Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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se Begrenzung des Bevölkerungswachstums propagieren. Wenn die Weltbevölkerung<br />
heute auf ca. 3 Milliarden Erdbewohner gewachsen ist, so ist dies zwar auch nach Meinung<br />
der Marxisten mit vielen Problemen verb<strong>und</strong>en, prinzipiell kann die Erde aber noch<br />
weit mehr Menschen tragen als gegenwärtig, wenn nur alle Ernährungsmöglichkeiten -<br />
von der Ozeanagrikultur bis zur chemischen Synthese von Lebensmitteln - genutzt werden.<br />
Diese Haltung bedeutet aber keine generelle Ablehnung von Geburtenregulierung.<br />
Bereits Engels schrieb den angesichts der heutigen Möglichkeiten der Biotechnologie<br />
eher beklemmend wirkenden Satz: „Sollte aber einmal die kommunistische Gesellschaft<br />
sich genötigt sehen, die Produktion von Menschen ebenso zu regeln, wie sie die Produktion<br />
von Dingen schon geregelt hat, so wird gerade sie <strong>und</strong> allein sie es sein, die dies<br />
ohne Schwierigkeiten ausführt.“ 52<br />
Ein entscheidendes Kategorienpaar im historischen Materialismus bilden die Begriffe<br />
„Produktivkräfte“ <strong>und</strong> „Produktionsverhältnisse“. Die Produktivkräfte umfassen zwei Komponenten:<br />
1. Arbeitsgegenstände (der Teil der Natur, der bearbeitet, verarbeitet oder<br />
weiterverarbeitet wird) <strong>und</strong> Arbeitsmittel (die angewandten Werkzeuge, die gewissermaßen<br />
künstliche Organe des Menschen bilden); beide bilden als Produktionsmittel die stofflichen<br />
Elemente des Arbeitsprozesses. Diese müssen durch die lebendige Arbeit in Bewegung<br />
gesetzt werden. Produktivkräfte sind daher 2. die werktätigen Menschen mit<br />
ihren Begabungen, Fähigkeiten, Fertigkeiten <strong>und</strong> Produktionserfahrungen. Diese Fertigkeiten<br />
sind aber immer bestimmt vom bereits erreichten Stand der Naturbeherrschung,<br />
der auch den Spielraum <strong>für</strong> die Erfindungen <strong>und</strong> praktische Anwendung neuer Technologie<br />
determiniert. Insofern sieht man in der Hervorhebung der Rolle der arbeitenden Menschen<br />
keine Gefahr <strong>für</strong> die These vom Primat des Objektiven vor dem Subjektiven, auch<br />
deshalb, weil jede Generation ihre Arbeitsfertigkeiten im Umgang mit den tradierten Produktionsmitteln,<br />
die die materielle Gr<strong>und</strong>lage der Kontinuität der Geschichte bilden sollen,<br />
erwirbt. Der Stand der Produktivkraftentwicklung ist entscheidendes Geschichtskriterium:<br />
„Nicht was, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen<br />
Epochen.“ 53<br />
Als Produktionsverhältnisse im Unterschied zu den Produktivkräften werden die Beziehungen<br />
bezeichnet, die die Menschen im Prozeß der materiellen Gütererzeugung<br />
miteinander eingehen. Entscheidend ist dabei das Verhältnis zu den gr<strong>und</strong>legenden Produktionsmitteln.<br />
Das Gemeineigentum soll Verhältnisse gegenseitiger Zusammenarbeit<br />
<strong>und</strong> Hilfe begründen, während das Privateigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln<br />
Verhältnisse von Herrschaft <strong>und</strong> Ausbeutung hervorbringen soll. Man unterscheidet<br />
verschiedene geschichtliche Typen des Gemeineigentums (vom Stammeseigentum<br />
bis zum modernen „Volkseigentum“ in den sozialistischen Ländern) <strong>und</strong> auch des Privateigentums<br />
(z.B. feudales <strong>und</strong> kapitalistisches). Die Produktionsverhältnisse sind bestimmend<br />
auch <strong>für</strong> die Distributions- <strong>und</strong> Austauschverhältnisse.<br />
Produktivkräfte <strong>und</strong> Produktionsverhältnisse stehen sich wie gesellschaftliche Form<br />
<strong>und</strong> stofflicher Inhalt der materiellen Güterproduktion gegenüber. Der enge Zusammenhang<br />
beider Seiten wird durch den Begriff der „Produktionsweise“ widergespiegelt. Ihr<br />
Wechselverhältnis wird dadurch bestimmt, daß sich die Produktionsverhältnisse unter<br />
dem determinierenden Einfluß der Produktivkraftentwicklung herausbilden, mit deren<br />
Dynamik sie schließlich in Widerspruch geraten, eine Dialektik, die die eigentliche Quelle<br />
der Bewegung <strong>und</strong> Entwicklung der Gesellschaft bildet. „Aus Entwicklungsformen der<br />
Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine<br />
Epoche <strong>soziale</strong>r Revolution ein [...] Eine Gesellschaftsform geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte<br />
entwickelt sind, <strong>für</strong> die sie weit genug ist, <strong>und</strong> neue höhere Produktionsverhältnisse<br />
treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben<br />
im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind.“ 54 In der kapitalistischen<br />
Gesellschaft entwickelt sich der sprengende Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen<br />
Charakter der hochtechnisierten arbeitsteiligen Produktion <strong>und</strong> der privaten Form<br />
der Aneignung der geschaffenen Güter durch die Produktionsmittelbesitzer. Die hemmende<br />
Rolle überlebter Produktionsverhältnisse soll man sich allerdings nicht im Sinne<br />
absoluten Stillstands vorstellen, eher im Sinne einer Deformation, die Probleme schafft,<br />
Produktivkräfte in Destruktivkräfte verwandelt, die Nutzung aller technischen Mittel zum<br />
Wohl des Menschen verhindert. Die Zeiten, als sich sowjetische Ökonomen w<strong>und</strong>erten,<br />
daß der Kapitalismus nicht völlig stagnierte, sind vorbei.<br />
52<br />
an K. Kautsky, 1. 2. 1881, MEW 3S, S. 151.<br />
53<br />
MEW 23, S. 194f.<br />
54<br />
MEW 13, S. 9.<br />
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