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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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Materialistische Geschichtsauffassung: Vom utopischen zum „wissenschaftlichen“<br />

Sozialismus<br />

Drei Quellen <strong>und</strong> drei Bestandteile hat der <strong>Marxismus</strong>, folgt man dem gleichnamigen<br />

Aufsatz W. I. Lenins: Klassische deutsche Philosophie als Quelle des Bestandteils „Dialektisch-materialistische<br />

Philosophie“, klassische englische Nationalökonomie als Quelle<br />

des Bestandteils „Politische Ökonomie“ <strong>und</strong> französischen Sozialismus als Quelle der<br />

Lehre von der Strategie <strong>und</strong> Taktik der Arbeiterbewegung. In Frankreich lernt Marx die<br />

Werke der großen sozialistischen Denker dieser Richtung kennen: Fourier, Owen,<br />

Proudhon, Saint-Simon. Er lernt einen Sozialismus kennen, der die Brüderlichkeitsforderung<br />

der Revolution gegenüber einer Realität, in der das Bereicherungsprinzip gilt, einzuklagen<br />

versucht.<br />

Aber dieser Sozialismus, so scheint es, ist letztlich doch noch vorwissenschaftlich <strong>und</strong><br />

„utopisch“, das heißt er geht von abstrakten Idealen oder subjektiven Wunschträumen<br />

aus. Wie kann der wissenschaftliche Sozialismus gef<strong>und</strong>en werden? Man müßte im geschichtlichen<br />

<strong>und</strong> gesellschaftlichen Leben objektive Gesetze aufweisen können, ähnlich<br />

wie die Naturwissenschaft das <strong>für</strong> die Natur vermag. Dann würde man sich endlich auch<br />

hier auf wissenschaftlichem Boden bewegen. Der utopische Sozialismus ist der Ausdruck<br />

da<strong>für</strong>, daß der Klassenkampf noch weitgehend latent ist. Der wissenschaftliche Sozialismus<br />

hält der Welt nicht ein Ideal entgegen, sondern bildet eine sozialwissenschaftliche<br />

Theorie aus, die sich als Organ der Klassenkampfpraxis des historischen Subjekts „Arbeiterklasse“<br />

versteht, der sie das Wissen um die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des historischen<br />

Prozesses zur Verfügung stellt.<br />

Und so versucht man jetzt, das Geschichtsgesetz aufzufinden, das bewirkt, daß das<br />

Proletariat sich selbst <strong>und</strong> mit ihm die Menschheit befreien muß. Nicht zuletzt durch Engels,<br />

der <strong>für</strong> die von Marx <strong>und</strong> Ruge gemeinsam herausgegebenen „Deutsch-<br />

Französischen Jahrbücher“ eine „Kritik der Nationalökonomie“ verfaßt hat, ist Marx auf<br />

die Bedeutung der Ökonomie gestoßen. Müssen die Menschen nicht zuerst essen, sich<br />

kleiden <strong>und</strong> so weiter, ehe sie Kultur haben können? Ist nicht deshalb in der Ökonomie<br />

einer Epoche der Schlüssel zu allem anderen verborgen? Da ist sie, die neue Losung:<br />

das ökonomische Sein, der materielle Lebensprozeß der Gesellschaft, bestimmt - wenigstens<br />

in letzter Instanz - das Bewußtsein. Und die ökonomischen Bewegungsgesetze<br />

der bestehenden Gesellschaft bedingen immer gewaltigere Klassenkämpfe zwischen<br />

Bürgertum <strong>und</strong> Proletariat <strong>und</strong> treiben zum revolutionären Befreiungsakt hin.<br />

Mit dieser Einsicht schien, wie der alte Engels sich rückblickend ausdrückt, der Idealismus<br />

aus seiner letzten Zufluchtsstätte, der Geschichtsauffassung vertrieben. Der frühere<br />

Materialismus, der Materialismus Feuerbachs mit eingeschlossen, sei dazu unfähig<br />

gewesen.<br />

Hinter den Plänen, Ideen, Leidenschaften, Absichten <strong>und</strong> so weiter, die vordergründig<br />

das Handeln der Menschen bestimmen, verbergen sich letztlich ökonomische Motive.<br />

Alles Ideelle erweist sich als das im Menschenkopf umgesetze <strong>und</strong> übersetzte Materielle.<br />

Und durch die Aufdeckung des 'Anteils der Arbeit an der Menschwerdung des Affen' wird<br />

der Schlußstein ins Gebäude der materialistischen Weltanschauung eingesetzt.<br />

Diese materialistische Geschichtsauffassung wird zum ersten Mal politisches Programm<br />

im „Kommunistischen Manifest von 1848“ mit seiner Losung: „Proletarier aller<br />

Länder vereinigt Euch“. Die Umrisse der historisch-materialistisch begründeten Strategie<br />

<strong>und</strong> Taktik der Arbeiterbewegung werden deutlich: Die Arbeiter, angeleitet von einer<br />

kommunistischen Avantgarde, verbündet mit anderen werktätigen Schichten, müssen die<br />

politische Macht erkämpfen („Diktatur des Proletariats“ als Übergangslösung), die Produktionsmittel<br />

vergesellschaften <strong>und</strong> zu einer Planwirtschaft zum Wohl aller übergehen.<br />

Vorerst steht allerdings in Deutschland die bürgerliche Revolution auf der Tagesordnung,<br />

in der die Arbeiter die Bürger im Kampf gegen die Fürsten zunächst unterstützen<br />

sollen.<br />

Marx kehrt zeitweilig nach Deutschland zurück <strong>und</strong> wirkt in diesem Sinne als Chefredakteur<br />

der „Neuen Rheinischen Zeitung. Organ der Demokratie“. Doch das Scheitern<br />

der revolutionären Einigung Deutschlands zwingt ihn 1849 ins letzte, ins Londoner Exil.<br />

Jeden Tag sei er gekommen, aber dann sei er ausgeblieben, <strong>und</strong> man habe nie mehr<br />

etwas von ihm gehört. Das berichtete kurz nach Marxens Tod ein Angestellter der Bibliothek<br />

des Britischen Museums einem Fragesteller. In der britischen Bibliothek studiert der<br />

gründliche Marx nahezu die gesamte damals greifbare nationalökonomische Literatur.<br />

Die Exzerpte häufen sich. In ein paar Wochen hofft er, mit der „ganzen ökonomischen<br />

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