Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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keine Kämpfe‘! Es ist dies vielmehr der Mensch, der wirkliche, lebendige Mensch, der das<br />
alles tut, besitzt <strong>und</strong> kämpft, es ist nicht etwa die ,Geschichte‘„, die den Menschen zum<br />
Mittel braucht, um ihre - als ob sie eine aparte Person wäre - Zwecke durchzuarbeiten,<br />
sondern sie ist nichts als die Tätigkeit des seine Zwecke verfolgenden Menschen.“ 70<br />
Die philosophische Diskussion um den Fortschrittsbegriff beispielsweise in der Sowjetunion<br />
beginnt sich von Vereinfachungen zu lösen, wobei ausdrücklich eine schlichte<br />
Identifikation des historisch Notwendigen mit dem moralisch Guten abgelehnt wird. 71 In<br />
der Diskussion über die sozialistische Einstellung zur Arbeit, über Moral im Sozialismus<br />
usw. <strong>und</strong> vor allem in der gesellschaftlichen Praxis selbst, stößt man immer wieder auf<br />
das Problem der moralischen Verantwortlichkeit des einzelnen, wovon sich die Theorie<br />
nicht unbeeindruckt zeigen kann, auch wenn daraus keine kritischen Schlußfolgerungen<br />
in bezug auf die theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen gezogen werden: Der „neue Mensch“ entstand<br />
nicht als „Reflex“ der veränderten Produktionsverhältnisse quasi von selbst, die<br />
Kriminalität verschwand nicht einfach mit der Beseitigung ihrer wirklichen oder vermeintlichen<br />
„<strong>soziale</strong>n Geburtsstätten“, die Arbeit wurde weniger rasch als angenommen zum<br />
ersten Lebensbedürfnis. Und je länger die verflossene Zeit seit der Oktoberrevolution, um<br />
so weniger ist es möglich, all diese Probleme darauf zurückzuführen, daß die neue Gesellschaft<br />
eben noch, wie Marx einmal formuliert, mit den Muttermalen der alten, aus<br />
deren Schoß sie hervorgegangen ist, behaftet sei. 72 Auch der Hinweis auf externe Einflüsse,<br />
die demoralisierende Wirkung westlicher Propaganda etc. ist als Totalerklärung unzureichend.<br />
Betrachtet man dies alles nicht mit der Häme jener, die sich dadurch nur in<br />
ihrem Nihilismus in bezug auf den Menschheitsfortschritt bestätigen wollen, sondern als<br />
ein im Interesse dieses Fortschritts zu durchschauendes Problem, dann wird man dadurch<br />
letztlich durch die Realität selbst dahin geführt werden, nach einem Verständnis<br />
von Mensch <strong>und</strong> Gesellschaft zu suchen, das tiefer geht als die traditionelle marxistische<br />
Konzeption.<br />
121<br />
70 MEW 2, S. 98.<br />
71 Vgl. Schischkin 1978.<br />
72 Vgl. MEW 19, S. 20.