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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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nisationen an, der winzigen kommunistischen oder der riesigen, aber zuerst auf neuen<br />

Kurs zu bringenden sozialdemokratischen <strong>und</strong> anderen.<br />

Motive der <strong>Anthroposophie</strong><br />

Der Begründer der <strong>Anthroposophie</strong> kommt mit der Arbeiterbewegung besonders in<br />

seiner Berliner Zeit - ab 1897 - in Berührung. 1899 wird er - der Redakteur eines Literaturmagazins,<br />

der im <strong>Marxismus</strong> zwar „Teilwahrheiten“ findet, aber durchaus kein Marxist<br />

ist - als Lehrer an die von Wilhelm Liebknecht gegründete Arbeiterbildungsschule der<br />

SPD geholt, wo er unter anderem auch Rosa Luxemburg kennenlernt.<br />

Daß Rudolf Steiner, geboren 1861 im österreichisch-ungarischen, heute jugoslawischen<br />

Kraljevec, den Weg vieler Zeitgenossen in den Atheismus <strong>und</strong> Materialismus nicht<br />

mitgehen konnte, hat besondere Gründe. Schon als Junge hat er Erlebnisse übersinnlicher<br />

Art, Erlebnisse, wie sie heute wieder bei mehr Menschen auftreten. Seiner verständnislosen<br />

Umwelt gegenüber - der Vater, ein kleiner Bahnbeamter, fühlt sich als<br />

Freigeist - kann er darüber nicht sprechen. Aber er hat die innere Gewißheit, daß die<br />

materielle Außenwelt nicht die einzige Wirklichkeit sein kann. Sein Gr<strong>und</strong>problem ist von<br />

vornherein dies: wie man im übersinnlichen Erleben Illusion <strong>und</strong> Wirklichkeit auseinanderhalten<br />

kann oder anders gewendet: wie man sich einer übersinnlichen Wirklichkeit so<br />

nähern kann, daß der dem wissenschaftlichen Bewußtsein eigene Apparat von Logik <strong>und</strong><br />

Selbstbesonnenheit dabei mitgenommen wird.<br />

Es soll keinen Rückfall in menschheitsgeschichtlich überholte Formen außersinnlicher<br />

Wahrnehmung geben. Denn diese haben gerade deshalb dem wachen Bewußtsein des<br />

neuzeitlichen Menschen weichen müssen, weil nur so Freiheitsfähigkeit möglich werden<br />

konnte. Und die freie Persönlichkeit, das wird Steiners großes Thema. „An Gottes Stelle<br />

den freien Menschen“, so formuliert einmal der junge Steiner, der notabene kein Atheist<br />

ist. 34<br />

1894, drei Jahre nachdem er in Rostock über „Die Gr<strong>und</strong>frage der Erkenntnistheorie<br />

mit besonderer Rücksicht auf Fichtes Wissenschaftslehre“ promoviert hat, erscheint im<br />

Verlag Emil Felber in Berlin seine „Philosophie der Freiheit. Gr<strong>und</strong>züge einer modernen<br />

Weltanschauung“. Die Fähigkeit, nach intuitiv erfaßten individuellen ethischen Impulsen<br />

handeln zu können, „wollen zu können, was man <strong>für</strong> richtig hält“, wie Steiner sagt, wird<br />

dort als das Wesen der menschlichen Freiheit dargestellt.<br />

Blickt man genau hin, so findet man bei dem jungen Steiner viele Motive, die auch<br />

Motive der philosophischen Debatte nach Hegels Tod sind. Ja, solche Motive erscheinen<br />

wie zu einer Synthese vereinigt: Cieskowskis Philosophie der Tat, Stirners Individualismus,<br />

ja selbst Motive der Feuerbachschen Religionskritik leben da.<br />

Steiner hatte sich an der Wiener Technischen Hochschule - neben der geisteswissenschaftlichen<br />

- eine prof<strong>und</strong>e naturwissenschaftliche Bildung angeeignet. 1882 war er auf<br />

Empfehlung seines Lehrers Karl Julius Schröer als Herausgeber von Goethes Naturwissenschaftlichen<br />

Schriften in Kürschners „Deutscher National-Litteratur“ berufen worden.<br />

An Goethe fasziniert ihn, daß dieser eine qualitative Naturbetrachtung pflegt <strong>und</strong> eine „Art<br />

der Empirie“ fordert, „die sich mit dem Gegenstand innigst identisch macht“ 35 . Den Galilei<br />

der Organik nennt er Goethe wegen dessen Blick <strong>für</strong> das Lebendige, Werdende.<br />

Ab 1900 beginnt Steiner offen <strong>und</strong> öffentlich über höhere Welten <strong>und</strong> übersinnliche Erfahrungen<br />

<strong>und</strong> einen neuen Zugang zum lebendigen Christus zu sprechen, zunächst in<br />

der Theosophischen, später in der von ihm begründeten Anthroposophischen Gesellschaft.<br />

Der Durchschnitt der „Gebildeten“ seiner Zeit konnte mit diesem Mann, der<br />

zugleich die Haeckelsche Naturwissenschaft gegen die klerikale Kritik verteidigte <strong>und</strong><br />

eine „Geheimwissenschaft im Umriß“ verfaßte, nichts anfangen. Die akademische Wissenschaft<br />

schwieg ihn tot.<br />

„Seelische Beobachungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode“ nennt Steiner<br />

im Untertitel seine „Philosophie der Freiheit“. Beobachtung <strong>und</strong> Erfahrung statt Spe-<br />

34<br />

Steiners Wahlspruch meint etwas anderes: Steiner entwickelt einen Gottesbegriff, der mit einem solchen<br />

Anthropozentrismus nicht nur zusammengedacht werden kann, sondern ihn geradezu zur Konsequenz hat. Der<br />

Schöpfer hat sich demzufolge der Welt nicht vorenthalten, er hat sich aus Liebe in sie ausgegossen, <strong>und</strong> wenn<br />

man seinen Intentionen nachspüren will, dann muß man sie suchen in den Intentionen der freien menschlichen<br />

Persönlichkeit, denn in ihr lebt sich dieser Schöpfer dar. Vgl. zu dem ganzen Komplex Christoph Lindenberg,<br />

Individualismus <strong>und</strong> offenbare Religion. Rudolf Steiners Zugang zum Christentum. Stuttgart 1970.<br />

35<br />

Goethe, Maximen <strong>und</strong> Reflexionen, 509, Hamburger Ausgabe, Band 12, Taschenbuchausgabe München<br />

1982.<br />

218

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