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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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einer regierenden kommunistischen Partei, der sich nicht auch zu Moralfragen wie z.B.<br />

zur „kommunistischen Einstellung zur Arbeit“ äußerte; Walter Ulbrichts „10 Gebote der<br />

sozialistischen Moral‘ waren nur das vielleicht extremste Beispiel in dieser Richtung.<br />

Die Moral hat <strong>für</strong> den <strong>Marxismus</strong> Klassencharakter: ethische Systeme gelten als historisch<br />

bedingt: Wenn das Bürgertum vermeinte, im Namen der menschlichen „Natur“ auftreten<br />

zu können, so war dies eine Illusion: jede Klasse bringt, so meint man, ihre eigenen<br />

Vorstellungen über Gut <strong>und</strong> Böse hervor. Man sieht Gemeinsamkeiten in der Moral<br />

verschiedener Klassengesellschaften: christlich-feudale <strong>und</strong> aufklärerisch-bürgerliche<br />

Moral kämen z.B. in der Verteidigung des Privateigentums als gut überein. Das Gute ist<br />

<strong>für</strong> die Kommunisten primär von den Interessen der Arbeiterklasse her zu bestimmen:<br />

Haß gegen Ausbeutung, revolutionäres Standvermögen, Solidarität usw. sind erstrebenswerte<br />

moralische Qualitäten. Bemerkenswerterweise will man aber doch einigen<br />

Moralnormen einen allgemeingültigen Charakter zumessen, Moralnormen, die sich gegen<br />

Gewalttätigkeiten <strong>und</strong> andere „Exzesse“ richten, die Achtung der Menschenwürde <strong>und</strong><br />

des Friedens beinhalten. Diese Normen würden vom Imperialismus ständig mit Füßen<br />

getreten, erst der Kommunismus setze sie endgültig durch, erst in ihm verliere die Moral<br />

endgültig ihren Klassencharakter. 3<br />

Die frühgeschichtliche Forschung zeigt, daß Kunstgegenstände schon in ältester Zeit<br />

existierten. Je mehr die Menschen im Stoffwechselprozeß mit der Natur ihre Fähigkeiten<br />

<strong>und</strong> Bedürfnisse steigerten, so wird dazu argumentiert, um so mehr wuchs auch das Bedürfnis<br />

nach dem Schönen <strong>und</strong> mit ihm die künstlerische Produktion, d.h. die Herstellung<br />

von Gegenständen, die niemals bloße Arbeitsmittel sind, sondern schöpferische Phantasie<br />

als Selbstzweck verkörpern, <strong>und</strong> mit der künstlerischen Produktion bildete sich so der<br />

Geschmack. In der Klassengesellschaft verselbständige sich die künstlerische Sphäre:<br />

„Die exklusive Konzentration des künstlerischen Talents in einzelnen <strong>und</strong> seine damit<br />

zusammenhängende Unterdrückung in der großen Masse ist Folge der Teilung der Arbeit“,<br />

heißt es in der „deutschen Ideologie“. 4 Die sozialistische Kunst gestaltet die „herangereiften<br />

Probleme der gesellschaftlichen Entwicklung“, ist darauf orientiert, „bewußt ihre<br />

ideologische Funktion“ in der Gesellschaft wahrzunehmen“, die Kunst wird im Sozialismus<br />

immer mehr zum „unentbehrlichen Bestandteil“ des Lebens. Die „alte Trennung von<br />

Kunst <strong>und</strong> Volk, die sich auch in der Trennung von Volkskunst <strong>und</strong> Berufskunst zeigt“,<br />

wird überw<strong>und</strong>en. „Die Breite des künstlerischen Volksschaffens nimmt [...] in starkem<br />

Maße zu [...]“ 5<br />

Die Quelle auch der künstlerischen Produktion erblickt man letztlich in der objektiven<br />

Realität, aber man will sich das Verhältnis von Gesellschaft <strong>und</strong> künstlerischer Widerspiegelung<br />

nicht mechanisch <strong>und</strong> linear vorstellen. Schon Marx bemerkt, daß die antike<br />

Kunst in vieler Hinsicht immer noch unerreichtes Muster ist, während die technisch höherentwickelte<br />

moderne kapitalistische Gesellschaft „geistigen Produktionszweigen, wie<br />

z.B. der Kunst <strong>und</strong> der Poesie feindlich gegenüber“ steht. 6 Die „Widerspiegelung“ ist eine<br />

durch Stil <strong>und</strong> künstlerische Individualität vermittelte, auch ist sie bei Malerei <strong>und</strong> Literatur<br />

direkter als etwa bei der Musik. Aber auch diese ,abstrakte‘ Kunst par excellence sei<br />

ohne gesellschaftliche Analyse nicht zu verstehen: Jede Kunst ist das Kind ihrer Epoche,<br />

die sie zugleich zu bewältigen versucht. Selbst die L‘art-pour-l‘art-Gesinnung, die die<br />

Gesellschaftlichkeit von Kunst leugnet, widerspiegelt so noch den Konflikt des Künstlers<br />

mit der antagonistischen Gesellschaft <strong>und</strong> ist eine gesellschaftliche Erscheinung. Man<br />

konstatiert, daß die Geschichte der Kunst vielfach dergestalt verläuft, daß die Nationalkulturen<br />

sich gegenseitig befruchten.<br />

Die marxistische Ästhetik ist realistisch, doch soll Realismus nicht die Wirklichkeit kopieren,<br />

sondern in sie eindringen <strong>und</strong> sie ausdrücken. Der Künstler kann, so heißt es, der<br />

Parteinahme in den epochalen Klassenauseinandersetzungen letztlich sich nicht entziehen.<br />

So fordert man vom Künstler im Sozialismus Parteilichkeit, will es aber gleichzeitig<br />

fertigbringen, ihn nicht zu reglementieren - die „Shdanow-Ära“ soll nicht wiederkehren. 7<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst werden nicht isoliert voneinander gesehen, gelten als zwei Weisen<br />

der Wirklichkeitsaneignung. Beide streben <strong>für</strong> den <strong>Marxismus</strong> nach Allgemeingültigkeit,<br />

aber die Kunst „verallgemeinert“ bildhaft, ihr Prinzip ist Individualisierung, Darstellung<br />

des Typischen in einzelnen lebensvollen Gestalten, während die Wissenschaft zur<br />

Theorie strebt.<br />

178<br />

3 Vgl. ibd. 457.<br />

4 MEW 3, S. 378f.<br />

5 Fiedler (Hg.) 1974, S. 577f.<br />

6 Marx, Gr<strong>und</strong>risse, S. 30.<br />

7 Vgl. Konstantinow, S. 462.

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