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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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listische Wirtschaftsordnung hervorgerufen, daß er so<strong>und</strong>soviel Leute beschäftigen kann<br />

durch die Arbeit, die er erspart durch sein Gut.“ 28<br />

Marx hatte den Handel als historisch bedingte Erscheinung nicht als Glied der Arbeitsteilung<br />

wie die anderen Glieder auffassen wollen, die Arbeit, die die Vermittlung der Zirkulation<br />

kostet, nicht als wertbildende Arbeit <strong>und</strong> deshalb Gewinne im Handel nicht als echte<br />

Mehrwertbildung anerkennen wollen. Steiner dagegen erkennt die Funktion des Händlers,<br />

soweit er nicht spekulative Gewinne aus dem Handel mit Rechten oder Wuchergewinne<br />

macht, als gleichwertiges Glied der Gesamtarbeit: der Handel arbeitet effektiver<br />

<strong>und</strong> ökonomischer, erspart den Warenproduzenten Zeit <strong>und</strong> erschließt ihnen Märkte, die<br />

sie allein nicht zu erschließen vermöchten. Er wirkt daher aufs ganze gesehen verbilligend<br />

auf die Produktion zurück, ist an der freien Kapitalbildung beteiligt. 29<br />

Diese Schilderung der Kapitalentstehung wurde idealtypisch genannt, obwohl Steiner<br />

den Begriff nicht da<strong>für</strong> verwendet, wegen des ambivalenten Charakters der Antriebe, die<br />

die Wirtschaft im kapitalistischen Sinne umwälzen: „Freies Kapital“ kann als Basis sinnvoller<br />

Erweiterung von gesellschaftlichem Reichtum <strong>und</strong> Kultur dienen, kann aber auch<br />

das Instrument eines schrankenlosen Egoismus bilden, der den gesellschaftlichen Prozeß<br />

dem Fetisch Profit unterwirft. So kehrt sich solche „Freiheit“ gegen die Masse der<br />

Arbeitenden, deren Arbeit sie zur Ware macht <strong>und</strong> als bloßen Kostenfaktor einrechnet.<br />

Damit produziert sie Arbeits- <strong>und</strong> Einkommenslosigkeit, <strong>soziale</strong> Unsicherheit <strong>und</strong> Verelendung,<br />

statt daß die Einsparung von Arbeit das Los aller erleichterte. Als Gegentendenz<br />

ruft sie die Aufblähung der Rolle des Staates hervor, der auf den Plan tritt, diese<br />

Freiheit so zu beschränken, daß sie nicht den <strong>soziale</strong>n Organismus vollends zerstört. Es<br />

wäre in der Tat ein „gemütlicher Glaube“ 30 , die idealtypische Rolle des Kapitals mit der<br />

historischen Realität des Kapitalismus einfach zu identifizieren.<br />

Realiter gehen in die Gewinne der Unternehmen bis heute zahlreiche unechte Bestandteile<br />

ein: Gewinne aus dem Raubbau an der menschlichen Arbeitskraft, Konjunktur<strong>und</strong><br />

Inflationsgewinne, Gewinne aus Gr<strong>und</strong>stücks-, Aktien- <strong>und</strong> Devisenspekulation, Gewinne<br />

durch Ausnutzung monopolistischer bzw. oligopolistischer Marktbeherrschung,<br />

während nur die Absonderung von freiem Kapital („Rationalisierungsgewinn“) im „wahren<br />

Sinne als Kapital“ gelten darf. 31 Diese Verquickung führt zu <strong>soziale</strong>n Karzinombildungen,<br />

die die sozialorganisch richtigen Kapitalbildungsprozesse durchwuchern. Steiner analysiert<br />

z.B. anhand des Verhältnisses von Personal- <strong>und</strong> Realkredit, wie die Kreditschöpfung,<br />

die eigentlich dazu führen soll, daß das Kapital ,zum Klugen schwimmt‘, der aufgr<strong>und</strong><br />

seiner geistigen Fähigkeiten den bestmöglichen Gebrauch von ihm machen wird<br />

(Personalkredit im Vertrauen auf Tüchtigkeit usw.), zu einem Mittel der Stauung von Kapital<br />

in Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Boden wird, weil Kredit primär jenen gewährt wird, die materielle Sachwerte<br />

als Sicherheit zu bieten haben, völlig ungeachtet ihrer persönlichen Tüchtigkeit<br />

oder Untüchtigkeit (falsche Dominanz des Realkredits). 32<br />

Unter solchen Bedingungen ist es klar, daß die Kapitalfunktion - Anwendung von Geist<br />

auf Arbeit - <strong>und</strong> das Kapitaleigentum nicht unmittelbar identisch sein, ja in schreienden<br />

Widerspruch zueinander geraten können. Diese Problematik zu sehen, ist sehr wichtig,<br />

wenn man in der Debatte über die ökonomischen Konzeptionen von <strong>Marxismus</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Anthroposophie</strong> nicht aneinander vorbeireden will. Wenn Marx nicht ohne Hochachtung<br />

von den tatsächlichen Anwendern von Geist auf Arbeit, den Erfindern spricht, von den<br />

gewöhnlichen „amis du commerce“ dagegen mit unverhohlener Verachtung, so hat diese<br />

unterschiedliche Behandlung durchaus ihr F<strong>und</strong>amentum in re. „Die größere oder geringere<br />

Anwendung der Teilung der Arbeit“ hat im kapitalistischen Alltag sicher oft „von der<br />

Länge der Börse“ abgehangen, nicht „von der Größe des Genies“. 33 Auch mögen oft genug<br />

die „viel größeren Kosten, womit überhaupt ein auf neuen Erfindungen beruhendes<br />

Etablissement betrieben wird, verglichen mit den späten, auf seinen Ruinen [...] aufsteigenden“<br />

so weit gegangen sein, „daß die ersten Unternehmer meist Bankerott“ machten<br />

„<strong>und</strong> erst die spätern, in deren Hand Gebäude, Maschinerie etc. wohlfeiler kommen, florieren.<br />

Es ist daher meist die wertloseste <strong>und</strong> miserabelste Sorte von Geldkapitalisten,<br />

die aus allen neuen Entwicklungen der Arbeit des menschlichen Geistes <strong>und</strong> ihrer gesellschaftlichen<br />

Anwendung durch kombinierte Arbeit den größten Profit ziehen.“ 34<br />

28<br />

GA 188, S. 194.<br />

29<br />

Vgl MEW 24, S. 131ff.; MEW 25,S. 278ff., 336; GA 340,S. 35.<br />

30<br />

MEW 23, S. 385.<br />

31<br />

Wilken 1976, 45f.<br />

32<br />

Vgl. in GA 340, besonders im V. Vortrag.<br />

33<br />

MEW 23, S. 385.<br />

34<br />

MEW 25, S. 114.<br />

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