Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
„Wie der physische Leib zerfällt, wenn ihn nicht der Ätherleib zusammenhält, wie der<br />
Ätherleib in die Bewußtlosigkeit versinkt, wenn ihn nicht der Astralleib durchleuchtet, so<br />
müßte der Astralleib das Vergangene immer wieder in die Vergessenheit sinken lassen,<br />
wenn dieses nicht vom ,Ich‘ in die Gegenwart herübergerettet würde. Was <strong>für</strong> den physischen<br />
Leib der Tod, <strong>für</strong> den Ätherleib der Schlaf, das ist <strong>für</strong> den Astralleib das Vergessen.<br />
Man kann auch sagen: dem Ätherleib sei das Leben eigen, dem Astralleib das Bewußtsein<br />
<strong>und</strong> dem Ich die Erinnerung.“ 13 „Durch das Selbstbewußtsein bezeichnet sich der<br />
Mensch als ein selbständiges, von allem übrigen abgeschlossenes Wesen, als ,Ich‘. Im<br />
,Ich‘ faßt der Mensch alles zusammen, was er als leibliche <strong>und</strong> seelische Wesenheit erlebt.<br />
Leib <strong>und</strong> Seele sind Träger des ,Ich‘; in ihnen wirkt es. Wie der physische Körper im<br />
Gehirn, so hat die Seele im ,Ich‘ ihren Mittelpunkt. Zu Empfindungen wird der Mensch<br />
von außen angeregt; Gefühle machen sich geltend als Wirkungen der Außenwelt; der<br />
Wille bezieht sich auf die Außenwelt, denn er verwirklicht sich in äußeren Handlungen.<br />
Das ,Ich‘ bleibt als die eigentliche Wesenheit des Menschen ganz unsichtbar [...] Dieses<br />
Ich ist der Mensch selbst [...] Er darf deshalb seinen Leib <strong>und</strong> seine Seele als die ,Hüllen‘<br />
bezeichnen, innerhalb deren er lebt; <strong>und</strong> er darf sie als leibliche Bedingungen bezeichnen,<br />
durch die er wirkt. Im Laufe seiner Entwicklung lernt er diese Werkzeuge immer<br />
mehr als Diener seines ,Ich‘ gebrauchen [...] Nur von innen heraus, nur durch sich selbst<br />
kann die Seele sich als Ich bezeichnen.“ 14<br />
Das Selbstbewußtsein erwacht an der gegenständlichen Welt durch das Denken. Weil<br />
der Mensch sein Denken auf die Gegenstände richtet, hat er Objektbewußtsein, weil er<br />
es auf sich selbst richtet, Selbstbewußtsein: weil es denkendes Bewußtsein ist, ist das<br />
menschliche Bewußtsein zugleich Selbstbewußtsein. Das Subjekt denkt, so Steiner, nicht<br />
deshalb, weil es Subjekt ist, sondern ist umgekehrt Subjekt, weil es denken kann. Durch<br />
das Denken ringt sich der Mensch vom dumpfen Gefühl des eigenen Daseins zum Begriff<br />
seines Selbst hindurch. Das Selbstgefühl als Vorform des Selbstbewußtseins entsteht<br />
nicht vor dem dritten Lebensjahr, weil zunächst der geistige Wesenskern des Menschen<br />
noch ganz in der Ausbildung <strong>und</strong> im Ergreifen des Leibes aufgeht. 15<br />
Ohne die Beziehung der Seelenerlehnisse auf das Ich als bleibenden Mittelpunkt, als<br />
das im Wechsel Dauernde, müßte <strong>für</strong> den Menschen völliger Identitätsverlust eintreten.<br />
Doch darf man nicht, im Sinne der philosophischen Ich-Spekulation, das gewöhnliche<br />
Selbstbewußtsein bzw. die Ich-Vorstellung einfach mit dem Ich gleichsetzen. Diese<br />
Gleichsetzung wird, so Steiner, alle 24 St<strong>und</strong>en durch den Schlaf widerlegt, der die Ich-<br />
Vorstellung auslöscht, nicht jedoch das Ich, das man sich doch nicht jeden Morgen neu<br />
aus dem Nichts geschaffen denken kann. Der Ich-Gedanke des Alltagsbewußtseins ist<br />
nicht das wirkliche Ich, sondern nur dessen Spiegelbild. Doch kann mir die äußere Welt,<br />
zu der auch mein Leib gehört, diesen Ich-Gedanken niemals eingeben. „Und so wahr sich<br />
nicht spiegeln kann, was nicht da ist, so wahr muß das Ich sein, weil es sich spiegelt“ <strong>und</strong><br />
dieses Spiegelbild nicht von etwas anderem bewirkt sein kann. 16<br />
Das Ich-Bewußtsein wird gewöhnlich durch den Leib so ,abgedumpft“, daß es<br />
,zerflattert“, wenn ihm die Sinnesreize entzogen werden. Nur durch meditative Verdichtung<br />
des Denkens kann es gelingen, zur Realität des Ich-bin durchzustoßen: Im reinen<br />
Denken findet man das Selbst, das sein Bewußtsein von sich ohne die Spiegelung am<br />
Leib aufrechterhalten kann. Solche Thesen Steiners harmonieren übrigens in verblüffender<br />
Weise mit Ergebnissen von 1960-63 in den USA durchgeführten Experimenten über<br />
„Ichwahrnehmung bei vollkommener Sinnesausschaltung“: Verlust der „Ichwahrnehmung“<br />
trat dann nicht auf, wenn die VPs meditativ mit geometrischen Figuren <strong>und</strong> Symbolen<br />
umgingen. 17<br />
Man darf sich das Ich, wie Steiner 1911 auf dem Weltkongreß <strong>für</strong> Philosophie ausführt,<br />
überhaupt nicht innerhalb des Leibes befindlich vorstellen, sondern hat in der Leibesorganisation<br />
nur so etwas wie einen Spiegel zu sehen, der dem Ich sein außerleibliches<br />
Leben <strong>und</strong> Weben durch die organische Tätigkeit zurückspiegelt. Will man erkennen,<br />
nach welchen Gesetzen die Spiegelung entsteht, muß man die Eigenschaften des<br />
Spiegels untersuchen. Hier liegt das legitime Feld der Neurophysiologie <strong>und</strong> der anderen<br />
Naturwissenschaften. Von einer neuen Zusammenschau ihrer Ergebnisse erwartete Steiner<br />
wichtige Bestätigungen seiner Thesen. Es ist in diesem Zusammenhang sicher bemerkenswert,<br />
daß einer der renommiertesten modernen Hirnforscher, der Nobelpreisträ-<br />
65<br />
13 GA 13, S. 48.<br />
14 GA 9, S. 39f.<br />
15 GA 4, S. 60, 139; GA 61,S. 54.<br />
16 GA 61,S. 54f. Vgl. a. GA 35,S. 101ff.<br />
17 Nach Meffert 1982, S. 304. Die Experimente wurden an der Brown University/ Rhode Island durchgeführt.