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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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Klassenkampf, Staat <strong>und</strong> Revolution im <strong>Marxismus</strong><br />

Die Klassenfrage ist die praktisch-politisch entscheidende Frage im <strong>Marxismus</strong>. Hinter<br />

allen politischen Erscheinungen, hinter religiösen oder moralischen Positionen verbergen<br />

sich nach Auffassungen der Marxisten die Interessen bestimmter Klassen. Die Klassenunterschiede<br />

dürfe man nicht aus biologischen Unterschieden erklären. Sie haben gesellschaftliche<br />

Ursachen, die in der Ökonomie begründet sind. Zwar scheinen Klassenverhältnisse<br />

oftmals bloße Gewaltverhältnisse wie die Sklaverei; man vergißt bei solcher<br />

Sicht der Dinge jedoch, daß erst die Existenz eines Mehrprodukts über das <strong>für</strong> einen<br />

Stamm Notwendige hinaus es möglich macht, z.B. Kriegsgefangene als Sklaven zu halten,<br />

d.h. auch zu ernähren. Die Geschichte kennt Sklaven, Leibeigene <strong>und</strong> Proletarier als<br />

unterdrückte, Sklavenhalter, Feudalherren <strong>und</strong> Kapitalisten als herrschende <strong>und</strong> unterdrückende<br />

Klassen. 1 Lenin nimmt den Platz in einem bestimmten geschichtlichen Produktionssystem,<br />

das Verhältnis zu den Produktionsmitteln (Eigentümer oder eigentumslos),<br />

die Stellung in der Arbeitsorganisation (leitende oder ausführende Funktionen) <strong>und</strong> den<br />

Anteil am gesellschaftlichen Reichtum <strong>und</strong> die Art der Erlangung dieses Anteils als Definitionskriterien<br />

des Klassenbegriffs. 2<br />

Die Klassenspaltung drückt dem gesamten gesellschaftlichen Leben ihren Stempel<br />

auf, sie ist nach marxistischer Überzeugung wesentlicher als alle anderen <strong>soziale</strong>n Unterschiede.<br />

In einer bestimmten Gesellschaft existieren Haupt- <strong>und</strong> Nebenklassen, <strong>und</strong><br />

innerhalb der Klassen gibt es bestimmte Schichten <strong>und</strong> Gruppierungen. Der Kapitalismus<br />

habe die Klassengegensätze vereinfacht, <strong>und</strong> bis heute bestimme die steigende Zahl der<br />

Proletarier die Veränderungen der Sozialstruktur. Der Rückgang der Industriearbeiterschaft<br />

an der Gesamtbevölkerung bedeutet nach Auffassung der modernen Marxisten<br />

kein Verschwinden des Proletariats, in das vielmehr neue Schichten einbezogen werden.<br />

So nähere sich die Lage großer Teile der Intelligenz der der Arbeiterklasse an. Die westlichen<br />

Gesellschaften gelten nach wie vor als kapitalistische Klassengesellschaften, <strong>und</strong><br />

wenn die westliche Soziologie sie als „eingeebnete Mittelstandsgesellschaften“ oder<br />

dergl. einschätzt, dann führt man dies auf apologetische Absichten zurück. 3<br />

Die Geschichte ist seit der Auflösung der klassenlosen Urgesellschaft eine Geschichte<br />

der „bald versteckten, bald offenen Klassenkämpfe, die ihren eigentlichen Motor darstellen<br />

<strong>und</strong> stets mit „einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete(n)<br />

oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.“ 4 Den herrschenden<br />

Klassen erscheint der Klassenkampf als Angriff auf die Gesellschaft als solche, deren<br />

Interessen sie mit den ihren identifizieren, <strong>und</strong> sie pflegen ihn als Ergebnis der Wühltätigkeit<br />

finsterer Elemente darzustellen, während er sich in Wahrheit, folgt man der Marxschen<br />

Theorie, ständig aus der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze neu erzeugen<br />

muß.<br />

So wichtig das „Klassenbewußtsein“ <strong>für</strong> das Handeln einer Klasse ist, entscheidend ist<br />

ihre objektiv-materielle Lage, deren Widerspiegelung das Klassenbewußtsein ist. Seine<br />

Produktionsmittellosigkeit, sein Ausgebeutetsein, seine Verb<strong>und</strong>enheit mit den modernsten<br />

Produktivkräften machen das Proletariat <strong>für</strong> den <strong>Marxismus</strong> zur revolutionären Klasse,<br />

bis heute. Daß die Masse der Arbeiter im Westen heute nicht an Revolution denkt,<br />

kann nach Auffassung der Marxisten-Leninisten doch letztlich nicht verhindern, daß sie<br />

eines Tages tun werden, wozu ihre materielle Lage sie drängt. 5 Materielle Interessen,<br />

nicht <strong>soziale</strong>s Unverständnis seien Ursache der <strong>soziale</strong>n Übel, die folglich auch nicht<br />

durch den Appell an <strong>soziale</strong>s Verständnis <strong>und</strong> allgemeine Menschlichkeit, sondern nur<br />

durch revolutionären Klassenkampf abgeschafft werden können, der die materiellen Verhältnisse<br />

umwälzt.<br />

Der Klassenkampf tritt in drei Formen, als ökonomischer, politischer <strong>und</strong> ideologischer<br />

Kampf in Erscheinung. Der ökonomische Kampf entwickelt sich spontan: durch Streiks<br />

etc. müssen sich die Arbeiter immer wieder einen Anteil am von ihnen geschaffenen<br />

Reichtum erkämpfen. Die Gr<strong>und</strong>interessen der Arbeiterklasse verlangen darüberhinaus<br />

1<br />

Vgl., auch im weiteren, Konstantinow, S. 333ff., Hahn 1976, S. 421ff. <strong>und</strong> die anderen einschlägigen Titel<br />

im Lit.verzeichnis.<br />

2<br />

LW 29, S. 410.<br />

3<br />

Vgl. z.B. Jung u.a. 1973; H. Steiner 1967.<br />

4<br />

MEW 4, S. 462.<br />

5<br />

Ende der 60er Jahre wendete man sich in diesem Zusammenhang gegen Herbert Marcuses These, die<br />

Arbeiterklasse sei kein revolutionäres Subjekt mehr, allenfalls Randgruppen seien noch revolutionär.<br />

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