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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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schichtliche Notwendigkeiten. So wenig man das individuelle Fähigkeitswesen des Menschen<br />

in allgemein-gesellschaftliche Kategorien auflösen darf, so wenig darf man vergessen,<br />

daß das Auftreten eines „großen Mannes“ gewissermaßen nur das Symptom da<strong>für</strong><br />

ist, daß gewisse geistige Kräfte <strong>und</strong> Mächte da sind. „Er ist das Tor, durch das diese<br />

Kräfte hineinsprechen in das geschichtliche Werden.“ „Das widerspricht nicht dem, daß<br />

nicht auch vieles von der Individualität, von der Subjektivität solcher führender Persönlichkeiten<br />

hinauswirkt in weite Kreise.“ „Stellen Sie sich einmal vor, was alles eingeflossen<br />

ist in das Leben der modernen Menschheit durch die Entdeckung Amerikas.“ Man<br />

kann sich vorstellen, daß Kolumbus durch eine Gehirnschädigung nicht in der Lage gewesen<br />

wäre zu seiner Tat, aber nicht kann man sich vorstellen, daß dadurch die Entdeckung<br />

Amerikas unterblieben wäre. Es besteht kein Zweifel <strong>für</strong> Steiner, „daß die Weltereignisse<br />

selber sich aufrufen diejenigen menschlichen Individuen, die durch ihr Karma <strong>für</strong><br />

dies oder jenes, was die Weltereignisse fordern, besonders geeignet sind“. 50<br />

Daß die Persönlichkeit in den Grenzen ihrer Epoche wirken muß, daß sie objektive<br />

Bedingungen ihres Handelns vorfindet, das ist zwischen <strong>Marxismus</strong> <strong>und</strong> <strong>Anthroposophie</strong><br />

nicht strittig. Doch die Frage nach Wert <strong>und</strong> Würde der Person ist mit dem Hinweis auf<br />

die Bedingungen, unter denen sie wirkt, nicht beantwortet. Ist aber nicht diese Frage<br />

auch die eigentliche <strong>soziale</strong> Frage? Ist „Kapitalismus“ nicht darum unmenschlich, weil er<br />

den einzelnen Arbeitenden als austauschbaren Kostenfaktor behandelt, nicht als Individualität?<br />

Ist der real-humanistische Protest gegen den Krieg nicht letztlich daher begründet,<br />

daß der einzelne im Krieg zum Menschenmaterial degradiert <strong>und</strong> einer abstraktallgemeinen<br />

Notwendigkeit geopfert wird? Mit der Reduktion des Menschen auf ein bio<strong>soziale</strong>s<br />

Wesen materieller Prägung begibt sich der <strong>Marxismus</strong> des stärksten Arguments<br />

<strong>für</strong> eine gr<strong>und</strong>legende gesellschaftliche Erneuerung vom Menschen aus, also <strong>für</strong> jenen<br />

„realen Humanismus“, der Inbegriff der Marxschen Zielprojektion ist. In diesem Defizit<br />

liegt einer der wesentlichsten Gründe <strong>für</strong> die Notwendigkeit eines Dialogs von <strong>Marxismus</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Anthroposophie</strong>.<br />

196<br />

50 GA 196, S. 135, 38.

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