06.01.2013 Aufrufe

Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Leben einer weiteren Umgebung mit. Das heutige Traumbewußtsein ist das Überbleibsel<br />

einer älteren Bewußtseinsverfassung, eines schöpferisch-plastischen, gleichsam magischen<br />

Bilderbewußtseins, das zugleich in mittelbarer, symbolischer Form die verhaltensrelevanten<br />

Umgebungseigenschaften widerspiegelt. Das Wachbewußtsein, wie es <strong>für</strong> die<br />

heutige Menschheit typisch ist — in seiner Doppelgestalt als Gegenstands- <strong>und</strong> Selbstbewußtsein<br />

- bringt zunächst ein Versiegen dieser Bilderfülle <strong>und</strong> Lebendigkeit - der Gedanke<br />

in seiner Bildlosigkeit ist erwacht. Nach Steiner kann dieses Wachbewußtsein seine<br />

Helligkeit steigern <strong>und</strong> zugleich wieder bildhaft werden; von der ehedem dämmerhaft<br />

erlebten Bilderwelt wird es dabei zu einem vollbewußt gehandhabten Vermögen des<br />

Denkens in inneren Anschauungen gelangen, zu einem „selbstbewußten Bilderbewußtsein“.<br />

23<br />

Steiner bewertet das Verhältnis von menschlicher Psyche <strong>und</strong> Tierpsychischem deutlich<br />

anders als der <strong>Marxismus</strong>. F. A. Kipp bemerkt, daß die Intelligenzversuche mit Affen,<br />

die deren Lernvermögen belegen sollen, sich nur mit Jungtieren durchführen lassen. Von<br />

der zuerst so auffälligen Verhaltensplastizität bleibe im späteren Alter nicht viel übrig.<br />

Dies wertet Kipp als Beleg da<strong>für</strong>, daß die Tier-Primaten eine Abzweigung von dem aufwärtsgerichteten,<br />

zunehmende Autonomie produzierenden Evolutionsstrom <strong>und</strong> „Rückkehr<br />

in den Zustand ökologischer Einpassung“ darstellen. 24<br />

Steiner sieht in der erstaunlichen Gattungsintelligenz, wie sie rein instinkthaft z. B. in<br />

höchster Ausgestaltung bei den Bienen <strong>und</strong> Ameisen vorkommt, eine mit der Vererbung<br />

zusammenspielende Wirksamkeit tierischer Gruppenseelen. Die Intelligenzleistungen<br />

auch der höheren Tiere bleiben immer einseitig, denn deren Erlebnisse sind „unmittelbar<br />

am Leib entstehend <strong>und</strong> durch leibliche Befriedigung wieder vergehend. Erst der sich<br />

selbst im Ich bewußte Mensch hat Seelenempfindungen, die von ihrer leiblichen Gr<strong>und</strong>lage<br />

unabhängig werden, insofern sie auch später aus der Erinnerung wiedererzeugt<br />

werden können, also ohne äußeren Reiz“ 25 Für eine oberflächliche Betrachtung liegt es<br />

nahe, von „Erinnerung“ zu sprechen, wenn beispielsweise der H<strong>und</strong> seinen Herrn nach<br />

längerer Trennung wiedererkennt. Aber in Wahrheit macht sich die Anwesenheit des<br />

Herrn als aktuelles Lusterlebnis geltend, so wie sich das Bedürfnis nach seiner Gegenwart<br />

in der Abwesenheit vielleicht als aktuelles Unlusterlebnis geltend gemacht hat. 26<br />

Menschliches Verhalten ist prinzipiell mehr als die Abberufung eines einmal als erfolgreich<br />

im Nervensystem gespeicherten Verhaltensprogramms bei Wiedereintreten verwandter<br />

Situationsmerkmale, das dann „nach dem Schema der instinktiven Verhaltensregulation“<br />

abläuft. Dies mag der „Gr<strong>und</strong>mechanismus“ aller Dressurvorgänge sein, der<br />

„aller Lernvorgänge“ ist er nicht 27 , wenn auch die Anwendung solcher Denkmuster in der<br />

Pädagogik die negative Vision einer Mechanisierung des Geistes als Drohung heraufbeschwört.<br />

Auch <strong>für</strong> Steiner spielt die Hand-Arbeit eine entscheidende menschheitsgeschichtliche<br />

Rolle: Die Entwicklung des Menschen zu einem selbstverantwortlichen Wesen ist <strong>für</strong> ihn<br />

mit dem Freiwerden der vorderen Extremitäten verb<strong>und</strong>en, die nun freie Arbeitswerkzeuge<br />

bilden. Nun lernt der Mensch den aufrechten Gang, der Blick wird nach oben frei, er<br />

erwirbt sich die artikulierte Sprache, die nur bei einem Wesen mit aufrechter Haltung<br />

auftreten kann. 28 So richtig es ist, daß „das denkende Haupt der Hände“ bedarf, „um seine<br />

Ideen an der Praxis zu prüfen“, so wichtig ist gleichzeitig die Feststellung, daß schon „die<br />

Verfertigung der primitivsten steinzeitlichen Faustkeile [...] ,Geist‘ (Ideenbildung, Denken,<br />

Inspiration)“ erforderte. 29 Der Geist des Menschen erwacht an der äußeren Welt, aber er<br />

ist nicht ihr Produkt. Indem der Mensch sich Ziele setzen lernt <strong>und</strong> seine Organe <strong>für</strong> diese<br />

Ziele in Bewegung setzt, hört er auf, wie das Tier durch seine Organe bloß belehrt zu<br />

werden, sondern belehrt - wie Goethe einmal sagt - seine Organe.<br />

Der Psychologe Karl Bühler hat die drei sprachlichen Gr<strong>und</strong>funktionen der K<strong>und</strong>gabe<br />

von (Lust- <strong>und</strong> Schmerz-)Gefühlen, der Auslösung von Verhalten (durch Warnrufe z. B.)<br />

<strong>und</strong> der Darstellung, die einen nichtinstinktiven Gebrauch von Signalen erfordere, unterschieden.<br />

30 Nur der Mensch ist in der Lage, Sachverhalte objektiv, ohne Befindlichkeiten<br />

<strong>und</strong> leibliche Bedürfnisse ins Spiel zu bringen, sprachlich „darzustellen“. Die Finger-<br />

67<br />

23<br />

GA 11,S. 111f.; GA 94,S. 88f., GA 18 I, S. 22<br />

24<br />

Kipp 1980, S. 72f.<br />

25<br />

A. Husemann 1982, S. 32.<br />

26<br />

GA 13, S. 49.<br />

27<br />

Klix 1977, S. 9.<br />

28<br />

GA 94, S. 87f.; vgl. GA 245, S. 44.<br />

29<br />

Hartmann 1982.<br />

30<br />

Bühler 1962.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!