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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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hat alles Interesse an Veränderung <strong>und</strong> keines an Bewahrung. Es ist eine Klasse „mit<br />

radikalen Ketten“.<br />

Hegels Idealismus wird fallengelassen, aber der dialektische Gr<strong>und</strong>gedanke bleibt,<br />

daß es eine Art geschichtliches Gesetz des Fortschritts gibt, der durch die Entwicklungsdynamik<br />

der Widersprüche vorangetrieben wird. Der Kampf der Gegensätze, das sind<br />

jetzt die ökonomisch bedingten Klassenkämpfe.<br />

Marx formuliert den Gedanken von der „historischen Mission der Arbeiterklasse“ erstmals<br />

1844 in Paris, wohin er sich, überdrüssig des Kampfs mit der Zensur, den er als<br />

Redakteur der Rheinischen Zeitung hat führen müssen, mit seiner jungen Frau geflüchtet<br />

hat. In Paris entsteht die Lebensfre<strong>und</strong>schaft mit Engels. Der hat 1842-1844 in Manchester,<br />

im Zentrum des modernen Kapitalismus, seine Ausbildung beendet. Dabei hat er die<br />

elende <strong>und</strong> unwürdige Situation der Arbeiter hautnah kennengelernt <strong>und</strong> ein Buch („Die<br />

Lage der arbeitenden Klassen in England“) darüber geschrieben, das 1845 veröffentlich<br />

werden <strong>und</strong> Aufsehen erregen wird.<br />

Was Engels aus der empirischen Anschauung schildert, entwikkelt Marx mehr philosophisch<br />

als die Problematik der entfremdeten Arbeit. In den „Ökonomischphilosophischen<br />

Manuskripten“ von 1844 lesen wir dazu:<br />

„Der Arbeiter wird um so ärmer, je mehr Reichtum er produziert, je mehr seine Produktion<br />

an Macht <strong>und</strong> Umfang zunimmt. Der Arbeiter wird eine um so wohlfeilere Ware, je<br />

mehr Waren er schafft. Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt die Entwertung der<br />

Menschenwelt in direktem Verhältnis zu... Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr<br />

Produkt, tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine von dem Produzenten unabhängige<br />

Macht gegenüber... Die Verwirklichung der Arbeit erscheint ... als Entwirklichung des<br />

Arbeiters, die Vergegenständlichung als Verlust <strong>und</strong> Knechtschaft des Gegenstandes, die<br />

Aneignung als Entfremdung, als Entäußerung... Je mehr der Arbeiter sich ausarbeitet,<br />

umso mächtiger wird die fremde gegenständliche Welt, die er sich gegenüber schafft, um<br />

so ärmer wird er selbst, seine innere Welt, um so weniger gehört ihm zu eigen...“ 13 Worin<br />

besteht nun die Entäußerung der Arbeit? Erstens darin, daß die Arbeit dem Arbeiter äußerlich<br />

ist, daß er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl,<br />

sondern unglücklich fühlt, keine freie physische <strong>und</strong> geistige Energie entwickelt, sondern<br />

seine Physis abkasteit <strong>und</strong> seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer<br />

der Arbeit bei sich <strong>und</strong> in der Arbeit außer sich. 14<br />

Im wesentlichen sind es vier Formen der Entfremdung, die konstatiert werden: die Entfremdung<br />

vom eigenen Produkt, die Entfremdung von der eigenen Tätigkeit, die Entfremdung vom<br />

eigenen Gattungswesen, das heißt gegenüber der eigenen Natur <strong>und</strong> Sinnlichkeit, <strong>und</strong> schließlich<br />

die Entfremdung der Menschen untereinander. Aus diesem Begriff der entfremdeten Arbeit<br />

wird dann im weiteren der Begriff des Privateigentums entwickelt: die entfremdete Arbeit produziert<br />

nicht nur den entfremdeten Gegenstand, sondern auch die Herrschaft des Nichtproduzenten<br />

über das Produkt. Dieser Nichtproduzent ist ebenfalls entfremdet, aber er fühlt sich in der<br />

Entfremdung wohl <strong>und</strong> weiß sie als seine eigene Macht, er ist der „Ausbeuter“ in der späteren<br />

marxistischen Terminologie. Der Arbeiter dagegen ist derjenige, in dessen Lage sich das gesamte<br />

menschliche Elend so zuspitzt, daß aus dieser Zuspitzung dann als reinigendes Unwetter<br />

der Geschichte die Revolution des Proletariats erwächst. Sie ist der Sprung aus dem Reich<br />

der Notwendigkeit in das der Freiheit, weil sie mit der Aufhebung des Privateigentums Freiheit<br />

im Sinne humaner gesellschaftlicher Bedingungen, im Sinne der Aufhebung der Entfremdung<br />

erst möglich macht.<br />

Wie Marx die Paradoxien der Entfremdung im einzelnen kritisiert, kann hier nur angedeutet<br />

werden: Da wird gezeigt, wie an die Stelle der Selbstbestätigung in der Befriedigung der<br />

eigenen Bedürfnisse <strong>und</strong> der der Mitmenschen die Tendenz tritt, an das Produkt des anderen<br />

zu gelangen, wie der „Sinn des Habens“ Menschlichkeit verhindert. Nicht die Qualität der<br />

Produkte <strong>und</strong> der Sinngehalt der Arbeit ist unter solchen Bedingungen relevant, sondern allein<br />

der Tauschwert, die Äquivalenzfunktion dessen, was ich produziere. Es entsteht ein eigennütziges,<br />

raffiniertes Verhältnis zum anderen Menschen. Im Geld verkörpert sich das<br />

entäußerte <strong>und</strong> entfremdete Gattungswesen des Menschen in extremster Abstraktion. Die<br />

Gattungskräfte sind gleichsam ganz qualitätslos geworden. Das Geld tauscht sich mit allen<br />

menschlichen Eigenschaften <strong>und</strong> Qualitäten aus, es spielt die Rolle eines Kupplers, es ist der<br />

Ausdruck der vollständigen Herrschaft der entfremdeten Sache über den Menschen. 15 .<br />

13<br />

MEW Ergänzungsband I, a.a.O., S. 511f.<br />

14<br />

A.a.O., S. 514.<br />

15<br />

Vgl. MEW Ergänzungsband I, a.a.O.<br />

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