraktionen. Richtige Abstraktionen dagegen entfernten sich nicht von der Wirklichkeit,<br />
sondern näherten sich ihr. 23<br />
Bei der Zerlegung eines Gegebenen in abstrakte Bestimmungen, der Analyse, dienen<br />
diese zum Aufbau neuen konkreten Wissens. Die Denkbewegung, die dieses Wissen<br />
hervorbringt, nennt man das Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten. Diese Bewegung<br />
soll aber nicht, wie die der Hegelschen Idee, das Objekt selbst hervorbringen, sondern<br />
nur eine gedankliche Reproduktion desselben, die durch Synthese der abstrakten<br />
Bestimmungen entsteht. „Das Konkrete ist konkret“, so Marx, „weil es die Zusammenfassung<br />
vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken erscheint es<br />
daher als Prozeß der Zusammenfassung, als Resultat, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt<br />
<strong>und</strong> daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung <strong>und</strong> der Vorstellung ist.<br />
Im ersten Weg wurde die volle Vorstellung zu abstrakter Bestimmung verflüchtigt; im<br />
zweiten führen die abstrakten Bestimmungen zur Reproduktion des Konkreten im Wege<br />
des Denkens.“ 24 Analyse <strong>und</strong> Synthese sind dialektisch verb<strong>und</strong>en.<br />
Die Erkenntnis <strong>und</strong> ihr Gegenstand haben jeweils eine Geschichte, sind das, was sie<br />
geworden sind. Diese Gewordenheit kann durch zwei Erkenntnismethoden rekonstruiert<br />
werden, die logische (oder logisch-historische) <strong>und</strong> die historische im engeren Sinne, die<br />
man auch die real-historische genannt hat. 25 Die letztere geht streng chronologisch vor,<br />
wobei alles Einzelne <strong>und</strong> Besondere mitberücksichtigt wird. Dagegen systematisiert die<br />
logisch-historische Methode stärker, sie beginnt mit der entwickelten Form des Gegenstandes,<br />
das Historische wird durch das Prisma von Kategorien gesehen, beispielsweise<br />
durch das Prisma der die Entwicklung des Kapitalismus resümierenden Kategorien der<br />
Wissenschaft ,Politische Ökonomie‘. Dieses Verfahren führt oft einfacher zum Ziel. Man<br />
betont im <strong>Marxismus</strong> den Zusammenhang beider Methoden: Da die Kategorien im großen<br />
<strong>und</strong> ganzen die Entwicklung eines Gegenstandes zusammenfassen, ist die kategoriale<br />
Entwicklung keine spekulative Konstruktion. Wenn Marx das „Kapital“ mit der Analyse<br />
der „Ware“ beginnt, so ist dies die Zellenform, aus der sich die kapitalistischen Produktionsverhältnisse<br />
auch real entwickelt haben, nur daß diese Entwicklung nicht chronologisch<br />
nacherzählt wird. „Womit die Geschichte anfängt, damit muß der Gedankengang<br />
ebenfalls anfangen, <strong>und</strong> sein weiterer Fortgang wird nichts anderes sein, als das Spiegelbild,<br />
in abstrakter <strong>und</strong> theoretisch konsequenter Form, des historischen Verlaufs; ein<br />
korrigiertes Spiegelbild, aber korrigiert nach Gesetzen, die der historische Verlauf selbst<br />
an die Hand gibt, indem jedes Moment auf dem Entwicklungspunkt seiner Reife, seiner<br />
Klassizität betrachtet werden kann.“ 26<br />
Allen Denkformen erkennt man historischen Charakter zu, insofern in ihnen die Geschichte<br />
der menschlichen Erkenntnis geronnen <strong>und</strong> enthalten sei. Die Denkformen können<br />
auf zweierlei Weise betrachtet werden: rein formal (traditionelle oder moderne formale<br />
Logik) <strong>und</strong> forminhaltlich (dialektisch-logisch). Die dialektische Logik interessiert sich<br />
vor allem <strong>für</strong> die Bewegung der Begriffe in der Entstehung des wissenschaftlichen Wissens.<br />
27<br />
Den Anfang der Entstehung des Wissens macht <strong>für</strong> die marxistische Erkenntnistheorie<br />
die Problemstellung, eine erste Annäherung, oft eine geniale Vermutung oder Ahnung<br />
(die noch kein Wissen, aber auch schon kein reines Nicht-Wissen mehr ist, also einen<br />
Keimpunkt des Wissens darstellt). Durch die Problemstellung wird der Forschungsprozeß<br />
zielgerichtet. Das zweite ist die Tatsachenbasis, das gesicherte Wissen, das bleibt, selbst<br />
wenn erklärende Hypothesen zusammenbrechen. Tatsachensammlung, Beobachtung,<br />
Experiment auf der einen, - Vermutung, Hypothese, Theorie auf der anderen Seite - in<br />
99<br />
23 Vgl. LW 38, S. 160.<br />
24 Gr<strong>und</strong>risse, S. 22.<br />
25 Vgl. Holzkamp 1974.<br />
26 Engels, MEW 13, S. 47S.<br />
27 Zur „dialektischen Logik“ vgl. Kopnin 1970.