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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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23<br />

I. Teil<br />

Materie <strong>und</strong> Bewußtsein<br />

Atombegriff <strong>und</strong> Lehre von den primären<br />

<strong>und</strong> sek<strong>und</strong>ären Qualitäten<br />

Geschichtliches zum Materialismus<br />

Das Materialismus-Problem ist der Springpunkt, um den das Verständnis des Verhältnisses<br />

von <strong>Marxismus</strong> <strong>und</strong> <strong>Anthroposophie</strong> sich dreht, darin ist die Notwendigkeit der<br />

Besinnung auf die Geschichte dieses Problems begründet. Als philosophischen Materialismus<br />

bezeichnet man gewöhnlich eine Auffassungsweise, die davon ausgeht, daß den<br />

Gegenständen <strong>und</strong> Erscheinungen mit ihrer unerschöpflichen Merkmals- <strong>und</strong> Beziehungsvielfalt<br />

eine allgemein-substantielle Gr<strong>und</strong>lage materieller Natur zugr<strong>und</strong>e liegt <strong>und</strong><br />

daß alles Geschehen in der Welt letztlich durch die Materie <strong>und</strong> ihre Bewegung bedingt<br />

ist.<br />

Die Geschichte des Materialismus ist Bestandteil der Geschichte der philosophischen<br />

Lehren über die Materie, <strong>und</strong> sie ist eng verflochten mit der Geschichte des Atheismus<br />

<strong>und</strong> vor allem mit der der Naturwissenschaft <strong>und</strong> Technik. Dennoch herrscht hier keine<br />

Identität: Über die Materie philosophieren auch Idealisten <strong>und</strong> Spiritualisten, <strong>und</strong> wenn<br />

auch der Atheismus in gewissem Sinn eine Konsequenz aus dem Materialismus ist <strong>und</strong><br />

umgekehrt, so gab es doch auch Atheisten, die keine ausgeprägten Materialisten <strong>und</strong><br />

Materialisten, die keine Gottesleugner waren. (Das letztere konnte, mußte aber nicht<br />

taktische Gründe haben, etwa Selbstschutz gegenüber kirchlicher Verfolgung Andersdenkender,<br />

die ja andererseits oft nur deshalb mit Gotteslästerung <strong>und</strong> Atheismus in Verbindung<br />

gebracht wurden, um ihre Verfolgung zu rechtfertigen.) Naturwissenschaft <strong>und</strong><br />

Technik schließlich haben dem Glauben an die Materialität der Welt <strong>und</strong> damit dem philosophischen<br />

Materialismus zwar starke Impulse verliehen, „materialistisch“ sind sie jedoch<br />

nur insofern, als sie auf die Erkenntnis bzw. praktische Beherrschung der Gesetzmäßigkeiten<br />

der materiell-gegenständlichen Welt gerichtet sind.<br />

Das lateinische Wort Materie meint von der ursprünglichen Bedeutung her den Stoff,<br />

aus dem etwas gebildet oder gebaut ist, also das betastbare Räumlich-Körperhafte, das<br />

Feste <strong>und</strong> Undurchdringliche. Diese Bedeutung klingt noch bei Ernst Bloch an, wenn er<br />

schreibt: „Wir glauben dem Tastsinn mehr als dem Auge; das Wahre aber, das er zeigt,<br />

ist allemal ein stoffliches. Daher wirkt der zu tastende Stoff auch als gedachter, als Begriff,<br />

besonders vertrauenerweckend.“ 21<br />

Von einem philosophischen Materiebegriff im eigentlichen Sinn kann man erst da<br />

sprechen, wo er vom Begriff des Geistes klar unterscheidbar wird. Die milesischen Naturphilosophen,<br />

die nach der substantiellen Gr<strong>und</strong>lage der Naturerscheinungen fragen,<br />

als Materialisten zu bezeichnen, hat deshalb etwas Gezwungenes: das „Wasser“ des<br />

Thales, die „Luft“ des Anaximenes <strong>und</strong> auch noch das „Feuer“ des Heraklit sind gerade<br />

keine „Baustoffe“; sie sind Weltprinzipien, lebendige Qualitäten. Die hinter dieser Philosophie<br />

stehende Bewußtseinsverfassung kennt noch nicht die scharfe Subjekt-Objekt-<br />

Trennung, Inneres <strong>und</strong> Äußeres sind noch kein schroffer Gegensatz. „Wie unsere Seele<br />

Luft ist <strong>und</strong> uns dadurch zusammenhält, so umfaßt auch den ganzen Kosmos wehender<br />

Hauch <strong>und</strong> Luft“ (Anaximenes) 22 : ein solcher Satz entspringt offenbar ebensosehr der<br />

Empfindung des Seelischen als lufthaft wie einem Erleben des Kosmos als beseelt. Noch<br />

die Homoiomeren des Anaxagoras gleichen lebendigen Urkeimen, erst bei Demokrit werden<br />

sie zu toten Stoffteilchen. Hier bei Demokrit <strong>und</strong> seinem Lehrer Leukipp können wir<br />

zum ersten Mal von einer materialistischen Philosophie sprechen. Sie sind es, die den<br />

Begriff des Atoms in die Wissenschaft einführen. Ihr Atomismus hat seine Vorgeschichte:<br />

Parmenides hatte zu zeigen versucht, daß Vielheit, Bewegung, jedwede Veränderung<br />

ohne Annahme der Existenz eines leeren Raumes unmöglich seien, nun sei aber ein<br />

21 Bloch 1978, S. 7.<br />

22 zit. n. Vorländer I (1963), S. 16.

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