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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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dualität: Not macht nicht von selbst erfinderisch, sie kann auch lähmend wirken. Es bedarf<br />

eines „Selbstes“ mit seinem Erfindungsgeist, das die Herausforderung annimmt.<br />

Problem- <strong>und</strong> Leidensdruck sind ein Motor des Handelns; aber sicher ist die keiner Not<br />

gehorchende Entdecker- <strong>und</strong> Schaffensfreude auch ein solcher Motor. Und es ist noch<br />

die Frage, welchem von beiden die Menschheit mehr an Fortschritt verdankt. Wo Marx<br />

einen Zustand kritisiert, in dem der nackte Kampf ums Dasein <strong>für</strong> viele das Leben ganz<br />

ausfüllt <strong>und</strong> <strong>für</strong> keine anderen Handlungsantriebe Raum läßt, ist Steiner mit ihm solidarisch;<br />

er setzt sich erst da zu ihm in Gegensatz, wo Marx dem Glauben huldigt, daß es<br />

nichts Bedeutendes in der Geschichte gibt, zu dem die Menschen nicht durch die Umstände<br />

getrieben worden wären.<br />

Die Produktivkraftthematik im anthroposophischen Weltbild hat aber noch eine weitere<br />

Seite: die Meinung, man könne sich im Ringen um gesellschaftlichen Fortschritt einfach<br />

auf die Produktivkraftentwicklung stützen <strong>und</strong> habe sich ausschließlich gegen die privatkapitalistische<br />

Form zu wenden, in der sich diese Entwicklung vollzieht, gilt dort als zu<br />

schlicht. Gerade die Ökologie-Diskussion der letzten Jahre hat gezeigt, daß es nicht nur<br />

Alternativen der gesellschaftlichen, sondern auch der technologischen Entwicklung gibt,<br />

daß sanfte, umweltfre<strong>und</strong>liche Techniken sich nicht von selbst durchsetzen. Diese Alternativen<br />

erfordern Entscheidungen, denen man nicht durch den Hinweis, daß die Technologie<br />

an sich neutral <strong>und</strong> alles nur eine Frage der friedlichen Nutzung sei, ausweichen<br />

kann. Es zeigt sich heute auch, daß ökologische Schäden durch skrupellose Technik <strong>und</strong><br />

Einsparung von Umweltschutzmaßnahmen nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Profits,<br />

sondern auch unter dem der „Planerfüllung“ möglich sind: umweltbewußtes Verhalten<br />

ist nicht einfach ein Reflex ökonomischer Strukturen. Steiners Beziehung zur Technik<br />

unterscheidet sich dabei von manchen anderen ökologisch geprägten Richtungen dadurch,<br />

daß es <strong>für</strong> ihn kein Zurück in vorindustrielle, vermeintlich idyllische Verhältnisse<br />

gibt. 25<br />

Wenn man nach einem Analogon der Marxschen Dialektik von Produktivkräften <strong>und</strong><br />

Produktionsverhältnissen bei Steiner sucht, stößt man auf eine doppelte Problematik:<br />

einmal auf die Frage nach der Entwicklung der Eigentumstypen <strong>und</strong> der zeitgemäßen<br />

Eigentumsordnung, zweitens auf das Thema des Widerspruchs zwischen technischen<br />

<strong>und</strong> sozialmoralischen Fähigkeiten der heutigen Menschheit; dabei geht es dann nicht<br />

bloß um den Eigentumstyp, sondern um die der heutigen Zivilisation angemessene Gesellschaftsstruktur<br />

als ganze.<br />

Die Wirtschaftsordnung entwickelt sich von einer selbstversorgerischen<br />

„Haus“wirtschaft zur hochgradig arbeitsteilig verflochtenen Weltwirtschaft. Die Diskrepanz<br />

bzw. den Widerspruch, die sich in vielen Krisen der Gegenwart entfalten, sieht Steiner in<br />

der Tatsache, daß Gedanken <strong>und</strong> Einrichtungen dem Stand der Arbeitsteilung nicht entsprechen:<br />

Im individuellen <strong>und</strong> im Gruppenegoismus innerhalb von <strong>Institut</strong>ionen, Berufen,<br />

Staaten <strong>und</strong> Wirtschaftsgemeinschaften übernationaler Art lebt häufig immer noch das<br />

alte Selbstversorgungsdenken fort, das durch die wirtschaftliche Entwicklung obsolet<br />

geworden ist. Der Altruismus ist heute eine ökonomische Notwendigkeit, nicht ein bloßes<br />

ethisches Postulat. 26<br />

Der Widerspruch wird sich so lange in Krisen <strong>und</strong> Katastrophen entladen müssen, bis<br />

er durch eine entsprechende Sozialgestaltung gelöst ist. Nur so kann ein dem Fortschritt<br />

von Naturwissenschaft <strong>und</strong> Technik entsprechender Fortschritt an menschlicher Emanzipation<br />

zustande kommen, können Formen des Miteinander zwischen einzelnen, Gruppen,<br />

Völkern <strong>und</strong> Rassen entstehen, die Mißtrauen, Egoismus <strong>und</strong> Machtgier im Leben<br />

der Menschheit zurückdrängen.<br />

Steiner übernimmt die Marxsche Charakterisierung der historischen Abfolge der Eigentumstypen:<br />

„Im Altertum gab es Sklaven. Der ganze Mensch wurde wie eine Ware<br />

verkauft. Etwas weniger vom Menschen, aber doch ein Teil des Menschenwesens selber<br />

wurde in den Wirtschaftsprozeß eingegliedert durch die Leibeigenschaft. Der Kapitalismus<br />

ist die Macht geworden, die noch einem Rest des Menschenwesens den Charakter<br />

der Ware aufdrückt: der Arbeitskraft.“ 27 Steiner visiert wie Marx die Aufhebung dieses<br />

unwürdigen gesellschaftlichen Zustandes an, sieht jedoch anders als Marx die Alternative<br />

darin, daß das Verhältnis zwischen Arbeit <strong>und</strong> Einkommen zu einer Rechtsfrage gemacht<br />

<strong>und</strong> insoweit überhaupt aus dem ökonomischen Prozeß ausgegliedert wird.<br />

127<br />

25 Vgl. z.B. GA 200, S. 91.<br />

26 Vgl. GA 340, S. 36.<br />

27 GA 23, S. 43.

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