Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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Seienden zu finden, scheint in der schlechten Unendlichkeit der Versuche zu münden,<br />
mit immer größeren Maschinen (Teilchenbeschleunigern) <strong>und</strong> immer teureren Forschungsprojekten<br />
immer kleinere Teilchen zu finden.<br />
Schienen die naturwissenschaftlichen Tatsachen im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>für</strong> sich selbst zu<br />
sprechen, so erwies sich im 20. immer mehr ihre Interpretationsbedürftigkeit.<br />
Die von Lobatschewski <strong>und</strong> Riemann geschaffenen nicht-euklidischen Geometrien<br />
führten in der Konsequenz zu einer Wandlung der Vorstellungen über Raum <strong>und</strong> Zeit<br />
gegenüber der Newtonschen Physik. Einsteins Relativitätstheorie zeigt die wechselseitige<br />
Abhängigkeit von Raum <strong>und</strong> Zeit auf: die Gleichzeitigkeit von Ereignissen ist dieser Theorie<br />
zufolge nicht mehr absolut, sondern relativ.<br />
Die Spektralanalyse wies nach, daß die Himmelskörper im Prinzip aus den gleichen<br />
chemischen Elementen bestehen wie die Erde. Durch die „geniale Verbindung“ (Steiner) 47<br />
dieser Spektralanalyse mit dem Dopplerschen Prinzip entsteht zum ersten Mal ein, die<br />
räumlich-materiellen Verhältnisse wirklich adäquat erfassendes, Bild des Universums.<br />
Schien die Spektralanalyse einerseits die These vom materiellen Charakter der Welt zu<br />
stützen, so führte sie andererseits zur Erschütterung des Glaubens an die Ewigkeit des<br />
räumlich unendlichen materiellen Universums. Astronomische Beobachtungen zeigten,<br />
daß die Spektren von „Sternennebeln“ außerhalb unserer Galaxis in der Regel eine Verschiebung<br />
in Richtung der größeren Wellenlängen („Rotverschiebung“) aufweisen, was<br />
auf ein Sich-voneinander-Entfernen von Lichtquelle <strong>und</strong> Empfänger hindeutet. Daran<br />
wurde die Vermutung geknüpft, daß sich die „Nebel“ vom Standpunkt jeglichen Beobachters<br />
wegbewegen, <strong>und</strong> zwar um so schneller, je weiter sie von ihm entfernt sind. Aus<br />
dieser Theorie vom expandierenden Universum wird manchmal gefolgert, das Universum<br />
müsse einst auf unendlich kleinem Raum konzentriert gewesen sein <strong>und</strong> zu irgendeinem<br />
Zeitpunkt müsse ein „Urknall“ als Beginn der Ausdehnung stattgef<strong>und</strong>en haben.<br />
Damit ist im Rahmen der naturwissenschaftlichen Debatte selbst ein mögliches Argument<br />
gegen die Unentstandenheit der Materie aufgetaucht. Und auch die Unvergänglichkeit<br />
der Bewegung der Materie wurde auf einmal mit naturwissenschaftlichen Argumenten<br />
angezweifelt: Der Entropiesatz der Thermodynamik, wonach sich in Wärme umgewandelte<br />
Energieformen nicht gänzlich zurückverwandeln lassen, führte zur Prognose<br />
eines Wärme- (oder besser Kälte-)Todes des Universums. Mit einem gewissen Recht<br />
wurde dagegen allerdings auch wieder geltend gemacht, der Entropiesatz gelte nur <strong>für</strong><br />
endliche <strong>und</strong> geschlossene Systeme <strong>und</strong> seine Extrapolation auf das Weltall (durch<br />
Thomson <strong>und</strong> Clausius) enthalte die stillschweigende Voraussetzung von dessen Endlichkeit.<br />
48<br />
Das, was um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende vielfach als „Krise des Materialismus“ empf<strong>und</strong>en<br />
wurde, war keine bloß physikalische Frage, sondern hing auch mit der Unzufriedenheit in<br />
bezug auf die materialistische Ableitbarkeit des Seelischen zusammen, die sich besonders<br />
im Zusammenhang mit dem „Studium gewisser abnormer Erscheinungen des Seelenlebens,<br />
des Hypnotismus, der Suggestion, des Somnambulismus“ 49 artikulierte. Die<br />
Freudsche Psychoanalyse <strong>und</strong> die gesamte Tiefenpsychologie versuchen der Spezifik<br />
des Psychischen stärker Rechnung zu tragen <strong>und</strong> es nicht auf Nerven- <strong>und</strong> Hirnprozesse<br />
zu reduzieren. Obwohl von manchen deswegen als Idealist betrachtet bzw. gescholten,<br />
hat wohl gerade Freud mit seinem Ansatz einen Versuch der „Überwindung des Materialismus<br />
im Rahmen des materialistischen Paradigmas selbst“ unternommen: Auch bei ihm<br />
entsteht Geist aus Ungeistigem, als Sublimationsprodukt aus triebhaften, naturhaften<br />
Energien. C. G. Jung dagegen sah sich genötigt, bewußt den Anschluß an „esoterische“<br />
Traditionen zu suchen, in denen noch mit der Wirklichkeit des Geistigen gerechnet wurde.<br />
50<br />
47<br />
Steiner, GA 60, Vortr. 16. 3. 1911.<br />
48<br />
Vgl. Buhr/Klaus, S. 1283f. Auch Wetter 1977, S. 32ff. gibt zu, daß sich auf den Entropiesatz allein keine<br />
Materialismus-Kritik bauen läßt.<br />
49<br />
GA 11,S. 11f.<br />
50<br />
Vgl. Wehr 1972.<br />
31