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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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„da sie nur Äußerungen des wirklichen Lebens sind.“ „Die unmittelbare Wirklichkeit des<br />

Gedankens ist die Sprache.“ 24<br />

Es ist bemerkenswert, daß die offizielle marxistische Philosophie etwa in der Sowjetunion<br />

die im Westen weit verbreitete Gleichsetzung der Bewußtseinsleistung Denken mit<br />

der Tätigkeit von Computern ablehnt. Zwar gibt es in der marxistischen Philosophie zur<br />

Frage der Kybernetik, zum Verhältnis von Information <strong>und</strong> Widerspiegelung noch einander<br />

widersprechende Auffassungen, doch ist man sich weitgehend einig, daß von einem<br />

,Maschinendenken‘ nicht gesprochen werden sollte: ein Computer ordne Informationen<br />

nicht wie der Mensch nach Bedeutungen, die es ihm ermöglichten, die richtigen auszuwählen,<br />

ohne jeweils den gesamten Bestand durchmustern zu müssen. Wenn Computer<br />

Beweise führen <strong>und</strong> Sprachen übersetzen, handeln sie ,buchstabengetreu“ <strong>und</strong> mechanisch.<br />

Der handelnde Mensch aber denke in der Regel über die Ergebnisse, die Folgen<br />

seiner Handlungen nach, sei sozial <strong>und</strong> schöpferisch, könne dialektisch denken, d.h.<br />

einen Denkstil pflegen, der nicht vollkommen formalisiert werden kann. Zur vollständigen<br />

Modellierung des Bewußtseins sei ein Modell des Gehirns prinzipiell unzureichend, denn<br />

erst die gesellschaftliche Arbeit lehre das Hirn denken. 25<br />

Entscheidend <strong>für</strong> die dialektisch-materialistische Theorie des Bewußtseins ist die These<br />

vom untrennbaren Zusammenhang dieses Bewußtseins mit der sinnlich-gegenständlichen<br />

Tätigkeit, die vor allem als körperliche Arbeit, aber auch als Klassenkampf, wissenschaftliches<br />

Experiment, künstlerische Produktion usw. aufgefaßt wird, also alles das<br />

umfaßt, was sich im gegenständlichen Handeln, in willkürlicher körperlicher Bewegung<br />

ausdrückt. Marx skizziert diesen Ausgangspunkt in knappen Strichen in den „Thesen<br />

über Feuerbach“: „Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus [...] ist, daß der Gegenstand,<br />

die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung<br />

gefaßt wird; nicht aber als sinnliche menschliche Tätigkeit, Praxis, nicht subjektiv.“<br />

„Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme — ist<br />

keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muß der Mensch<br />

die Wahrheit, i.e. Wirklichkeit <strong>und</strong> Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen.“ 26<br />

Die Bewußtseinsleistung „Erkenntnis“ erwächst in dieser Sicht aus den Bedürfnissen<br />

der gesellschaftlichen Praxis, primär aus der Notwendigkeit, zum Zwecke der Lebensmittelproduktion<br />

die Naturgesetze immer besser kennen- <strong>und</strong> ausnutzen zu lernen. Die Hervorbringungen<br />

des menschlichen Hirns werden im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß, im<br />

Umgang mit den Naturgegenständen, einem strengen Ausleseverfahren unterzogen. Die<br />

Praxis vermittelt zwischen Materie <strong>und</strong> Bewußtsein, denn sie ist immer zugleich Bewußtseinsleistung<br />

(in der Zwecksetzung, der ideellen Antizipation des Resultats der Handlung)<br />

<strong>und</strong> materielle Aktion (in der Leibesbewegung <strong>und</strong> der Bewegung der äußeren Gegenstände<br />

mit Hilfe der Gliedmaßen).<br />

Das schwierigste Problem <strong>für</strong> eine materialistische Theorie des Bewußtseins ist das<br />

aktiv-schöpferische Verhältnis zur Wirklichkeit, zur Praxis <strong>und</strong> zu sich selbst, das man<br />

dem Bewußtsein doch zugestehen muß. Man betont, Widerspiegelung sei nicht passiver<br />

Abklatsch <strong>und</strong> tote Kopie, sondern zielvolle Tätigkeit, Aneignung der Welt durch den denkenden<br />

Kopf. Und menschliches Handeln sei in der Regel nicht blind <strong>und</strong> instinkthaft, in<br />

ihm werde etwas gewollt, was noch nicht ist, sondern erst werden soll <strong>und</strong> in der Vorstellung<br />

vorweggenommen wird. Doch da letztlich alles, womit die Vorstellung umgeht, aus<br />

dem bestehenden Sein ,entlehnt“ sei, dürfe man sich dadurch am Primat des Materiellen<br />

nicht irremachen lassen, wenn auch Lenin sich bis zu der Feststellung aufschwingt: „Der<br />

Gedanke von der Verwandlung des Idealen in das Reale ist tief, sehr wichtig <strong>für</strong> die Geschichte.<br />

Aber auch im persönlichen Leben des Menschen ist ersichtlich, daß hieran viel<br />

Wahres ist.“ 27<br />

61<br />

24 MEW 3, S. 433, 432.<br />

25 Konst. 117.<br />

26 MEW 3, S. 5, 6.<br />

27 LW 38, S. 106.

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