Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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aber - neben der Spaltung in der Arbeiterbewegung zwischen Sozialdemokratie <strong>und</strong><br />
Kommunismus - auch neue Auseinandersetzungen um das Marxsche Erbe ergeben:<br />
zwischen Moskau <strong>und</strong> Peking, zwischen „Eurokommunisten“ <strong>und</strong> „Traditionalisten“. Das<br />
Marxsche Denken bleibt aktuell: Wenn sich auch die Klassengegensätze, wenigstens der<br />
äußeren Erscheinung nach, in den westlichen Ländern abgestumpft haben, so hat sich<br />
doch die traditionelle Wirtschaftsordnung immer wieder als unfähig erwiesen, mit den von<br />
Marx aufgewiesenen Widersprüchen, mit Krisen <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit dauerhaft fertig zu<br />
werden. Auch ist der Wettkampf der Systeme in vielfacher Hinsicht eine Metamorphose<br />
des „alten“ Klassenkampfs; dieser Wettkampf verzehrt durch das Wettrüsten große Teile<br />
des Reichtums der Nationen <strong>und</strong> zementiert so den neuen <strong>soziale</strong>n Gegensatz zwischen<br />
den Industriestaaten <strong>und</strong> den armen Ländern der dritten <strong>und</strong> vierten Welt, dessen<br />
Sprengkraft sich immer deutlicher abzeichnet.<br />
In der Diskussion um Marx geht es heute u. a. um die folgenden Fragen:<br />
- Sind die Unmenschlichkeiten der Stalinschen Ära eine Konsequenz der Marxschen<br />
Theorie oder eine Folge des Abweichens von ihr? - Ist der Leninismus tatsächlich die<br />
unserer Epoche angemessene Weiterentwicklung des <strong>Marxismus</strong>, oder ist er eine russische<br />
Sonderentwicklung? - Hat bereits Engels die Marxsche Lehre vulgarisiert, indem er<br />
die Philosophie des dialektischen Materialismus formulierte? - Bilden die Gesellschaften<br />
der Länder Osteuropas oder Chinas tatsächlich die von Marx prognostizierte kommunistische<br />
Gesellschaftsformation oder sind sie Beispiele <strong>für</strong> eine gesellschaftliche Entwicklung,<br />
die man in ganz anderen Kategorien beschreiben muß? Und wenn ja, findet man<br />
bei Marx selber Ansätze <strong>für</strong> solche Kategorien? 17<br />
- Ist die Entwicklung der revolutionären Bewegungen in der Welt der Marxschen Prognose<br />
gefolgt, <strong>und</strong> wie sieht es überhaupt mit der Perspektive proletarischer Revolutionen<br />
in der heutigen Welt aus? - Existiert überhaupt noch ein Proletariat bzw. ist es überhaupt<br />
noch eine revolutionäre Klasse? Oder ist seine Rolle von anderen, etwa den Völkern der<br />
dritten Welt oder Randgruppen in den Metropolen, übernommen worden, bzw. gibt es<br />
überhaupt kein revolutionäres Subjekt mehr? - Existiert überhaupt noch das von Marx<br />
beschriebene kapitalistische System, oder läßt die seitherige gesellschaftliche Entwicklung<br />
die Kritik daran heute ins Leere treffen? 18<br />
Man könnte die Liste dieser Fragen noch fortsetzen. Hier kann nur am Rande auf die<br />
sich an sie anschließenden Kontroversen eingegangen werden. Im Vordergr<strong>und</strong> soll hier<br />
jene Gestalt der marxistischen Weltanschauung stehen, die sich als die geschichtsmächtigste<br />
darstellt: der <strong>Marxismus</strong>-Leninismus. Dieser beeinflußt in den sozialistischen Staaten<br />
als führende Weltanschauung bis in die allgemeine Schulbildung <strong>und</strong> die Massenmedien<br />
hinein das Leben der Menschen, durchzieht den wissenschaftlichen Betrieb <strong>und</strong><br />
bestimmt das politische Handeln der leitenden Parteien in wesentlichem Maße - ungeachtet<br />
des Generationswechsels in ihren Führungen. Die Rede vom „Sowjetmarxismus“ ist<br />
dabei wenig klärend: <strong>Marxismus</strong>--Leninismus ist die Ideologie der kommunistischen<br />
Weltbewegung <strong>und</strong> keine regional--russische Erscheinung. Auf die Leninsche Weiterentwicklung<br />
des <strong>Marxismus</strong> berufen sich auch die „antisowjetischen“ Maoisten <strong>und</strong> Trotzkisten.<br />
Und selbst ein „unorthodoxer“ marxistischer Philosoph wie Ernst Bloch hat die Ausarbeitung<br />
des dialektischen Materialismus durch Engels <strong>und</strong> Lenin positiv aufgegriffen.<br />
Die praktisch relevanteste ist auch die umfassend-systematischste Gestalt des <strong>Marxismus</strong><br />
<strong>und</strong> seiner drei Hauptbestandteile: seiner Philosophie, Ökonomie <strong>und</strong> Politik.<br />
17<br />
17 Vgl. z.B. Bahro 1977.<br />
18 Das letztere behauptet etwa Popper 1973, z.B. S. 154, 179ff.