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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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tive Dialektik erheischt, daß insbesondere der Alkohol radikal <strong>und</strong> rasch vernichtet werden<br />

muß. Engels schreibt auch ein Ulk-Gedicht über den Club. Da wird dann geschildert,<br />

wer dort verkehrt. Unter anderem ist die Rede von einer Persönlichkeit, die „Dr. Oswald“<br />

noch nicht persönlich kennengelernt hat, von der er sich aber hat berichten lassen <strong>und</strong><br />

die er so persifliert: „Wer jaget hinterdrein mit wildem Ungestüm? / Ein schwarzer Kerl<br />

aus Trier, ein markhaft Ungetüm./ Er gehet, hüpfet nicht, er springet auf den Hacken/Und<br />

raset voller Wut, <strong>und</strong> gleich, als wollt' er packen/Das weite Himmelszelt, <strong>und</strong> zu der Erde<br />

ziehn,/Streckt er die Arme sein weit in die Lüfte hin...“ 6<br />

Kein anderer ist das als Karl Marx, der von 1836-41 in Berlin studiert. 7<br />

Am 5. Mai 1818 wurde Marx in Trier geboren, das seit dem Wiener Kongreß zu Preußen<br />

gehört. Vater Marx hat Jura studiert. Da ein neues Edikt die Stein-Hardenbergsche<br />

Reform in bezug auf die Beschäftigung von Juden im Staatsdienst oder als Rechtsanwälte<br />

wieder aufgehoben hat, muß Heinrich Marx, in dessen Familie es viele Rabbiner gab,<br />

zum Protestantismus konvertieren, um seinen Beruf als Rechtsanwalt ausüben zu können.<br />

Entsprechend fre<strong>und</strong>lich dürften die Gefühle des jungen Marx <strong>für</strong> den preußischen<br />

Staat gewesen sein. Der Blick über die Grenze des nahen Frankreich, wo 1830 die Juni-<br />

Insurrektion den Bürgerkönig Louis Philippe ans Ruder bringt, zeigt aber auch, daß der<br />

Versuch, reaktionäre Zustände auf revolutionärem Wege zu verändern, erfolgversprechend<br />

ist.<br />

1835, mit 17 Jahren, kommt Marx auf die Universität. Er studiert zunächst in Bonn <strong>und</strong><br />

dann in Berlin: Jura, aber mehr <strong>und</strong> immer lieber Philosophie. Er schreibt Rechtfertigungsbriefe<br />

an den Vater, der ihn zum Abschluß drängt („Wir sind doch keine Goldmännchen“).<br />

Marx beschreibt seine inneren Kämpfe in durchwachten Nächten <strong>und</strong> ihr vorläufiges<br />

Resultat: „Ein Vorhang war gefallen, mein Allerheiligstes zerrissen, <strong>und</strong> es mußten<br />

neue Götter hineingesetzt werden. / ... Von dem Idealismus ... geriet ich dazu, im Wirklichen<br />

selbst die Idee zu suchen. Hatten die Götter früher über der Erde gewohnt, so waren<br />

sie jetzt das Zentrum derselben geworden. Ich hatte Fragmente der Hegelschen Philosophie<br />

gelesen, deren groteske Felsenmelodie mir nicht behagte. Noch einmal wollte<br />

ich hinabtauchen in das Meer, aber mit der bestimmten Absicht, die geistige Natur ebenso<br />

notwendig, konkret <strong>und</strong> festger<strong>und</strong>et zu finden wie die körperliche, nicht mehr Fechterkünste<br />

zu üben, sondern die reine Perle ans Sonnenlicht zu halten.“ 8<br />

Worum handelt es sich bei jener materialistischen Denkart, die im zweiten Drittel des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts zunehmend die Gemüter besetzt? Materialismus ist die Reduktion der<br />

Welt auf Stoff <strong>und</strong> Kraft, oder, moderner ausgedrückt, auf Materie <strong>und</strong> Energie. Geist ist,<br />

so betrachtet, nur ein Epiphänomen, eine Art Ausschwitzung materieller Prozesse. Die<br />

Materie ist gegenüber dem Bewußtsein das Primäre. Im extremsten Fall wird von Jakob<br />

Moleschott formuliert, das Gehirn sondere die Gedanken ab wie die Leber die Galle.<br />

Die materialistische Welle im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert schwoll in dem Maße an, in dem Naturwissenschaft<br />

<strong>und</strong> die Technik immer neue Triumphe feierten. Wenn auch der technische<br />

Fortschritt nicht automatisch <strong>soziale</strong>n Fortschritt nach sich gezogen, sondern die „<strong>soziale</strong><br />

Frage“ mit sich gebracht hatte, - im Prinzip erschien alles durch natürliche Ursachen<br />

bedingt, <strong>und</strong> damit berechenbar <strong>und</strong> beherrschbar: Die Haltung des Astronomen <strong>und</strong><br />

Mathematikers Laplace wurde immer mehr die vorherrschende. Der hatte Napoleon auf<br />

dessen Frage, wo in seiner Theorie der Entstehung des Planetensystems Gott bleibe,<br />

geantwortet: Sire, ich habe eine solche Hypothese nicht mehr nötig.<br />

Gewiß: Viele Menschen hatten schwere Konflikte durchzumachen, ehe sie sich zu einer<br />

solchen Anschauung durchgerungen hatten. Der junge Friedrich Engels schreibt an<br />

seinen Jugendfre<strong>und</strong> von seinen Gebeten um Klarheit. Doch er findet keinen Weg, religiöses<br />

Bedürfnis <strong>und</strong> Wissen der Zeit in eine Übereinstimmung zu bringen.<br />

Scheinbar zwingend ergab sich ihm wie anderen Menschen, die <strong>für</strong> faule Kompromisse<br />

zwischen Wissen <strong>und</strong> Glauben zu ehrlich waren, eine solche materialistische Einstellung<br />

aus dem naturwissenschaftlichen Weltbild des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Es erscheint geradezu<br />

unausweichlich, daß man wie folgt denken muß:<br />

- Die Menschen haben einmal geglaubt, Gott habe den Stoff geschaffen <strong>und</strong> ihm Kraft<br />

<strong>und</strong> Leben eingehaucht. Die Energieerhaltungssätze zeigen aber nun, daß jede materiel-<br />

6 Zitiert nach: Karl Marx. Mit Selbstzeugnissen <strong>und</strong> Bilddokumenten dargestellt von Werner Blumenberg.<br />

Reinbek bei Hamburg 1962, S. 42.<br />

7 Er ist unter anderem auch bei dem Goetheanisten Henrik Steffens eingeschrieben.<br />

208<br />

8 Brief vom 10. November 1837, MEW-Ergänzungsband I, Berlin/DDR 1968, S. 3-12.

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