Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie<br />
seine geistigen Waffen [...]“, schreibt er. 6<br />
Freilich sind seine Gedanken damals noch nicht ausgereift. Erst muß er noch die Bedeutung<br />
der Nationalökonomie entdecken, wobei ihm sein genialer Fre<strong>und</strong> Friedrich Engels<br />
(1820-1895) hilft. Schon die Frühsozialisten hatten das kapitalistische Privateigentum<br />
an Produktionsmitteln als Ursache der <strong>soziale</strong>n Mißstände angeprangert. Beim Versuch,<br />
den Sozialismus zu verwissenschaftlichen, rücken <strong>für</strong> Marx die ökonomischen Tatsachen<br />
nun immer stärker ins Blickfeld. Die kritische Auseinandersetzung mit den Klassikern<br />
der bürgerlichen Politischen Ökonomie - William Petty, Adam Smith, David Ricardo -<br />
<strong>und</strong> den bürgerlichen „Vulgärökonomen“ beginnt. In Paris entstehen 1844 die „Ökonomisch-philosophischen<br />
Manuskripte“, die bereits Keime der ökonomischen Lehre von<br />
Marx enthalten (Analyse der entfremdeten Arbeit).<br />
Man hat viel darüber gestritten, in welcher Beziehung die Schriften des jungen Marx,<br />
besonders die Pariser Manuskripte, zu denen des alten stehen. Wollten die einen in ihnen<br />
die Vorfahren der späteren, sich gradlinig aus ihnen entwickelnden Analyse der ökonomischen<br />
Gr<strong>und</strong>gesetze des Kapitalismus in „Das Kapital“ sehen, so sind die anderen<br />
der Meinung, bei „Marx vor Marx“ sei das emanzipatorische Potential noch nicht so sehr<br />
von einem materialistisch-positivistischen Wissenschaftsverständnis wie beim späten<br />
Marx entstellt <strong>und</strong> überlagert. Darin nun wieder mochten <strong>und</strong> mögen die „Orthodoxen“<br />
einen Versuch wittern, den jungen gegen den alten Marx auszuspielen, um damit letztlich<br />
Arbeiterbewegung <strong>und</strong> „real existierenden Sozialismus“ zu treffen <strong>und</strong> das Marxsche<br />
Denken zu einem „abstrakten Humanismus“ zu verdünnen, der ins „westlichkapitalistische<br />
System“ integrierbar ist. 7<br />
Für die eine wie <strong>für</strong> die andere Ansicht kann man manche Gründe anführen. So sehr<br />
dem heutigen „<strong>Marxismus</strong>-Leninismus“ ein Interesse daran unterstellt werden darf, die<br />
gegen seine eigene Praxis kritisch ausmünzbaren Ansichten von Marx etwa zur Pressefreiheit<br />
oder zum Staat als entfremdetem Gattungswesen zu entschärfen, so wenig darf<br />
man doch übersehen, daß Marx seit den „Pariser Manuskripten“ keine entscheidende<br />
Wende mehr vollzieht. Die materialistischen Denkvoraussetzungen sind, besonders in<br />
den Hegel-kritischen Passagen der „Manuskripte“, bereits deutlich, andererseits wird<br />
Marx den 1844 propagierten „realen Humanismus“ auch später nicht preisgeben <strong>und</strong> dem<br />
noch früher formulierten „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen<br />
der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verächtliches Wesen ist“ 8 , nicht<br />
abschwören: Sofern die Kritik überhaupt eine Klasse vertrete, so vertrete sie das Proletariat,<br />
heißt es 1873 im Nachwort zur zweiten Auflage des „Kapital“, in dem auch das Motiv<br />
der entfremdeten Arbeit nicht fallengelassen wird. 9<br />
Das Denken des jungen Marx steuert konsequent auf die Entwicklung der materialistischen<br />
Geschichtsauffassung zu: Die herrschenden Klassen hatten ein Interesse an der<br />
Entwicklung von Naturwissenschaft <strong>und</strong> Technik, nicht jedoch an einer Geschichtswissenschaft,<br />
die die historische Notwendigkeit ihres Untergangs prognostizierte. - Nur vom<br />
Standpunkt des Proletariats aus erschien die Ausweitung jener in Naturwissenschaft <strong>und</strong><br />
Technik so erfolgreichen Fähigkeit des Menschen, objektive Gesetze zu erkennen, auf<br />
die Entwicklung des geschichtlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Lebens möglich. Und solche<br />
Wissenschaft würde zugleich dem Proletariat Selbstbewußtsein <strong>und</strong> Selbsterkenntnis<br />
vermitteln. - Das ist die innere Logik jener Suche, die zur Herausbildung des historischen<br />
Materialismus führt.<br />
In Brüssel, wohin Marx nach seiner auf Betreiben der preußischen Regierung erfolgten<br />
Ausweisung aus Paris emigriert, bringt er zusammen mit Engels die vor allem auch<br />
der Selbstverständigung dienenden Schriften „Die Heilige Familie“ (1845) <strong>und</strong> „Die deutsche<br />
Ideologie“ (1845/46) zu Papier. In der ersteren geht es vor allem um die Kritik der<br />
elitären Theorie einiger Junghegelianer vom über die Volksmasse erhabenen Geist <strong>und</strong><br />
der „spekulativen Konstruktion“ der idealistischen Philosophie. Die Einsicht in die Rolle<br />
der ökonomischen Verhältnisse <strong>für</strong> den Geschichtsverlauf ist die Gr<strong>und</strong>lage der materialistischen<br />
Geschichtsauffassung. Je mehr diese Gr<strong>und</strong>lage sich klärt, um so mehr wächst<br />
auch die kritische Distanz zu Feuerbach, dem es - wie die „Deutsche Ideologie“ feststellt -<br />
noch nicht gelungen ist, den Materialismus auf die Geschichte anzuwenden, <strong>und</strong> der der<br />
Einsicht in die gesellschaftliche Natur des Menschen <strong>und</strong> besonders in die Rolle der ge-<br />
14<br />
6<br />
a.a.O., S. 391.<br />
7<br />
Vgl. z.B. Julier 1974. ,,Marx vor Marx“: s. Wilenius 1966.<br />
8<br />
MEW 1, S. 385.<br />
9<br />
MEW 23, S. 85 ff. Zum Entfremdungsproblem s. dort das sog. „Fetischkapitel“, S. 85ff.