Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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e <strong>und</strong> bessere. Nicht eine „Reform der Ausbeutung ist erforderlich, sondern ihre Aufhebung.“<br />
16<br />
Für Steiner ist das Verhältnis von geistiger <strong>und</strong> körperlicher Arbeit, von „WI“ <strong>und</strong> „WII“,<br />
ein Springpunkt <strong>für</strong> das Verständnis der politischen Ökonomie: bei der Bildung von Wirtschaftswerten<br />
müssen beide Faktoren zusammenwirken, <strong>und</strong> die Geringschätzung eines<br />
der beiden Faktoren muß in der ökonomischen <strong>und</strong> <strong>soziale</strong>n Praxis zu Problemen führen.<br />
Mit der Frage des WI-WII-Verhältnisses verb<strong>und</strong>en, wenn auch nicht vollkommen identisch<br />
mit ihr, ist die Problematik des Verhältnisses von produktiver <strong>und</strong> unproduktiver<br />
Arbeit <strong>und</strong> das Problem der Quelle des „Mehrwerts“.<br />
J. Huber kommt in diesem Zusammenhang zu folgender Einschätzung des Verhältnisses<br />
von Marx <strong>und</strong> Steiner: Während Marx „in materialistisch vereinseitigter Weise“<br />
willkürlich festsetze, nur Handarbeiter seien produktiv, anerkenne Steiner die Produktivität<br />
eines jeden, „der zur gesellschaftlichen Gesamtarbeit beiträgt.“ „Beide sehen die Wirtschaft<br />
im Zusammenspiel von Arbeits- <strong>und</strong> Verwertungsprozeß, Ware <strong>und</strong> Geld, in der<br />
Arbeit des Menschen an der Natur einerseits <strong>und</strong> in der Anleitung dieser Arbeit durch das<br />
,Bewußtsein‘ andererseits. Beide wollen eine Wirtschaft, die von den Lebensbedürfnissen<br />
der Menschen gesteuert wird. Jedoch sieht der Materialist Marx im Kapital nichts weiter<br />
als einen abstrakten Ausdruck der ,materiellen‘ Arbeitsprozesse. Steiner dagegen sieht<br />
das Kapital zugleich auch als eigenständigen Ausdruck des menschlichen Geistes, der<br />
die Arbeit anleitet [...]“<br />
Die Position Steiners ist damit präzise getroffen, bei Marx finden sich an manchen<br />
Stellen des Werks noch andere Nuancierungen des Begriffs der produktiven Arbeit, obwohl<br />
es durchaus auch Stellen gibt, die sich nur im Sinne der oben genannten Einschätzung<br />
interpretieren lassen. Eine solche Grenzziehung zwischen produktiv <strong>und</strong> unproduktiv<br />
kann man dann mit einem gewissen Recht als „Ausdruck der Altertümlichkeit der<br />
Marxschen Denkwelt“ 17 deuten. In diese Kerbe hieb bereits Steiner selbst: „Der geistige<br />
Arbeiter ist ja sicher ein Konsument. Ob er auch [...] ein Produzent ist, - darüber ist ja viel<br />
diskutiert worden; <strong>und</strong> die extremsten Marxisten z.B. haben ja immer <strong>und</strong> immer wiederum<br />
den unglückseligen indischen Buchhalter angeführt, der <strong>für</strong> seine Gemeinde die Bücher<br />
zu führen hat, der also nicht die Äcker besorgt oder eine andere produktive Arbeit,<br />
nur registriert, <strong>und</strong> sie sprechen diesem die Fähigkeit ab, irgendetwas zu produzieren. So<br />
daß sie konstatieren, daß er lediglich unterhalten wird aus dem Mehrwert, den die Produzenten<br />
erarbeiten.“ 18<br />
Immerhin ist bei Marx der mehrwertschöpferische Charakter das letztlich ausschlaggebende<br />
Unterscheidungskriterium - deshalb kann u.U. ein Clown im Dienst eines Kapitalisten,<br />
der mehr einspielt, als er kostet, produktiv, ein Flickschneider, der zu demselben<br />
Kapitalisten ins Haus kommt <strong>und</strong> aus dessen Gewinn bezahlt werden muß, unproduktiv<br />
sein. 19 Auch umfaßt der Marxsche Begriff des „Gesamtarbeiters“ sowohl körperlich als<br />
auch geistig Arbeitende, sowohl unmittelbar im Produktionsprozeß stehende als auch<br />
„Hilfsfunktionen Ausübende“; <strong>und</strong> um ein produktiver Arbeiter zu sein, genügt es, einen<br />
Teil dieses Gesamtarbeiters zu bilden. 20 Ja, an einer wenig bekannten Stelle gesteht<br />
Marx sogar zu, „als Lenker des Arbeitsprozesses“ könne sogar „der Kapitalist produktive<br />
Arbeit verrichten“. 21<br />
Auch wenn Marx die kritischen Konsequenzen solcher Einsichten <strong>für</strong> die quantitative<br />
Arbeitswertbestimmung nicht zieht, bedeuten die eben angeführten Thesen doch, daß es<br />
mehr Berührungspunkte zwischen Steiners <strong>und</strong> Marx‘ ökonomischer Konzeption gibt, als<br />
Steiner seinerzeit aufgr<strong>und</strong> seiner Quellenkenntnisse überblicken konnte. Steiner unterschätzt<br />
keineswegs den (relativen) Unterschied zwischen produktiver <strong>und</strong> unproduktiver<br />
bzw. vorwiegend körperlicher <strong>und</strong> vorwiegend geistiger Arbeit: Er betont, daß sich die<br />
körperlichen Arbeitsleistungen unmittelbar-gegenwärtig in Produkten niederschlagen,<br />
während viele geistige Leistungen erst nach einer gewissen Frist ihre Früchte bringen. In<br />
dieser Frist müssen ihre Erbringer als „Konsumenten“ - von den unmittelbar produktiv<br />
Arbeitenden mitunterhalten werden. Und dieses Verhältnis herrscht auch zwischen dem<br />
Wirtschaftsleben als ganzem auf der einen <strong>und</strong> dem Geistes- <strong>und</strong> Rechtsleben auf der<br />
anderen Seite. Wo die Macht des Geistes <strong>und</strong> der Wissenschaft dem Handarbeiter in<br />
16<br />
Huber 1979, S. 156. Dort auch das folgende Zitat.<br />
17<br />
Huber 1978, S. 46.<br />
18<br />
GA 340, S. 70.<br />
19<br />
MEW 26. 1., S. 127 f., vgl. MEW 23, S. 532, zum „indischen Buchhalter“ MEW 24, S. 135.<br />
20<br />
Konstantinow 1972, S. 345; MEW 23, S. 531.<br />
21<br />
Marx, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, S. 74. Nachdruck eines 1863/64 entstdn., 1933<br />
vom Moskauer Marx-Engels-Archiv vcröfftl. Mnskr. Zit. n. „Klassen- <strong>und</strong> Sozialstruktur ...“ 1973, S. 81.<br />
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