Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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Gewißheit, könne aber diesen „Glauben an einen höchsten Urheber bis zu einer unwiderstehlichen<br />
Überzeugung“ steigern 34 .<br />
Kants „Ding an sich“ hat mit Demokrits „Atomen“ gemeinsam, daß es die Erscheinung<br />
verursacht, aber nicht erscheint. Dergestalt ist auch Newtons Optik konzipiert: die Farbe<br />
als Erscheinung, von einer dahinterliegenden wellenhaften, selber nicht erscheinenden<br />
Realität verursacht. Ganz anders geht Goethe als Naturforscher vor: „So wie die Erklärung<br />
der geistigen Erscheinungen darin besteht, die eine aus der anderen herzuleiten,<br />
ebenso besteht auch die Erklärung der natürlichen Qualitäten (Farben, Töne, Wärmeempfindungen<br />
usw.) darin, daß man zeigt, in welchem Zusammenhange sie untereinander<br />
stehen. Nicht die Herleitung des Sinnlich-Wahrnehmbaren aus Sinnlich-nicht-mehr-<br />
Wahrnehmbaren (Lichtstoff, Lichtschwingung) ist die „Aufgabe der Naturwissenschaft,<br />
sondern die Aufzeigung der gegenseitigen Abhängigkeit der einzelnen wahrnehmbaren<br />
Qualitäten. Ist man in der Lage, die Abhängigkeit einer zusammengehörigen Gruppe von<br />
Wahrnehmungen von einer anderen ebenso gearteten Gruppe anzugeben, so hat man<br />
ein Urphänomen festgestellt.“ 35 Die künstliche Unterscheidung zwischen primären <strong>und</strong><br />
sek<strong>und</strong>ären Qualitäten wird bei Goethe vermieden, ohne daß wie bei Berkeley daraus<br />
subjektiver Idealismus entstünde. Hegel <strong>und</strong> Schelling nehmen Goethes Partei - gegen<br />
Newton <strong>und</strong> den Mechanizismus.<br />
Hegel polemisiert in seiner „Wissenschaft der Logik“ gegen die Totalerklärung „Atom“<br />
als das „Prinzip der höchsten Äußerlichkeit <strong>und</strong> damit der höchsten Begriffslosigkeit“ 36 ;<br />
das Werden, die Bewegung läßt er aus der Dialektik von Sein <strong>und</strong> Nichts entstehen, aus<br />
ihrem Widerspruch, den er zu denken wagt, statt ihn auf die Ebene von stofferfülltem <strong>und</strong><br />
leerem Raum zu verschieben wie die antiken Atomisten. Materie ist <strong>für</strong> ihn ein Moment im<br />
Werdeprozeß der absoluten Idee, wie auch Raum <strong>und</strong> Zeit als deren Hervorbringungen<br />
fungieren. Die Natur ist „die Idee in der Form des Andersseins.“ 37 Während bei Fichte<br />
Materie als Nicht-Ich, als Widerstand konzipiert wird, den sich das absolute Subjekt selbst<br />
entgegensetzt, entwickelt Schelling einen „Real-Idealismus“, der Natur als sichtbaren<br />
Geist, Geist als unsichtbare Natur auffaßt <strong>und</strong> sich darauf beruft, daß in der Natur selbst<br />
die Phänomene immer geistiger werden: „Die optischen Phänomene sind nichts anderes<br />
als eine Geometrie, deren Linien durch das Licht gezogen werden, <strong>und</strong> dieses Licht<br />
selbst ist schon zweideutiger Materialität. In den Erscheinungen des Magnetismus verschwindet<br />
schon jede materielle Spur [...] 38<br />
Daß solche Ansätze des deutschen Idealismus verdrängt wurden, hing nicht allein mit<br />
dem Materialismus des Zeitgeistes zusammen, sondern auch mit den Einseitigkeiten <strong>und</strong><br />
dem spekulativen Charakter der Systeme der Schelling <strong>und</strong> Hegel. - Die wenigen „Goetheanisten“,<br />
die wie Goethe selbst empirische Naturforschung betrieben, waren zu<br />
schwach, um durchzudringen. Um die Jahrh<strong>und</strong>ertmitte ist der Materialismus zur bestimmenden<br />
Sichtweise geworden <strong>und</strong> hat den Charakter dessen angenommen, was die<br />
moderne Wissenschaftstheorie ein „Paradigma“ nennt: Allgemein nimmt man die materiellen<br />
Vorgänge als die primären <strong>und</strong> entscheidenden, Lebens- <strong>und</strong> Bewußtseinsvorgänge<br />
dagegen werden als Folgewirkung physikalisch-chemischer Prozesse betrachtet. Zwar<br />
bleibt es - wie im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert auch - häufig bei globalen Behauptungen, die „Antizipationen<br />
auf noch zu erbringende Forschungsergebnisse“ 39 sind; das Wesentliche ist aber<br />
die unerschütterliche Erwartung, es handele sich höchstens um Lücken, die die weitere<br />
Entwicklung der empirischen Forschung schon noch schließen werde. Hatte nicht die<br />
Wissenschaft die alten Mythen zerstört, die Welt „entzaubert“, die „natürlichen Ursachen“<br />
allen Geschehens immer mehr aufgewiesen? Was konnte die Vorstellung einer immateriellen<br />
Welt, wie sie sich in alten Zeiten unter dem Einfluß der Religion gebildet hatte,<br />
anderes sein als ein Produkt der Unwissenheit?<br />
So dachten vielfach gerade die konsequentesten Erkenntnissucher in der 2. Hälfte<br />
des 19.Jahrh<strong>und</strong>erts. Und sie durften sich bestätigt fühlen durch die Tumbheit der Reaktionäre,<br />
die einem David Friedrich Strauß <strong>und</strong> einem Ludwig Feuerbach die akademische<br />
Laufbahn ihrer religionskritischen Auffassungen wegen versperrten. Feuerbach leitet die<br />
Entstehung der Religion aus dem Wesen des Menschen, aus seinem Glücksstreben ab.<br />
„[...] die Götter sind die als wirklich gedachten, in wirkliche Wesen verwandelten Wünsche<br />
28<br />
34<br />
Kant 1974, S. 550f.<br />
35<br />
Goethe (Kürschner), 5. Bd., S. 272 (Anm. Steiners).<br />
36<br />
Hegel, Logik I, S. 205.<br />
37<br />
Hegel, Enzyklopädie, S. 200.<br />
38<br />
Schelling 1957, S. 8f.<br />
39<br />
Meyers Enz., Art. ,,Materialismus“.