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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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noch leicht <strong>und</strong> fast spielerisch. In der B<strong>und</strong>esrepublik haben die Schüler der Waldorfschulen<br />

neben der ersten Fremdsprache Englisch meist die Wahl zwischen Französisch<br />

<strong>und</strong> Russisch.<br />

Mit dem dritten Jahrsiebt, mit dem entscheidenden Einschnitt der Geschlechtsreife,<br />

wird auch das Seelische freier: Die Jugendlichen bilden eine eigene Gefühls- <strong>und</strong> Gedankenwelt<br />

aus. Das kann sich nach vielen Seiten hin äußern: in der Auflehnung, in<br />

plötzlicher Verschlossenheit, genauso aber in einer neuen Fähigkeit, sich mit der Welt<br />

<strong>und</strong> anderen Menschen, mit denen man nun nicht einfach verwachsen ist, bewußt zu<br />

verbinden. Das Prinzip des Unterrichtens kann jetzt nicht mehr dasselbe sein wie vorher.<br />

Nicht Autorität, sondern Übung <strong>und</strong> Ausbildung der Urteilskraft steht im Mittelpunkt. Die<br />

Schüler wollen sich jetzt an Idealen orientieren. Aber ein gedankenblasser Idealismus ist<br />

ungut, gefragt sind vielmehr „Ideale mit Willenscharakter“. Das Ziel ist Erziehung zur<br />

Freiheit: Keine fertigen Inhalte sollen eingetrichtert werden, sondern die Fähigkeit zur<br />

Auseinandersetzung mit der Welt soll vermittelt, nicht ein vorgefaßtes Charakterbild soll<br />

ausgeprägt, sondern die Fähigkeit zur lebenslangen Arbeit an sich selbst - im Sinne der<br />

jeweils eigenen Intentionen <strong>und</strong> moralischen Intuitionen - soll veranlagt werden.<br />

In der Charakterisierung einzelner Entwicklungsschritte ergeben sich zahlreiche Parallelen<br />

zwischen Steiners von 1907 datierender Darstellung <strong>und</strong> einzelnen Ergebnissen<br />

nicht anthroposophischer Entwicklungspsychologie, besonders der handlungstheoretischen<br />

Ansätze, denen auch die angeführten Ergebnisse Leontjews zuzurechnen sind. C.<br />

Lindenberg hat diese Parallelen <strong>für</strong> Steiner <strong>und</strong> Jean Piaget detailliert aufgewiesen. Piaget,<br />

um nur ein Beispiel anzuführen, zeigt z.B., wie erst mit sieben Jahren Kinder einen<br />

gewohnten äußeren Ablauf in der inneren Handlung des Vorstellens umkehren können,<br />

<strong>und</strong> bestätigt damit Steiners These vom Freiwerden der Vorstellungskräfte mit dem Beginn<br />

des zweiten Jahrsiebts. 24 Solche Parallelen können dazu ermutigen, im Bemühen um<br />

Verständigung nicht nachzulassen, auch wenn man - speziell, was den <strong>Marxismus</strong> angeht<br />

- die Schwierigkeiten nicht unterschätzen darf, die sich aus dem materialistischen<br />

Weltbild ergeben. Sie beginnen bei der Frage nach der Quelle der inneren <strong>und</strong> äußeren<br />

Handlungen <strong>und</strong> enden bei dem Problem, wieweit man den einzelnen Schüler letztlich<br />

doch von äußeren Instanzen vorgegebenen Maximen unterordnet oder wieweit man bereit<br />

ist, voll auf die Selbst- <strong>und</strong> Weltverantwortlichkeit des Ich zu setzen. Man unterrichtet<br />

anders, wenn man in dem einzelnen Schüler die Individualität sieht, die eine Ewigkeitsbedeutung<br />

hat.<br />

Es sollte aber möglich sein, unabhängig von den bestehenden Auffassungsunterschieden<br />

zu einem besseren Verständnis des pädagogischen Konzepts der jeweils anderen<br />

Seite zu gelangen. Und es gibt genug Berührungspunkte in den pädagogischen Konzeptionen,<br />

um bei einigem guten Willen zu einem fruchtbaren Gespräch zu kommen.<br />

Besonders wichtig wäre es, mit der Zeit immer mehr Gelegenheiten zu schaffen, pädagogische<br />

Praxis aus unmittelbarer Anschauung kennenzulernen. Denn <strong>für</strong> einen ernsthaften<br />

Meinungsaustausch über die jeweiligen Erfahrungen ist die Wahrnehmung eine notwendige<br />

Voraussetzung. Wie nützlich das „Studium vor Ort“ sein kann, erwies z.B. der Besuch<br />

der leider so früh verstorbenen bulgarischen Kultusministerin Ludmilla Schivkova<br />

bei Waldorfeinrichtungen in Schweden, im Rahmen eines offiziellen Aufenthalts auf Einladung<br />

des schwedischen Unterrichtsministeriums. Ludmilla Schivkova faßte ihre Eindrücke<br />

damals, im Spätsommer 1980, zusammen, indem sie sinngemäß ausführte, in den<br />

Kindern liege die Zukunft. „Wenn man das Ziel hat, daß in die Zukunft hinein die Menschen<br />

in der <strong>soziale</strong>n Entwicklung immer mehr <strong>und</strong> mehr schöpferisch tätig sein sollen,<br />

dann ist es die Pädagogik, die eine derartige Entwicklung vorbereiten <strong>und</strong> unterstützen<br />

muß. Eine solche Pädagogik muß durch <strong>und</strong> durch künstlerisch sein, Steiners Pädagogik,<br />

so äußerte sie sich, ist von diesem Element durchdrungen. Sie ist deshalb eine Pädagogik<br />

der Zukunft. Sie ist nicht nur etwas <strong>für</strong> Schweden oder Bulgarien, sondern sie ist eine<br />

Menschheitspädagogik.“ 25<br />

204<br />

24 Vgl. Lindenberg a.a.O., S. 43ff.<br />

25 Raab/Klingborg 1982, S. 17.

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