Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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Raum <strong>und</strong> Zeit gelten nicht nur als objektiv-real, sondern die Zeit existiert ewig wie die<br />
Materie <strong>und</strong> der Raum ist unbegrenzt <strong>und</strong> unendlich wie sie. Wenn die moderne Astronomie<br />
mit ihren technischen Mitteln Objekte feststelle, deren Licht 10 Milliarden Jahre bis<br />
zu uns gebraucht hat, warum sollte man dann annehmen, daß irgendein Sternensystem<br />
das letzte ist, daß dahinter nicht weitere verborgen sind? Die Zeitreihe hat nicht begonnen.<br />
Wieviel „Zeit auch immer bis zum Eintritt eines Ereignisses verflossen sein mag, die<br />
Zeit wird auch weiterhin andauern, sie wird nie eine Grenze erreichen, wo es keinerlei<br />
Dauer oder keine unendliche Aufeinanderfolge von Prozessen mehr gibt, die in ihrer Gesamtheit<br />
die unendliche Dauer darstellen.“ 12 Wenn die idealistische Philosophie gleichzeitig<br />
die Unendlichkeit bzw. Ewigkeit <strong>und</strong> die Zeitlosigkeit bzw. Unräumlichkeit des Geistes<br />
behauptet, so erscheint das den Marxisten als absurder Widerspruch. Alle Vorstellungen<br />
von einer raum-zeit-unabhängigen (geistigen) Welt sind „vom Pfaffentum geschaffene<br />
<strong>und</strong> von der Einbildungskraft der niedergehaltenen Masse der Menschen genährte [...]<br />
krankhafte Phantasiegebilde, das untaugliche Produkt einer untauglichen Gesellschaftsordnung.<br />
13<br />
Raum <strong>und</strong> Zeit sind eine dialektische Einheit von Absolutem <strong>und</strong> Relativem, Endlichem<br />
<strong>und</strong> Unendlichem. Der unendliche Raum setzt sich aus lauter endlichen materiellen<br />
Objekten zusammen, die Ewigkeit aus lauter endlichen Prozessen. Raum <strong>und</strong> Zeit sind<br />
stetig <strong>und</strong> diskret: zwei Zeit- <strong>und</strong> Raumpunkte sind nicht absolut getrennt, es findet ein<br />
Übergang zwischen ihnen statt, andererseits bestehen Raum <strong>und</strong> Zeit aber auch aus klar<br />
unterschiedenen Elementen.<br />
Versuche, mit physikalischen Argumenten die Unendlichkeit <strong>und</strong> Unbegrenztheit bzw.<br />
Ewigkeit von Raum, Zeit <strong>und</strong> Materie anzuzweifeln, weist man mit Vehemenz zurück. Die<br />
„Haltlosigkeit“ einer religiös-idealistischen Interpretation der Urknallhypothese sei „offensichtlich“;<br />
man dürfe aufgr<strong>und</strong> von Vorgängen in einem Teil des Universums keine kategorischen<br />
Urteile über die wirkliche raum-zeitliche Struktur des gesamten Weltalls ableiten.<br />
Solche Relativierungen provozieren die Frage, wie sie sich mit der kategorischen<br />
Behauptung von der Ewigkeit <strong>und</strong> Unendlichkeit der Materie, die doch ebenfalls nur auf<br />
der Gr<strong>und</strong>lage von Beobachtungen in einem Teil des Universums in einem bestimmten<br />
Zeitabschnitt ruhen kann, verträgt. Die Wärmetod-Prognose wird ebenfalls zurückgewiesen,<br />
weil sie beweisen würde, „daß die Welt erschaffen, ergo, daß die Materie erschaffbar,<br />
ergo, daß sie zerstörbar [...]“ 14 ist. Weil das aber unmöglich so sein kann, hofft man<br />
auf künftige Forschungen, die zeigen sollen, wie die im Weltraum zerstreute Energie<br />
wieder der Energieumwandlung ,nutzbar‘ wird <strong>und</strong> verweist heute auch auf Poincaré, der<br />
1911 gezeigt habe, daß der zweite Hauptsatz der Thermodynamik nicht auf nahezu leere<br />
Räume wie den interstellaren kosmischen Raum angewandt werden dürfe. 15<br />
Immerhin akzeptiert Engels den Gedanken des Wärme- bzw. Kältetodes, wenn er ihn<br />
schon <strong>für</strong> das Gesamtuniversum nicht akzeptieren kann, doch <strong>für</strong> unser Planetensystem:<br />
Irgendwann werde die Sonne ausgeglüht sein <strong>und</strong> jedes Leben unmöglich, Über die Unerträglichkeit<br />
dieser Vorstellung tröstet er sich mit der Zuversicht hinweg, daß die Materie,<br />
da sie ewig ist, „mit derselben eisernen Notwendigkeit, womit sie auf der Erde ihre höchste<br />
Blüte, den denkenden Geist, wieder ausrotten wird, ihn anderswo <strong>und</strong> in anderer Zeit<br />
wiedererzeugen muß.“ 16 Wohlgemerkt, Engels denkt dabei an Geist im allgemeinen, nicht<br />
an die Wiederkehr des individuellen Geistes bestimmter Menschen.<br />
39<br />
12 Konstantinow, S. 83.<br />
13 LW 14, S. 182.<br />
14 MEW 20, 545. Vgl. Konst. 83f.<br />
15 Buhr/Klaus, S. 1284.<br />
16 MEW 20, S. 327.