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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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Identität der Bestimmungen des Denkens mit den äußeren Tatsachen in dem Sinne, daß<br />

die ersteren „nicht rein ideelle seien, sondern tatsächliche“ 18 , ein Mißverständnis, das bei<br />

Hegel nicht konsequent genug vermieden ist. In Wahrheit könne von einer „Identität“ nur<br />

in dem Sinne die Rede sein, daß im menschlichen Innern dieselben Wesenheiten als<br />

Begriffe vorhanden sind, die in der Außenwelt als Naturgesetze erscheinen. Diese könne<br />

man nicht aus der Logik deduzieren, <strong>und</strong> insofern habe Marx Hegel in fruchtbarem Sinne<br />

verstanden, als er die ökonomischen Gesetze in den ökonomischen Tatsachen selbst<br />

aufsuchte. - Eine Feststellung, ohne die Steiners Charakterisierung der Marxschen Methode<br />

der Politischen Ökonomie als negatives materialistisches Gegenbild der Hegelschen<br />

Logik unvollständig bleiben muß. 19<br />

Steiner reduziert nicht die Welt auf die Tatsachen der Logik, sehr wohl aber anerkennt<br />

er eine Logik der Tatsachen, in die das menschliche Denken einzutauchen vermag. Dabei<br />

stößt er ebenso wie die Dialektiker auf das Problem des Geltungsbereichs der von<br />

Aristoteles aufgewiesenen Denkgesetze. Wie der Anthroposoph Carl Unger in seiner<br />

wertvollen Abhandlung über dieses Problem schreibt, wird das wichtigste Aristotelische<br />

Denkgesetz, der Satz der Identität, gewöhnlich so verstanden, daß er letztlich besagt:<br />

Wenn A einmal aus einem zureichenden Gr<strong>und</strong>e als B bezeichnet worden ist, dann hat<br />

es dabei zu bleiben. 20 Dies ist auch durchaus richtig in bezug auf die Logik des Raumes:<br />

Da kann niemals etwas an die Stelle eines anderen treten, ohne es aufzuheben. Begriffsreihen,<br />

bei denen sich nebengeordnete Begriffe im Sinne der Kontradiktion oder Kontrarietät<br />

ausschließen, gipfeln letztlich alle in den Oberbegriffen: Körper - Ausdehnung -<br />

Raum. Die Beine eines Stuhls sind nicht der Sitz, die Rückenlehne ist nicht mit den Seitenlehnen<br />

identisch, alles ist hübsch nebeneinander angeordnet <strong>und</strong> schließt das andere<br />

aus. Anders verhält es sich mit Same, Stengel, Blüte <strong>und</strong> Frucht einer Pflanze, denn zu<br />

deren Wesen gehört es gerade, daß das eine aus dem anderen wird. Man kann davon<br />

abstrahieren <strong>und</strong> nur den Umstand berücksichtigen, daß auch eine Pflanze ein Körper im<br />

Raum ist, aber dann hat man das Spezifische des Pflanzlichen schon aus dem Auge<br />

verloren. Um diesem gerecht zu werden, müssen die unter den Oberbegriff Pflanze fallenden<br />

Begriffe so gedacht werden, daß sie einen in sich zurücklaufenden Kreis bilden:<br />

Same - Stengel - Blüte - Frucht - Same usw.; vom Pflanzenbegriff muß zu den Begriffen<br />

des Lebewesens <strong>und</strong> der Zeit aufgestiegen werden. Begriffe <strong>und</strong> Begriffsreihen, bei denen<br />

das Zeitverhältnis das wesentliche ist, folgen einer Logik, in der der Satz der Identität<br />

nicht gilt <strong>und</strong> der (räumliche) Widerspruch zu Recht besteht. „Für den Gr<strong>und</strong>satz der Identität<br />

tritt in dem Begriff des Werdens der Widerspruch am schärfsten hervor, weil er<br />

nur durch das völlige Ineinandertauchen von Sein <strong>und</strong> Anderssein zu vollziehen ist. Der<br />

Begriff des Werdens verlangt, daß wir an keiner Stelle des Übergangs vom Einen zum<br />

Anderen einen Einschnitt“ denken, „wo wir sagen können, auf der einen Seite sei das<br />

Eine, auf der anderen das Andere.“ 21 Für das Tierische ist eine noch höhere Logik erforderlich<br />

als die Logik der Zeit. In der Logik des Raums, des Nebeneinander, schließt jeder<br />

Begriff das ihm andere aus, in der Logik des Nacheinander schließt er das ihm andere<br />

ein; kommt das Leben nach inneren Antrieben hinzu, wirkt jeder Begriff durch das ihm<br />

andere (Logik des Wegeneinander). Der Mensch unterliegt als körperliches Wesen der<br />

Logik des Nebeneinander, als belebtes der des Nacheinander, als beseeltes der des<br />

Wegeneinander, als Ich schafft er sich selbst aus dem ihm anderen: das ist die Logik des<br />

Selbstbewußtseins. In dieser Logik münden alle Begriffsreihen in den Begriff des Begriffs.<br />

Dieser ist der Inbegriff aller Denkmöglichkeiten oder die Fähigkeit zu denken, das reine<br />

Ich. In diesem Ich strebt der Mensch über sich hinaus, „um sich als schaffendes Wesen<br />

zu vollenden.“ 22<br />

Das gewöhnliche Denken, so Steiner, bleibt bei der Logik des Raumes stehen, führt<br />

das Zeitliche auf das Räumliche zurück. Das ist auch <strong>für</strong> das gewöhnliche Leben ganz<br />

berechtigt: z. B. machen wir die Zeit gerade durch die räumlichen Veränderungen der<br />

Uhrzeiger meßbar. „Wir haben im Gr<strong>und</strong>e genommen auch in unseren physikalischen<br />

Formeln denselben Vorgang. Kurz, wir kommen darauf, daß das gewöhnliche Denken ein<br />

kombinierendes ist, ein solches, das auseinanderliegende Begriffe zusammenfaßt. Dieses<br />

Denken brauchen wir auch <strong>für</strong> die gewöhnliche Wissenschaft. Dasjenige Denken<br />

aber, das zum Behufe der Erkenntnis höherer Welten hinzukommen muß [...], das ist ein<br />

Denken, welches ich nennen möchte das morphologische Denken, das Denken in Ges-<br />

90<br />

18<br />

GA 2, S. 40.<br />

19<br />

GA 51, S. 61 <strong>und</strong> GA 199, Vortr. v. 28. 8. 1920.<br />

20<br />

C. Unger, 1, 1964, S. 152. Vgl. dort, S. 147ff., a.i. folgenden.<br />

21<br />

Unger, a.a.O., S. 155.<br />

22<br />

ibd., S. 168.

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